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Interview über Graphic Novel
Als Teenager wurde sie schwanger: «Es fühlte sich für mich an wie der Fall von der Heiligen zur Hure»

Wanda Dufner sitzt in ihrem kreativ gestalteten Atelier, umgeben von bunten Illustrationen. Sie hält eine Graphic Novel über Teenagerschwangerschaft in der Hand. Lenzburg, 10. Februar 2025. Bild von Sabine Rock.
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Wie soll ein Baby an meinem nicht vorhandenen Busen trinken? Das und vieles mehr fragt sich die 17-jährige Noemi im neuen Buch «Bauchlandung».

Gezeichnet und geschrieben hat die Graphic Novel die Illustratorin Wanda Dufner. Mit der Figur Noemi erzählt die 32-Jährige aus dem Kanton Aargau auch ihre eigene Geschichte. Ihre Schwangerschaft als Teenager stellt sie aufwühlend und gesellschaftskritisch dar.

Wanda Dufner ist im Gespräch introvertiert und ruhig. Ihr Atelier in Lenzburg aber ist bunt und schrill eingerichtet und ihre Graphic Novel sehr pointiert.

Sie arbeiten in Ihrer neuen Graphic Novel mit vielen wiederkehrenden Motiven. Sehr wichtig ist zum Beispiel das Flugzeug. Weshalb?

Als Jugendliche träumte ich, dass ich ein Kind im Bauch habe und an einem fliegenden Flugzeug hänge, das immer weiterfliegt und nicht landet. Ich bekam Panik. Dann bin ich aufgewacht und habe in mein Tagebuch geschrieben: «So ein blöder Traum.» Zwei Monate später fand ich heraus, dass ich ungewollt schwanger geworden bin. 

Wie lange ist das her?

Mein Sohn ist 2010 auf die Welt gekommen und ist jetzt 14 Jahre alt. Nur durch diesen zeitlichen Abstand war es mir möglich, jetzt ein Buch über meine Erfahrungen als schwangerer 17-jähriger Teenager zu gestalten. Lange habe ich das Thema verdrängt.

Weshalb?

Es fiel mir schwer, damit umzugehen. In der Schweiz bist du als minderjährige Mutter ein extremer Ausnahmefall. Ich hatte mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Ich dachte, dass ich etwas falsch gemacht habe und mich konstant beweisen muss: eine ewige Bringschuld. Das hat sich bis heute kaum geändert. Instagram etwa ist voll von Kommentaren, die junge Mütter diskreditieren.

Was steht da zum Beispiel? 

«Schäme dich.» «Du hast einen IQ von einem Stein.» «Du bist Müll.» «Hättest vor zehn Jahren besser die ‹Bravo› lesen sollen.» «Peinlich und armselig zugleich.» 

Was macht das mit Ihnen? 

Ich finde es schockierend. Es gibt diese Einstellung: Wir sind besser und ihr seid blöd – und das stimmt einfach nicht. Eine unerwartete Schwangerschaft kann alle treffen. In jedem Alter. 

Ihre Graphic Novel umfasst fast 400 Seiten gefüllt mit Illustrationen. Wie lange brauchen Sie für ein Bild? 

Für gewisse über 10 Stunden. Also nur fürs Zeichnen. 

Ein Cartoon zeigt eine Person, die von einem Flugzeug hängt. Auf dem Flugzeug steht der Titel ’Bauchlandung: Geschichte einer Teenager-Schwangerschaft’ von Wanda Dufner, Edition Moderne.

Das sind sehr viele Tage reine Zeichenzeit.

Ja. Aber ich kann meine Gedanken auf diese Art am besten ausdrücken. Zum Glück hatte ich viele Skizzen und alte Tagebucheinträge, auf die ich zurückgreifen konnte. 

Ein Kapitel Ihres Buchs heisst: Die Beichte. «Man blickt in die entsetzten Gesichter und kann den Leuten an den Augen ablesen, was sie von einem halten», schreiben sie. «Und man weiss, dieses Bild wird in ihren Köpfen bleiben und das alte Bild ist unwiderruflich gelöscht.» Wie meinen Sie das?

Bevor ich schwanger wurde, sagten mir die Leute oft: «Du bist zu brav.» Danach war ich die Schlimme, die etwas Dummes gemacht hat. Es fühlte sich für mich an wie der Fall von der Heiligen zur Hure. 

Dieses Vom-Schwangersein-Erzählen – war das der schwierigste Teil für Sie?

Ja. Ich wusste, dass für meine Eltern eine Welt zusammenbricht, wenn ich ihnen davon erzähle. Zum Glück war eine Freundin dabei, als ich es ihnen sagte. Das hat es ein bisschen abgefedert. 

Illustration einer Person, die wie eine Bombe aussieht. Der Körper der Person ist mit negativen Begriffen gefüllt wie ’Versagerin’ und ’Niete’. Die Zündschnur brennt. Oben steht in einem Sprechblasenstil: ’Ich hatte keine Ahnung, wie die Klasse reagieren würde, wenn ich die Bombe platzen liess...’

