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Die Autokratin von Bangladesh
Sheikh Hasina regiert schon länger als jede andere Frau

Prime Minister of Bangladesh Sheikh Hasina Wazed arrives at the Elysee Palace in Paris, Tuesday, Nov. 9, 2021, to meet French President Emmanuel Macron for bilateral talks on the sideline of the Paris Peace Forum summit. (AP Photo/Michel Euler)
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Wer erkunden will, wie es um Freiheit und Recht in Bangladesh steht, kann einen Blick auf die Gefängnisse werfen. Die Zahl der Insassen ist 2023 stark gestiegen. Die Überfüllung der Haftanstalten, die weit schlimmer sein könnte, als es die Regierung einräumt, dürfte vor allem damit zu tun haben, dass Anhänger der Opposition zu Tausenden im Herbst hinter Gitter kamen.

Viele wurden nach Massenprotesten Ende Oktober eingesperrt. Der Politologe Mubashar Hasan, der in Bangladesh geboren ist und in Oslo forscht, stuft die Übergriffe der Regierung als «unerbittlich» ein. Aktivisten klagen, dass sie von Gruppen maskierter Angreifer verfolgt würden. Trotz der Risiken haben sich Mitte Dezember erneut Zehntausende Menschen versammelt, um gegen die Regierung von Sheikh Hasina auf die Strasse zu gehen.

Die Premierministerin (76) will offenbar nichts dem Zufall überlassen, wenn sie an diesem Sonntag ein neues Parlament wählen lässt. «Was heisst hier eigentlich Wahl?», fragt Ali Riaz, Südasienexperte an der Illinois State University. «Von einer demokratischen Abstimmung kann man nicht sprechen.»

Alles laufe darauf hinaus, dass Hasina mit ihrer Partei Awami League ein System der Einparteienherrschaft zementiere, sagt Riaz. Ihr Sieg gilt als garantiert. Sie wird dann eine fünfte Amtszeit antreten in ihrem Land mit 170 Millionen Einwohnern, die überwiegend muslimischen Glaubens sind.

Die Autokratin war einst Demokratievorkämpferin

Die Repression Andersdenkender hat so stark zugenommen, dass die grösste Oppositionspartei, die Bangladesh Nationalist Party (BNP), zum Boykott der Wahlen aufgerufen hat. Tausende BNP-Mitglieder konnten sich gar nicht auf Wahlen vorbereiten, weil sie entweder in einer Zelle stecken oder mit Gerichtsverfahren überzogen werden. Gemäss Medienberichten laufen gegen etwa zweieinhalb Millionen Anhänger der BNP Gerichtsverfahren.

Sheikh Hasina pflegt ihre eigene Erzählung: Sie betont, dass die Opposition nur darauf aus sei, Gewalt zu säen und Chaos zu stiften. Kritiker halten ihr vor allem vor, dass sie gezielt Verwaltung, Polizei und Justiz dazu missbrauche, Gegner niederzuringen. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Das Regime will den Banker der Armen einschüchtern».)

Einst als Vorkämpferin für demokratische Rechte gefeiert, führt sie das Land zunehmend autoritär. Und sie regiert jetzt schon länger als jede andere Frau der Welt. Sie hat Margaret Thatcher, Benazir Bhutto und Indira Gandhi längst überrundet.

Supporters of the ruling Awami League party gather for an election campaign rally by Bangladesh's Prime Minister Sheikh Hasina, ahead of the upcoming national elections, in Sylhet, Bangladesh, Wednesday, Dec. 20, 2023. The country is gearing up for the Jan. 7 election, but opposition Bangladesh Nationalist Party led by former Prime Minister Khaleda Zia repeated its call on Wednesday to boycott the election. (AP Photo/Saiful Islam Kallal)

Erstmals regierte Hasina von 1996 bis 2001. Seit 2009 hat sie die Führung nicht mehr aus der Hand gegeben. Wahlen verliefen zunehmend fragwürdig, aber Hasina beeindruckte die Kritik nicht. Das macht, alles in allem, 19 Jahre an der Spitze der Regierung. Und nichts deutet darauf hin, dass die 76-Jährige bald vorhat, sich zurückzuziehen.

