Symbol der PolarisierungAufregung um die Ananas auf der Pizza
Ist eine Pizza Hawaii lecker oder eine böse Geschmacksverirrung? Die Frage ist nicht so harmlos, wie sie scheint, sondern ein Symbol dafür, wie leicht sich Menschen beeinflussen lassen.
Neben Döner und Gyros war die Pizza Hawaii für die Jugendlichen der 1980-Jahre der entscheidende Faktor für das Überleben in der Provinz. Ja, hinter der Ortsgrenze musste es noch etwas anderes geben als Bratwurst und Chäschüechli, dachte man sich. Sich drehende Fleischbatzen, denen nur mit einer Machete beizukommen war. Oder ein weltumspannender Teig aus dem Holzofen, der den Zentralpazifik mit dem Mittelmeer verband. Das war sie also, die grosse weite Welt. Nie hätte man damals geahnt, wie polarisierend Pizza sein kann.
Erfunden wurde die Pizza Hawaii im Jahr 1962. Von einem Griechen, der nach Kanada ausgewandert war. Gut 60 Jahre später spaltet die Idee von Sam Panopoulos, Ananas auf Hefeteig mit Mozzarella und Tomatensugo zu vermischen, vor allem die digitale Welt. Eiserne Befürworter stossen in sozialen Netzwerken auf beinharte Gegner. Geht es hier wirklich nur um Pizza?
Wie so vieles, bei dem die Fronten dieser Tage recht verhärtet erscheinen, begann die Sache mit der Hawaii-Pizza eigentlich ganz entspannt. Ab den Fünfzigerjahren widmeten sich die Nordamerikaner mit grossem Enthusiasmus allerlei kulinarischen Experimenten. Dosen-Ananas aus Hawaii und italienischer Tiefkühl-Pizzateig? Klar, da liess sich doch was draus machen.
«Pizza mit Ananas? Das ist ein Kuchen!»
Bis sich im Jahr 1984 die «Associazione Verace Pizza Napoletana» gründete und erklärte, sie kämpfe gegen die «kulturelle und kommerzielle Deformation» ihrer traditionellen Speise. Da und dort befassten sich nun Zeitungen mit dem Thema. Die New York Times zum Beispiel bat einen neapolitanischen Pizzabäcker um seine Einschätzung («Eine Pizza mit Ananas? Das ist ein Kuchen!»). An den Tischen der meisten Pizzerien aber spielte der Streit keine grosse Rolle. Der eine mochte halt Ananas auf der Pizza, der andere nicht.
Und dann kam das Internet.
Im Dezember 2009 startete Facebook eine sehr erfolgreiche Seite mit dem Namen «Ananas gehört NICHT auf die PIZZA», im Jahr 2015 folgte eine Reddit-Gruppe, in der Zehntausende «Ritter der Ananas» wiederum für die «Köstlichkeit» kämpften. Das Thema polarisierte, auch die Politik. Während der kanadische Premier Justin Trudeau sich als Freund der Hawaii outete, wollte der Isländische Präsident Gudni Th. Jóhannesson die Kombination im Jahr 2017 am liebsten verbieten.
Irgendwann sei es in der Debatte nicht mehr um Essen gegangen, beobachtete jüngst klug der Economist. Es ging nur noch um eine «Performance der Polarisation». Auch Meinungsforscher stürzten sich auf das Thema, vielleicht um von ihren Schlappen bei den Vorhersagen zur Brexit-Abstimmung oder der US-Wahl 2016 abzulenken.
Die Pizza-Debatte zeigt, wie leicht sich Menschen beeinflussen lassen
US-Behörden wie die «Cybersecurity and Infrastructure Security Agency» schliesslich zeigten am Beispiel der Pizza-Debatte auf, wie leicht sich eine x-beliebige Gemeinschaft über Posts oder Memes beeinflussen lässt, ja sogar aufhetzen und auseinanderdividieren. Hallo Trolle! Hallo Donald Trump. (Mehr dazu: Tipps für Gesprächskultur – Was tun, wenn ein Kollege im Netz Quatsch verbreitet?)
Um auf weitere Propaganda- und Ablenkungsmanöver vorbereitet zu sein, entwickelten Psychologen der Cambridge University schliesslich ein Online-Spiel, in dem es darum ging, Bewohner eines fiktiven Ortes durch Beeinflussung miteinander in Streit geraten zu lassen. Anlass: Das alljährliche «Ananas-Pizza-Festival» auf dem Dorfplatz. «Wussten Sie schon? Ananas ist unitalienisch?» «Aber der Verzicht darauf ist unamerikanisch!» «Und an allem sind die Babyboomer Schuld.» So in der Art.
Aber gut, natürlich ist die Pizza Hawaii nur ein Symbol. Dafür, wie leicht der Mensch mit anderen Menschen in Streit geraten kann. Besonders sein digitales Mütchen erhitzt ja recht schnell. Der Disput über die Ananas-Pizza zeigt allerdings auch, wie sich mit gezielt gestreuten, völlig lapidaren Scheinthemen ein Grossteil der öffentlichen Aufmerksamkeit von jetzt auf gleich absorbieren lässt. Daran sollte man immer wieder denken.
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