Die Protagonistin in Ihrer Graphic Novel heisst Noemi und nicht Wanda. Trotzdem ist das Buch autobiografisch inspiriert. Gab es Erlebnisse, die Ihnen zu persönlich waren, um sie zu erwähnen?

Ganz wenige. Ursprünglich wollte ich das Buch als Autobiografie herausbringen. Die Entscheidung, die Geschichte mit einer fiktiven Figur zu erzählen, hat mir beim Erzählen viel Freiraum gegeben. Ich bin eine ruhige Person, die im realen Leben nicht immer mutig ist und ihre Meinung sagt. Noemi hingegen kann und darf das.

Im Buch sind nicht nur Noemis Eltern sehr kritisch, sondern auch ihr damaliger Freund, ihre Lehrer, ihre Ärztinnen. Und Sie schildern auch eindrücklich, wie selbst Unbekannte auf der Strasse Noemi mit Kommentaren eindeckten.

Auch ich selbst habe mich damals wirklich geschämt. Und ich habe das, was die Menschen mir damals gesagt haben, auch in mir aufgenommen und geglaubt. Nur meine Grossmutter war optimistisch. Sie sagte: «Es ist Gottes Wille.» Das hat mir geholfen. Und mich überzeugt, das Kind zu bekommen und mich gegen eine Abtreibung zu entscheiden.

Die Illustratorin Wanda Dufner sitzt in ihrem Studio in Lenzburg und hält ihre Graphic Novel über Teenager-Schwangerschaft in Händen.

Noemis Mitmenschen kommen im Buch zum Teil schlecht weg. Wie hat Ihre Familie auf die Graphic Novel reagiert?

Ihnen war schon mulmig zumute. Aber als ich ihnen Illustrationen gezeigt habe, konnten sie auch darüber lachen. Es hilft sicher, dass alles schon lange her ist und dass ich mich auch heute noch gut mit allen Familienmitgliedern verstehe. Ausserdem wissen sie, dass vieles übertrieben und zum Wohle der Geschichte hinzugedichtet wurde.

Was hätte Ihnen während Ihrer Schwangerschaft als Teenager gutgetan? Was hätte die Zeit für Sie etwas einfacher gemacht? 

Ich hätte mir gewünscht, dass man wohlwollender, offener und ohne Wertung auf mich reagiert. Dann hätte ich mich besser verstanden gefühlt. 

Im Buch erzählen Sie, dass Noemi viele Beratungsstellen besucht. Ihr Fazit fällt eher negativ aus. 

Ich fand es schwierig, dass es bei den Beratungen vor allem um meine berufliche Zukunft gegangen ist und darum, meine Eltern zu beruhigen. Das hat mich völlig überfordert. Ich hatte Probleme, die für mich damals viel dringender waren: Wie kann ich meine Beziehung retten? Und was darf ich tun und was nicht?

Comic mit einem roten Auto, in dem Personen über Abtreibung und Therapiemöglichkeiten diskutieren. Mutter fragt: ’Abtreiben konntet ihr mich nicht infrage?’ Kind antwortet: ’Nein, Mama!’ Ein weiterer Dialog erklärt: ’Wie konnte das trotz Psychotherapie passieren?’ und ’Also hast du einfach nicht verhütet?’ Die Karikatur endet mit der Frage: ’Wann habt ihr damit angefangen?’

Noemis Gefühle während der Schwangerschaft beschreiben Sie auch berührend in Ihren Illustrationen. Als «maximal zerstört» beschreiben Sie die Zukunft und als Gefängnis: Noemi muss auf das Kind schauen, während ihre Freundinnen studieren und reisen. Haben sich diese Ängste bei Ihnen persönlich bewahrheitet?

Dank meinen Eltern bin ich relativ frei gewesen. Ich konnte die Fachmittelschule machen und dann studieren. Aber bereits wenn ich mal später nach Hause kam oder ausnahmsweise eine Nacht weg war, fühlte ich mich schlecht. Ich habe sicher viel vom sozialen Leben verpasst. Nach dem Studium gingen die anderen noch was trinken. Ich ging nach Hause. 

Hat die Arbeit an Ihrer Graphic Novel Ihren Blick auf sich selbst und die Schwangerschaft verändert?

Definitiv. Ich habe mehr Selbstmitgefühl entwickelt und konnte das Schuldgefühl etwas loslassen. Ich merkte, dass ich eine grosse Leistung vollbracht und während der Schwangerschaft viel durchgemacht hatte. Ich war damals ja noch ein Kind. 

«Bauchlandung — Geschichte einer Teenager-Schwangerschaft» erscheint am 3. März 2025 bei Edition Moderne

Vernissage: Di 4. März, 19.30 Uhr, Sphères, Hardturmstrasse 66