Extremsport Freitauchen Ein Krampf in 71 Metern Tiefe? «Das ist ungünstig»
Apnoetauchen wird immer beliebter. Doch wie gefährlich ist dieser Sport in schier endloser Dunkelheit? Die Suche nach Antworten führt an den Zürichsee.
Sie versammeln sich rund um ein Floss im See bei Herrliberg. Und wagen sich, mit nur einem Atemzug, in die Tiefen des Wassers. Sie – das sind die besten Freitaucher und Freitaucherinnen des Landes, an diesem Tag kämpfen sie um die Schweizer-Meister-Titel.
Christian Langer schafft 71 Meter, für diese Tiefe befindet sich der 54-Jährige 2:45 Minuten unter Wasser. Das bedeutet: Luft anhalten, bis Sie diesen Text zu Ende gelesen haben, und am besten dabei noch Sport treiben – auch wenn dies nur in geringem Masse die Belastung eines Tauchgangs aufzeigt.
Freitauchen, auch bekannt als Apnoetauchen oder Freediving, ist ein Sport, in dem Kompromisse keinen Platz haben. Er erfordert beträchtliche körperliche und mentale Vorbereitung sowie die Fähigkeit, sich in einen meditativen Zustand zu versetzen. Christian Langer hilft uns, zu verstehen, was es bedeutet, diesen Sport auszuüben.
Die Disziplinen im Freitauchen sind vielfältig, in zweien wird an den Schweizer Meisterschaften getaucht: «Constant weight bi-fins» und «Constant weight without fins». Also: mit Flossen und ohne. Der Wettkampf summiert die Ergebnisse beider Disziplinen, um den Sieger und die Siegerin zu küren.
«Das Mittelmeer ist mir lieber»
Besonders herausfordernd ist die Variante ohne Flossen. Christian Langer beschreibt die Disziplin als die anspruchsvollste: «Hier muss man die ersten zehn Meter kämpfen, bevor es einfacher wird, aber die vorherige Anstrengung hinterlässt ihre Spuren für den restlichen Tauchgang. Das erfordert nicht nur körperliche, sondern auch mentale Stärke.»
Diese braucht es auch, um die Unterschiede des Zürichsees zu anderen Gewässern wie offenen Meeren auszuhalten. «Es ist kälter und dunkler. Es gibt natürlich auch Leute, die den See gar nicht gernhaben», sagt Langer und meint damit unter anderem seine Frau, die bei seinem erfolgreichen Tauchgang vom Floss aus mitfiebert. «Sie ist Italienerin und war es gewohnt, im warmen Mittelmeer zu tauchen. Sie brauchte Zeit, um sich an die Bedingungen im Zürichsee zu gewöhnen. Natürlich ist mir das Mittelmeer auch lieber, aber das ist nun mal das, was wir hier haben. Damit muss man sich dann irgendwie abfinden.» Und: «Der Zürichsee hat seinen eigenen speziellen Charme.»
Die Wassertemperatur im Zürichsee sinkt rapide, wenn man in die Tiefe geht, immer einem Seil entlang. Bei 15 bis 20 Metern liegt die Temperatur bei etwa 8 Grad Celsius und fällt bis in 70 Meter Tiefe weiter auf etwa 6 Grad. Dennoch ist die Kälte dank gut isolierter Anzüge erträglich. «Es ist frisch, aber es ist nicht so, dass ich frieren würde. Wenn ich hochkomme, merke ich, dass vor allem die Beine kalt sind, aber es ist nicht unangenehm», sagt der sechsfache Schweizer Meister.
Dass man den Wunsch verspürt, mit nur einem Atemzug in die Tiefe zu tauchen, mag für viele absurd klingen. Es seien die Verbindung zur inneren Ruhe und das intensive Erleben des Moments, die ihn antreiben. «Bevor ich angefangen habe mit Freitauchen, hätte ich alle, die das machen, gefragt, ob sie eigentlich spinnen. Aber wenn man beginnt, es selber zu tun, hat man einen ganz anderen Bezug dazu. Beim Freitauchen ist es schön, dass man seine innere Ruhe spürt», sagt Langer.
Neben ihm liegt der nächste Taucher auf dem Rücken im Wasser und bereitet sich mit Atemübungen auf seinen Versuch vor. Langer erklärt: «Wenn man abtaucht, ist man mit den Gedanken so nah bei sich und erlebt den Moment sehr intensiv. Zusätzlich kann man beim Freitauchen im Meer die Schönheit der Unterwasserwelt geniessen und erkunden. Das finde ich sehr eindrücklich.»
Die Freitauch-Community erlebt Zuwachs
Die Tiefe, so stellt sich heraus, ist nicht unbedingt entscheidend für die Intensität dieser Erfahrung. Langer sagt: «Das Gefühl, das ich beschrieben habe, kann man auch in 20 Metern Tiefe haben. Aber natürlich, irgendwann versucht man, seine Grenzen ein bisschen auszudehnen, und dann wird es noch ein bisschen eindrücklicher.»
Freitauchen erfordert totale Konzentration. Negative Gedanken vor oder während eines Tauchgangs können den Puls nach oben schnellen lassen und den Erfolg gefährden. Daher gehören neben viel physischem Training wie Schwimmen oder Velofahren auch Yoga und Meditation zur täglichen Routine. «Es sind drei Aspekte wichtig: erstens eine physische Grundkondition und Kraft, denn wenn man in 71 Metern Tiefe einen Krampf kriegt – dann ist das ungünstig. Weiter muss man technisch die Disziplin beherrschen, Flossenschlag und Effizienz müssen stimmen, und ausserdem gehören Achtsamkeit und Meditation dazu.»
Die Freitauchszene in der Schweiz habe in den letzten Jahren einen veritablen Boom erlebt. «Als ich 2010 begann, waren wir eine kleine, überschaubare Gemeinschaft mit rund 20 Leuten. Nun haben wir nur schon im Raum Zürich etwa 50 Leute, die den Sport regelmässig betreiben», sagt Langer.
Schlimme Unfälle sind sehr selten
Freitauchen mag auf den ersten Blick gefährlich erscheinen, doch bei sorgfältiger Vorbereitung und Einhaltung strenger Sicherheitsregeln sei das Risiko minimal, sagt der ehemalige Eishockeyprofi, der einst mit dem SC Bern Meister wurde. Medien würden dazu neigen, die dramatischen Geschichten von Unfällen zu betonen. Zudem trägt die bekannte Dokumentation «The Deepest Breath» zum Bild einer hochgefährlichen Sportart bei.
Aber die Realität sei, dass in professionellen Wettbewerben Unfälle mit schweren Konsequenzen äusserst selten vorkämen. An den Schweizer Meisterschaften schliessen alle Teilnehmer ihre Tauchgänge mit einem «I'm okay» und entsprechendem Zeichen ab. Es gibt keine Zwischenfälle.
Christian Langer erlebt in Herrliberg gar einen perfekten Tag: Ihm gelingen die beiden schönsten Tauchgänge der Saison.
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