Die neue Taktik der Internet-TrolleAus dem Fake-Kommentar beim «Spiegel» und der «Welt» wird eine Fake-News
Prorussische Trolle manipulieren die Kommentarspalten westlicher Medien, deckt eine neue Studie auf. Diese werden dann in Schlagzeilen verwandelt.
Der Leserkommentar unter einem Medienbeitrag wird plötzlich zur Schlagzeile von morgen. Die Reise einiger prorussischer Kommentare, welche unter Artikeln verschiedenster Medien weltweit gepostet werden, kann lange sein, deckt eine Studie der Universität Cardiff auf. Verdächtig lange.
Prorussische Internet-Trolle manipulieren laut der Studie die Kommentarspalten westlicher Medien, um eine angebliche Unterstützung der Öffentlichkeit für die Kreml-Politik zu suggerieren. Russischsprachige Medien nähmen diese Kommentare dann wiederum in die eigene Berichterstattung auf, als angeblichen Beleg für die breite Unterstützung der westlichen Gesellschaft für die Politik Russlands.
Die Troll-Taktik läuft ab wie folgt:
Kommentieren: prorussische oder antiwestliche Kommentare unter Berichten in westlichen Medien posten.
Publizieren: diese Kommentare in Berichten von russischsprachigen Medien als die breite Meinung der westlichen Öffentlichkeit präsentieren.
Verstärken: die publizierten Berichte durch soziale Medien und andere Kanäle weiterverbreiten.
Die Schlagzeilen, welche auf den erfundenen Kommentaren basieren, lauten dann zum Beispiel so: «Die ‹Spiegel›-Leser: Wir werden uns nicht von der Ukraine in einen Krieg ziehen lassen!», «Italienische Leser: Russen lieben uns, im Gegensatz zu imaginären EU-Freunden» oder jüngst «Die Briten haben den Aufstieg der Taliban an die Macht mit dem Ende der westlichen Zivilisation verglichen».
Diese Beiträge in russischsprachigen Medien, welche auf den Troll-Kommentaren aufbauen, würden gemäss der jüngst veröffentlichten britischen Studie typischerweise den Eindruck vermitteln, dass die öffentliche Meinung die offizielle Regierungsposition des jeweiligen Landes nicht unterstütze. Auch werde oft suggeriert, dass die Meinung der Bürgerinnen und Bürger verschiedener westlicher Länder stark auseinandergehe oder die Bevölkerung Putin und die russische Politik unterstütze.
Von Washington bis Berlin
Dies passe zu anderen Propaganda- und Desinformationsstrategien, welche mit der russischen Regierung in Verbindung gebracht werden, so die Urheber der Studie. Diese zielten vor allem darauf ab, die Meinung der russischen Öffentlichkeit im Sinne der Regierung zu beeinflussen. In den vergangenen Jahren flogen aber auch immer wieder verdeckte russische Einflusskampagnen im Ausland auf. Der bekannteste Fall ist die russische Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahlen 2016 und in kleinerem Masse 2020. Doch auch Wahlen in Deutschland und Frankreich gerieten schon ins Fadenkreuz russischer Desinformationskampagnen.
Intensiver russischer Propaganda sind vor allem auch russische Nachbarstaaten ausgesetzt, welche der Kreml traditionell als Teil der russischen Einflusssphäre sieht. Allen voran die Ukraine. So wurden 2014 im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland, der Eskalation des gewalttätigen Konflikts im Osten der Ukraine und des Abschusses des Passagierflugzeugs MH 17 massiv Unwahrheiten in Kreml-nahen Medien verbreitet.
Insbesondere nachdem 2016 russische Einflussoperationen auf sozialen Medien im Zuge der US-Präsidentschaftswahl ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt waren, reagierten Facebook, Twitter und ähnliche Unternehmen. So entfernte Facebook laut «New York Times» viele gefälschte Konten von seiner Seite, stellte Tausende Angestellte ein, welche auf Facebook gepostete Beiträge überwachen sollten, und passte seine Leitlinien für Werbebeiträge an. Die Wirksamkeit dieser Massnahmen wird von Expertinnen jedoch infrage gestellt.
Der Troll-Einsatz in den Kommentarspalten sei angesichts seiner Raffinesse und seines Umfangs «signifikant», erklärte Professor Martin Innes, Leiter des Crime and Security Research Institute an der Universität Cardiff. «Die von uns untersuchten westlichen Medien sind besonders anfällig für diese Art der Manipulation, da keine Sicherheitsmassnahmen vorhanden sind, um diese Art von Aktivitäten zu verhindern oder aufzudecken.»
Die führenden Social-Media-Plattformen seien wachsamer geworden gegenüber den Risiken, welche von ausländischen staatlichen Einflussoperationen auf ihren Plattformen ausgingen, hält Innes fest. «Die Akteure, welche Desinformation und Propaganda verbreiten, haben darum nach neuen Schwachstellen im Medienökosystem gesucht.» Die Kommentarspalten-Taktik sei den Forscherinnen und Forschern dieses Jahr aufgefallen. Sie gehen jedoch davon aus, dass sie seit 2018 vermehrt angewendet wurde.
Wie aus der Studie der britischen Universität Cardiff hervorgeht, wurden 32 Medien in 16 Ländern Ziel dieser neuen Art von Troll-Taktik. Zu 242 zwischen Februar und Mitte April veröffentlichten Russland-Artikeln seien in den Kommentarspalten «provokante prorussische oder antiwestliche Äusserungen» veröffentlicht worden, erklärten die Forscher. Betroffen von Propaganda und Falschinformationen waren unter anderem die britischen Zeitungen «Daily Mail», «Daily Express» und «The Times», der Sender Fox News und die «Washington Post» in den USA, die deutschen Medien «Spiegel» und «Welt» sowie die französische Zeitung «Le Figaro».
«Dieser Bericht betont die Bedrohung unserer Demokratie durch vom russischen Staat unterstützte Fehlinformationen im Internet», erklärte der britische Aussenminister Dominic Raab. London arbeite mit seinen Verbündeten zusammen, um den «Kreml-Trollen, die Lügen verbreiten», entgegenzutreten.
AFP/jba
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