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Schweizer Basejumperin
«Ich, crazy? Dann wäre ich längst tot»

Géraldine Fasnacht, freeskieuse, Verbier, Suisse, le 28 août 2024.
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Die Kindergärtnerin tritt ins Fettnäpfchen. Sie hat Géraldine Fasnacht und deren vierjährigen Sohn Odin zum Kennenlernen eingeladen. Wie er so sei, will sie wissen. Fasnacht sagt, dass Odin sehr auf seine Umgebung achte und sich immer sicher sein wolle, dass alles in Ordnung sei. «Er ist nicht crazy. Er denkt nach, bevor er handelt.»

Darauf antwortet die Kindergärtnerin lächelnd: «Dann ist er also nicht wie seine Eltern.» Pflatsch!

Fasnacht ist nicht nur die prominenteste Basejumperin der Schweiz, sie ist auch eine warmherzige Person. Wer Zeit mit ihr verbringt, merkt das rasch. Den Dialog mit der Kindergärtnerin erzählt sie nach, ohne schlechte Worte über diese zu verlieren, obwohl er davon handelt, was die Westschweizerin seit Jahren beschäftigt: die Stigmatisierung.

Was Fasnacht tut, gilt als tollkühn, als verrückt, hie und da gelten Basejumper sogar als lebensmüde – alles Beschreibungen, mit denen sie nichts anzufangen weiss. Sie mag es nicht einmal, wenn sie als Extremsportlerin bezeichnet wird. Fasnacht antwortete der Kindergärtnerin diesen Sommer: «Odin ist wie seine Eltern. Wir sind uns unserer Grenzen sehr bewusst. Und der Bedingungen und Elementen, mit denen wir spielen.» Das Risiko als kalkulierbare Grösse – so sieht sie das.

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Fasnachts Mann, Simon Wandeler, ist ebenfalls Basejumper. Es kommt vor, dass die Eltern ihren Sohn daheim in Verbier bei der Grossmutter lassen und sich auf in die Walliser Berge machen. Odin wartet dann bei der Landezone. Er war auch schon beim Absprung dabei. «Er liebt es», sagt Fasnacht.

Der erste Gedanke des Laien: verantwortungslos. Der zweite: Ein Fehler, und der Junge ist Vollwaise. Die 44-Jährige sagt dazu: «Wäre Basejumping crazy, dann würde ich es nicht tun – schon gar nicht als Mutter. Oder dann wäre ich längst tot.»

Fasnacht hat schon über 3000 Sprünge absolviert

Sie sitzt am Holztisch unter einem Zelt an der Acroshow in Villeneuve am Genfersee. Ein Wochenende lang werden hier Flugkünste vollführt. Ein Kampfjet düst ohrenbetäubend über die Menschenmenge, Fallschirm-Piloten landen auf einem Kissen, das im Wasser schwimmt. Fasnacht wird im Wingsuit von Bergen und aus dem Helikopter springen. Sie ist ein Aushängeschild der Veranstaltung, immer wieder muss sie das Gespräch unterbrechen, weil sie erkannt wird.

Eine kurze Erklärung zum Wingsuit, diesem Anzug, der Menschen Flügel verleiht. Seine Funktion besteht darin, die Gesamtoberfläche des Körpers zu maximieren, um den Widerstand gegen den vertikalen Fall zu erhöhen und eine grössere horizontale Verschiebung zu ermöglichen.

Das Wingsuit-Fliegen ist so etwas wie die Königsdisziplin des Basejumpings, sie erfordert präzise koordinative Fähigkeiten, von Rücken und Schultern über Hüften und Arme. Erfahrene Wingsuit-Pilotinnen sind in der Lage, sich für jeden vertikalen Meter bis zu drei Meter horizontal zu bewegen.

Sie fliegen also eher, als dass sie fallen, es muss ein unbeschreibliches Gefühl sein. Macht es süchtig? Fasnacht sagt: «Jedes Mal, wenn ich für längere Zeit nicht springen konnte, denke ich: Wie habe ich das bloss überstanden?»

Sie ist ihr halbes Leben lang Basejumperin, hat über 3000 Sprünge absolviert, macht im Schnitt pro Jahr rund 150, fast jeden zweiten Tag einen. Dazu ist sie auch Snowboard-Freeriderin, fliegt Gleitschirm und besitzt ein eigenes Flugzeug. Wobei sie vorab mit Vorträgen ihr Geld verdient, meistens hält sie diese in der Schweiz, zuweilen aber auch in New York oder Dubai. Die erste Anfrage dazu kam, nachdem sie Xtreme Verbier, den wichtigsten Event im Freeriden, 2003 zum zweiten Mal gewonnen hatte.

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Von da an nahm alles seinen Lauf, Fasnacht entwickelte sich, es kamen immer spektakulärere Projekte dazu. 2009 fuhr sie mit dem Snowboard als Erste die Südwand des Weisshorns hinunter, im selben Jahr vollführte sie als Erste einen Basejump in der Antarktis. 2014 sprang sie als Erste mit einem Wingsuit vom Matterhorn, 150 Jahre nach Edward Whympers Erstbesteigung. Das brachte ihr viel Publicity ein.

Als Fasnacht den Schwangerschaftstest machte, dachte sie: «Shit.»

Nur zweimal ist sie ins Grübeln geraten, ob es richtig sei, was sie tue. Ihr erster Ehemann, der Walliser Bergführer Sébastien Gay, starb Ende 2006 vor ihren Augen. Das Paar war beim Speedflying, einer Mischung aus Gleitschirmfliegen und Skifahren, als Gay gegen eine Felswand prallte. Fasnacht verschanzte sich wochenlang daheim.

