Ausufernde DebatteRückschlag für Zürcher Seeufer-Initiative
Muss der Kanton bis in 25 Jahren einen durchgehenden Spazierweg entlang des Zürichseeufers realisieren? Und wer soll das bezahlen? Darüber schieden sich im Kantonsrat die Geister.
Die jüngste Debatte über die Seeuferwege hat im Kantonsrat einen ganzen Morgen gedauert. Über vierzig Voten sind abgegeben worden. Überraschend waren wenige, und am Schluss standen sich die beiden Meinungen genauso unverrückbar gegenüber wie am Anfang.
Es ging hauptsächlich um zwei Forderungen, die laut der Volksinitiative «Für öffentliche Uferwege mit ökologischer Aufwertung» neu in die Verfassung geschrieben werden sollten:
1. Die Uferwege an See und Flüssen sollen «in der Regel am Land und möglichst nahe am Ufer» geführt werden. Dabei sei dem Natur- und Landschaftsschutz Sorge zu tragen und die Ufer seien ökologisch aufzuwerten.
2. Am Zürichsee soll auf Kantonsgebiet bis 2050 ein durchgehender Uferweg realisiert sein. Die Kosten gehen zulasten des Kantons und des Strassenfonds, die Gemeinden werden nicht zur Kasse gebeten.
Die Konfliktpunkte
Barbara Franzen (FDP, Niederweningen) fasste als Präsidentin der vorberatenden Kommission die Konfliktpunkte zusammen: Stiftet diese Initiative mehr Naturschutz, oder schadet sie der Natur? Verletzt sie das Eigentumsrecht oder nicht? Kann sich der Kanton das leisten? Und sind bereits genügend Projekte zur Erweiterung des Seeuferwegs in der Pipeline? Ihr Fazit: Die Meinungen unterscheiden sich fundamental.
Julia Gerber Rüegg vom Initiativkomitee sass zwischen 1994 und 2014 im Kantonsrat. Damals für die SP, später trat sie aus der Partei aus. Sie trat im Kantonsrat an, um die Initiative vorzustellen, und musste sich gegen den immer wiederkehrenden Vorwurf wehren, die Volksinitiative sei eine Zwängerei. Sie betonte: Man wolle lediglich das auf Bundesebene verankerte Recht auf freien Zugang zu den See- und Flussufern.
Der Vorwurf der «klassenkämpferischen Zwängerei» gründete darin, dass der Kanton seit zehn Jahren dazu verpflichtet ist, jährlich sechs Millionen Franken in den Bau von Seeuferwegen zu investieren. «Es geht vorwärts mit den Uferwegen», versicherte die Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) in der Debatte am Montagmorgen. Bis 2050 alle Lücken zu schliessen, sei aber eine übertriebene Forderung.
Das sei nicht bezahlbar und überdies mit den vorhandenen Ressourcen der Baudirektion nicht machbar. Die Regierungsrätin sprach dabei von einer extern ermittelten Kostenschätzung, die sich auf über eine halbe Milliarde Franken beläuft.
Eine Zahl, die verschiedentlich bezweifelt wurde: Gerber Rüegg sprach von «Zahlen aus dem Basar» und ist überzeugt, dass die im Strassenfonds vorgesehenen Mittel reichen würden.
In der Diskussion wurden ebenso Allgemeinplätze wie blumige Metaphern verwendet. Manche Seebuben kamen ins Schwärmen, Seemädchen malten den Teufel an die Wand. Einige Zitate, auf die Fraktionen verteilt:
SVP: Punktuell verbessern
SVP-Kantonal-Präsident Domenik Ledergerber (Herrliberg) sprach von einer «klassenkämpferischen Zwängerei». Danach wechselte der bekennende Fussballfan für einmal die Sportart und riet zu einem «Dreisprung». Erster Schritt: Volksinitiative wuchtig ablehnen, zweiter Schritt: Seeuferweg punktuell verbessern und bestehende Stücke aufwerten, dritter Schritt: Geld für dringlichere Projekte ausgeben, wie etwa Schulhäuser.
Für Anita Borer (Uster) rüttelt die Initiative an den «Grundfesten unseres Rechtsstaates» und stellt einen «Frontalangriff auf die Eigentumsrechte» dar.