Wer sich auf die Suche macht, woraus sich ihr kompromissloser Wille zur Macht eigentlich speist, stösst immer wieder auf die Interpretation, dass sich dahinter grosse Angst verbirgt. Eine Angst, die auf ein Trauma früherer Jahre zurückgehen könnte.

Trauma nach Ermordung von Familienangehörigen

Hasina ist die Tochter des Staatsgründers Mujibur Rahman, der 1975 von Offizieren brutal ermordet wurde. Fast die gesamte Familie wurde damals ausgelöscht. Hasina, damals 27 Jahre alt, entging dem Attentat nur mit Glück, weil sie im Ausland war. Viele glauben, dass diese frühe Verlusterfahrung und Gewalt ihr ganzes politisches Leben geprägt und ausgerichtet haben.

Lange Zeit dominierte die Rivalität zweier Frauen den Kampf um die Macht. Sheikh Hasina hat eine prominente Gegenspielerin, Khaleda Zia, Chefin der BNP. Politik galt als episches Duell der beiden Damen. Mal machte die eine das Rennen, dann wieder die andere. Aber nun herrscht Hasina schon 15 Jahre lang ununterbrochen. Zia ist von Krankheit gezeichnet und steht unter Hausarrest.

Die Art der politischen Auseinandersetzung habe sich gewandelt, beobachtet der Politikanalyst Riaz. Er sieht, wie Parteien immer mehr an Bedeutung verlieren, weil Hasina den Staatsapparat in Stellung bringt, um ihre Macht zu sichern. Demokratie geht anders. Hasina setzt dennoch auf Wahlen: Sie will sich das Etikett einer gewählten Regierungschefin anheften – auch wenn die Abstimmung eine Farce ist.

epa10819593 Rohingya people and students participate in a prayer and protest to mark 'Rohingya genocide day' and the sixth anniversary of the mass exodus of 740000 Rohingya Muslims from Myanmar to Bangladesh, at Kutupalong Rohingya camp in Cox's Bazar, Bangladesh, 25 August 2023. According to the UN more than 1 million Rohingya  people, a mostly Muslim ethnic group from majority-Buddhist Myanmar's state of Rakhine, fled to Bangladesh since 2017, when the Myanmar army began a systematic campaign of arson, rape and murder that the UN has called genocidal.  EPA/TANBIRUL MIRAJ RIPON

Im Westen war man stets froh, dass Hasina fast einer Million geflohenen Rohingya aus Myanmar Zuflucht bot. Auch hat sie islamistische Extremisten bekämpft. Ihre Anhänger heben hervor, dass sie das Land stabil gehalten und die Industrialisierung vorangetrieben hat.

Hasina gilt als enge Verbündete Indiens, womit sich unter westlichen Regierungen die Hoffnung verbindet, dass sie den Einfluss Chinas in Grenzen halten kann. Ob das gelingt, ist ungewiss angesichts der Vehemenz, mit der Peking seinen Einfluss am Indischen Ozean ausweitet, vor allem mit viel Geld.

Sanktionen des Westens sind unwahrscheinlich

Im vergangenen Jahrzehnt ist die Wirtschaft in Bangladesh oft schneller gewachsen als in anderen Regionen Südasiens, die grössten Abnehmer der Textilindustrie liegen im Westen. Zwar geben die Arbeitsbedingungen immer noch Anlass zur Kritik, doch Hasinas Regierung hat die extreme Armut immerhin reduziert.

«Wenn die Premierministerin nun demokratische Rechte aushebelt und die Opposition unterdrückt, geht sie ein Wagnis ein», meint Politologe Riaz. Sollte der Westen Sanktionen verhängen, könnten sie das Land empfindlich treffen. Doch Hasina scheint darauf zu setzen, dass ihr Indien mit seinem diplomatischen Gewicht beispringt und sie schützt.

Ob Länder des Westens tatsächlich eine Verstimmung mit Delhi in Kauf nehmen, um Rechte in Bangladesh einzufordern, ist offen – sehr wahrscheinlich ist es nicht. Europa und die USA werben um die Gunst der Inder. Hasinas Kalkül könnte also aufgehen, je nachdem, wie Delhi agiert.