Das zweite Mal ins Sinnieren kam sie, als sie schwanger war.

Dabei bemerkte sie das erst gar nicht. Sie mochte keinen Kaffee mehr, hatte keine Lust auf Schokolade, das schon. Doch Fasnacht ging nicht auf die Vermutung ihres Mannes Simon ein. Sie war 39, erst kurz zuvor hatten die beiden entschieden, ein Kind haben zu wollen, zudem hatte sie genügend Beispiele von Freundinnen, die das jahrelang vergebens versucht hatten. Sie wollte sich nicht der Hoffnung hingeben und enttäuscht werden.

Also sprang sie weiter. Aber sie fühlte sich je länger, je müder. Erst da machte sie den Test. Als sie das Ergebnis sah, dachte sie: «Shit.» Sie war schwanger. Und zwar seit zwei Monaten.

Sie war verunsichert. Sie erzählte ihrem Arzt, dass sie mit dem Wingsuit geflogen sei, dass es sich gut angefühlt habe. Und dass sie nicht bereit sei, aufzuhören, trotz Schwangerschaft. Dieser beschied ihr, sie solle tun, was sie glücklich mache. Fasnacht war erleichtert.

Géraldine Fasnacht, freeskieuse, Verbier, Suisse, le 28 août 2024.

Mit Gleitschirmfliegen hörte sie sofort auf, der Unberechenbarkeit der Thermik wegen. Aber das Basejumping gab sie erst im sechsten Monat auf. Natürlich brachte ihr das Reaktionen ein, auch positive, von Frauen, die sich bestärkt fühlten – aber längst nicht nur. «Doch wenn du darauf achtest, was andere über dich denken», sagt Fasnacht, «dann wirst du nie etwas erreichen.»

Die Faszination fürs Fliegen hatte sie als Kind gepackt. Eigentlich wollte sie Militärpilotin werden, aber sie hatte die Alterslimite um ein paar Monate überschritten und wurde abgelehnt. Sie machte eine Lehre am Flughafen Genf, mit dem Fernziel, Linienpilotin zu werden. Stattdessen startete sie als Snowboarderin durch.

Diesen Sommer vollendete Fasnacht ein Projekt, auf das sie jahrelang hingearbeitet hatte und das quasi ihr ganzes Schaffen umfasst. Sie landete ihr Flugzeug auf 4000 m im Monte-Rosa-Massiv, kletterte den Nordend hoch, fuhr mit dem Snowboard diesen Nebengipfel der Dufourspitze herunter, des höchsten Bergs der Schweiz. Und flog wieder davon. Es fehlte bloss ein Sprung mit dem Wingsuit.

Das Unfallrisiko? «Unglaublich hoch»

Beim Einpacken ihres Wingsuits in Villeneuve erinnert sich Fasnacht daran, wie alles angefangen hat. Zu Beginn machten sie und ihre Mitstreiter mit Zigaretten Löcher in die Anzüge, damit sich diese besser mit Luft füllten. «Nun hat sich das Material derart entwickelt, dass man kein wirklich guter Flieger mehr sein muss, um Wingsuits nutzen zu können», sagt sie. Das hat die Sportart boomen lassen, hat aber auch schlimme Folgen. Fasnacht glaubt, deshalb komme es vermehrt zu Unfällen. Weil so manchem Basejumper die nötige Erfahrung fehle.

Die Beratungsstelle für Unfallverhütung bezeichnet das Unfallrisiko beim Basejumping als «unglaublich hoch». Und schreibt, dass in der Schweiz pro Jahr durchschnittlich sieben Menschen tödlich verunglücken. Natürlich kennt Fasnacht solche Zahlen. Sie hat eine klare Meinung: «Man kann nicht einfach Youtube-Videos schauen und glauben, man sei auf dem Niveau, um von einer Klippe zu springen. Manche tun das. Und das sind oft jene, die verunglücken und den Sport in ein schlechtes Licht rücken.»

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Umso wichtiger sei die Aufklärung, findet Fasnacht. Erfreut hat sie registriert, dass es mittlerweile Basejumping-Schulen gibt sowie Programme, die dank GPS-Daten die Springer verstehen lassen, welche Voraussetzungen es für einen bestimmten Flug braucht. Fasnacht nimmt auch deshalb an solchen Events wie der Acroshow teil, um ihren Sport den Menschen näherzubringen. Und um zu zeigen, wie viel Arbeit und Akribie dahintersteckt.

Dann rast Fasnacht mit 200 km/h auf den Boden zu

Mittlerweile hat der Helikopter Fasnacht, ihren Mann, weitere Springer und ein gutes Dutzend Gäste zur Absprungstelle auf 2000 m gebracht. Die Zuschauer werden angeseilt, wenige Meter entfernt geht es einen Kilometer senkrecht die Felswand hinunter. Das mulmige Gefühl ist manchem anzusehen.

Fasnacht dagegen ist in ihrem Element. Sie gibt ein Interview, das unten im Zielraum live übertragen wird. Dann trifft sie die letzten Vorbereitungen, geht in sich, wird ruhiger.

Gemeinsam mit ihrem Mann Simon tappt sie zur Absprungstelle. «Trois, deux, un» – und schon sind sie aus dem Blickwinkel verschwunden und rasen mit bis zu 200 km/h auf den Boden zu. Unten wartet ihr Sohn Odin.