SP: Gegen Littering-Alarm
Rafael Mörgeli (Stäfa) warnte davor, sich von den Nebelpetarden der Gegner in die Irre führen zu lassen. Diese führten nämlich ins Feld, dass mehr Menschen am See auch mehr Littering bedeuteten, und ziehen daraus den Schluss, dass ein Seeuferweg der Natur mehr schade als nütze. «Als es im Rat wirklich um Littering ging, sprach die SVP von Ausländerinnen und Ausländern», erinnerte Mörgeli.
Auch Felix Hoesch liess das Szenario, dass mehr Menschen am See auch mehr Abfall am Ufer bedeuteten, nicht gelten: «Wir wollen einen Spazierweg und keinen gewaltigen Spielplatz.»
Die Kostenschätzung des Regierungsrates bezeichnete Jonas Erni (Wädenswil) als «politisch gefärbte Fake News aus der Volkswirtschaftsdirektion».
FDP: Neiddebatte
Sonja Rueff-Frenkel (Zürich) brachte einen Begriff in die Debatte ein, der danach mehrfach wieder aufgenommen wurde: «Das ist eine reine Neiddebatte. Sie gönnen es den Bewohnern nicht, dass sie direkt am See wohnen dürfen.»
Ihr grundsätzliches Thema war der Angriff auf das Privateigentum, das beschnitten würde, wenn der Weg über Anwesen am See führen würde. Jonas Erni (SP) kehrte den Spiess um: Laut ihm wird die grosse Öffentlichkeit zugunsten einer kleinen Minderheit enteignet.
Grüne: Im Schneckentempo vorwärts
«Jede Schnecke im Garten kommt schneller vorwärts als der Seeuferweg», behauptete Edith Häusler (Kilchberg). Thomas Schweizer (Hedingen) verwies darauf, dass viele aktuelle Ufernutzungen ökologisch wertlos seien. Er sprach von überdüngten Rasenflächen und versiegelten Flächen. Auf den Trottoirs entlang der Seestrasse würden überdies 611 Parkplätze den Spaziergängerinnen und -gängern den Platz streitig machen.
GLP: Zwischen den Polen
Die Grünliberalen stellten einen Gegenvorschlag zur Diskussion, der – so fand Andreas Hasler (Illnau-Effretikon) – vom gesunden Menschenverstand diktiert wurde und zwischen den beiden Polen lag – «also dort, wo die Grünliberalen sind». Dieser legte den Fokus auf den Natur- und Landschaftsschutz, hält aber auch fest, dass auf das Privateigentum angemessen Rücksicht zu nehmen sei.
Er fand in keiner anderen Fraktion Support, was Cristins Cortellini (Dietlikon) frustrierte: «So haben wir an der Urne nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.» Die GLP entschied sich deshalb für Stimmfreigabe.
Die Mitte: Mehr Menschen, mehr Lärm
Das Anliegen töne sehr verlockend, fand Marzena Kopp (Meilen). Doch handle es sich um eine «Mogelpackung». Sie warnte davor, dass «Menschenmassen sich am See ausbreiten»: «Je mehr Menschen, desto mehr Lärm und Littering.»
EVP: Der politische Wille
Eigentlich seien die nötigen Grundlagen für einen durchgehenden Seeuferweg vorhanden, gab Tobias Mani (Wädenswil) den Gegnern der Initiative recht. «Was aber fehlt ist der politische Wille.» In den letzten Jahren sei jährlich der Grossteil der für Seeuferwege gebundenen sechs Millionen Franken nicht eingesetzt worden.
AL: Freie Sicht
Judith Stofer (Dübendorf) wandelte den Slogan der 1980er-Bewegung «Freie Sicht aufs Mittelmeer» auf «Freie Sicht auf den Zürichsee» ab. Dazu müssten aber die Hecken und Mauern fallen, hinter denen sich Privatpersonen am Seeufer abschotten. Die Bürgerlichen würden einer «fundamentalistischen Definition von Eigentum rund um den Zürichsee» frönen.
Die Abstimmung
Schliesslich wurde abgestimmt, wobei es lediglich darum ging, ob der Kantonsrat – wie der Regierungsrat – dem Stimmvolk empfiehlt, die Volksinitiative an der Urne abzulehnen. Das tat er mit 97 zu 74 Stimmen. Knapp die Hälfte der GLP stimmte für die Initiative.
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