Bahn-Unikum in ZürichDiese sonderbare Wasserbrücke muss verschwinden
In Zürich-Tiefenbrunnen fliesst ein Bach in einem bahntechnischen Unikum über das SBB-Gleis. Doch die Tage der 130 Jahre alten Nebelbach-Überführung sind gezählt.
Oben Bach, unten Zug. Es ist ein spezielles Bild, das sich unmittelbar neben der Fussgängerbrücke über das Bahngleis an der Altenhofstrasse in Zürich-Tiefenbrunnen bietet. Dort plätschert der Nebelbach über die Gleise, in einer rund zehn Meter langen und einen Meter breiten Trogbrücke aus Stahlblech.
Die ungewöhnliche Überführung leitet den in Zollikon entspringenden Bach in einem offenen Kanal über das Bahngleis. Nach der Überführung fliesst ein Teil des Wassers in das geöffnete Bachbett entlang der Wildbachstrasse, der Rest des Nebelbaches wird in einen unterirdischen Kanal abgeleitet.
Ingenieurtechnische Pionierleistung
Die Überführung Nebelbach mit Baujahr 1894 gilt als bahntechnisches Unikum, auf das auch der Denkmalschutz ein Auge geworfen hat.
Laut der SBB-Fachstelle für Denkmalpflege ist es die einzige Bachüberführung aus Stahl auf dem gesamten SBB-Netz. «Das Unikat zeugt von den bautechnischen Innovationen der Bahningenieure im Umgang mit schwierigem Terrain», heisst es im 2020 erschienenen Inventar der Denkmalschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung in Zürich. Das Inventar listet Bauten und Anlagen auf, die aufgrund ihrer historischen Bedeutung als wichtige Zeugen vergangener Epochen gelten.
Der Träger und die talseitige Fortsetzung der Rinne aus grossen Sandsteinblöcken seien ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Landschaft im unmittelbaren Umfeld von Bahnstrecken mithilfe pragmatischer Ingenieurbauten modifiziert worden sei. Die Installation der Überführung sei hier wohl weniger aufwendig gewesen als der Bau einer Rohrleitung, heisst es weiter.
Aus industriegeschichtlicher Sicht dokumentiere die Überführung eine wichtige Neuerung im damals noch relativ jungen Stahlbau, nämlich die Verwendung von Walzprofilen und ihre Vernietung zu Vollwandträgern.
Nicht mehr vorhanden sind heute die einstigen Schutzgitter auf den Brüstungen. Diese waren vermutlich als Absperrung für spielende Kinder angebracht worden, oder um das Hineinwehen von Laub zu verhindern, das den Abfluss verstopfen könnte.
Bahneinschnitt wird verbreitert
Doch nun sind die Tage der ungewöhnlichen Wasserbrücke gezählt. Grund dafür ist der Ausbau des Bahnhofs Stadelhofen, mit dem die SBB 2027 beginnen wollen. Das Grossprojekt umfasst nicht nur den Bau eines vierten Gleises, sondern auch den eines zweiten Riesbachtunnels nach Tiefenbrunnen. Weil dabei die Strecke vom Tunnelportal bis zum Bahnhof Tiefenbrunnen zur Doppelspur ausgebaut wird, muss der Bahneinschnitt verbreitert werden. Anstelle der heutigen Böschungen entstehen senkrechte Stützmauern.
Dabei muss auch das Aquädukt für den Nebelbach umgebaut werden – bei laufendem Bahnbetrieb und fliessendem Wasser. Dies sei eine weitere bautechnische Herausforderung beim Grossprojekt, erklärten SBB-Vertreter im April an der Medienkonferenz zum Ausbau des Bahnhofs Stadelhofen.
Das Aquädukt wird an gleicher Stelle durch ein neues Bauwerk über die dann vorhandene Doppelspur ersetzt, wie SBB-Sprecher Reto Schärli sagt. Nach aktuellem Planungsstand gebe es keine Möglichkeit, das alte Viadukt in seiner heutigen Funktion zu erhalten.
Aktuell arbeiteten SBB-Fachleute die technischen Details des neuen Bauwerks aus, sagt Schärli. Man stehe dabei mit der kantonalen Denkmalpflege im Kontakt. Ein entsprechendes Verfahren, um das alte Viadukt durch ein neues ersetzen zu können, werde zu gegebener Zeit gestartet. Die Abmessungen des neuen Aquädukts sollen laut Schärli ähnlich wie jene des bestehenden Bauwerks sein.
Ähnliche Bauten im Tessin und in der Romandie
Bleibt noch die Frage des Unikums. Während das Nebelbach-Aquädukt die einzige Bachüberführung aus Stahl auf dem SBB-Netz ist, gibt es laut Schärli ganz vereinzelt vergleichbare Konstruktionen anderer Bauart.
So ermöglicht ein Stahlbeton-Aquädukt unweit des Schlosses Chillon am Genfersee den Durchfluss der Veraye über die Bahnlinie Lausanne–Brig. Ein gemauertes Aquädukt existiert zudem in Airolo, wo der Riale del Dragone nicht nur die Bahnlinie, sondern auch die parallel verlaufende Strasse überquert. Schliesslich gibt es zwischen Melano und Capolago ebenfalls eine gemauerte Brücke, über die nicht nur eine Strasse, sondern auch ein Bach die Bahnlinie quert.
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