Kommentar zu AusschreitungenBritische Justiz greift durch – gut so
Nach der Messerattacke von Southport riefen Radikale auf Onlineplattformen zur Hetzjagd auf Immigranten auf. Nun reagieren die Gerichte schnell und rigoros.
Vor knapp zwei Wochen veröffentlichte der britische Crown Prosecution Service (CPS), die oberste Strafverfolgungsbehörde des Landes, eine Mitteilung mit dem nüchternen Titel: «Mann wegen Onlineposting während öffentlicher Unruhen zu Gefängnisstrafe verurteilt». Ein 28-Jähriger aus Leeds, mit vollem Namen genannt und unverpixeltem Foto gezeigt, sei soeben zu 20 Monaten Gefängnisstrafe verurteilt worden. Er habe sich schuldig bekannt, während der Unruhen im Vereinigten Königreich auf Facebook Kommentare veröffentlicht zu haben, in denen er, wie es in der Mitteilung formuliert ist, «den Angriff auf ein Flüchtlingshotel in Leeds befürwortete». Er war der Erste, der in der seit Wochen laufenden Aufarbeitung der Unruhen in Grossbritannien verurteilt wurde, ohne selbst physisch daran teilgenommen zu haben. Aber nicht der Letzte, bei weitem nicht.
Die britische Justiz hat, Stand Mittwoch, ungefähr 600 der etwa 1200 im Zusammenhang mit den Unruhen Festgenommenen verurteilt. Mehr als 30 dieser Verurteilungen sind ausschliesslich auf Onlinekommentare zurückzuführen. Die schiere Masse an Gerichtsverfahren, die sich nun auf die digitale Verbreitung von Hass oder Missinformationen beziehen, ist neu. Genau wie die Taktung der Urteile, die derzeit nahezu täglich ergehen.
Zur Erinnerung: Die Unruhen, die vor ein paar Wochen tagelang das Vereinigte Königreich beschäftigten, begannen nach der Ermordung von drei kleinen Mädchen durch einen gebürtigen Briten. Die Eltern des Mannes kommen aus Ruanda, er ist schwarz, und im Internet wurden rasch die falschen Gerüchte verbreitet, ein Migrant habe drei kleine Engländerinnen erstochen. Das trug wesentlich dazu bei, dass ein Mob aus rechten Gewaltbereiten durch die Strassen zog. Keir Starmer, der neue Labour-Premierminister, hat als Reaktion den Polizeiapparat und die Gerichte gestärkt, er, der ehemalige Generalstaatsanwalt, ist überzeugt davon, dass nur rasche Konsequenzen als Abschreckung wirken. Er hat damit ein politisches Klima geschaffen, in dem die Gerichte sich nun entsprechend verhalten.
Gewaltige Macht der «sozialen» Medien
Wenn die Justiz hart durchgreift, löst das nie uneingeschränkte Begeisterung aus, natürlich nicht. Der Weg zum Polizeistaat ist in einem demokratischen Staat wie dem Vereinigten Königreich zwar lang, und die jetzt von der Opposition teils gezogenen Vergleiche mit dem Vorgehen einer Diktatur sind geradezu lächerlich. Der Grat, auf dem sich eine hart durchgreifende Justiz aber bewegt, ist schmal, und gerade eine neu gewählte Regierung darf keinesfalls die Botschaft verbreiten, Andersdenkende anklagen zu wollen.
Und doch ist die britische Reaktion auf das politische Klima, das wiederum Menschen wie Elon Musk zu erzeugen versuchen, richtig. Soziale Medien wie Facebook oder Musks X drohen zunehmend ausser Kontrolle zu geraten, weil unter dem gerade von Ultrarechten gern als Argument missbrauchten Deckmantel des Free Speech, der freien Meinungsäusserung, alles erlaubt sein soll.
Die Macht der Onlinemedien ist gewaltig, Macht birgt Gefahr, vor allem, wenn es keine funktionierenden Filter mehr gibt, die verhindern, dass Hass und absichtliche Falschinformation mit einfachen Klicks potenziell an Millionen Menschen verbreitet werden können. Wenn die Betreiber von sozialen Netzwerken sich ihrer Verantwortung entziehen, bleibt dem Staat nichts anderes übrig, als diese Lücke zu füllen.
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