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Interview mit angehendem ESA-Astronauten
«Auf dem Mond zu leben und zu arbeiten, stelle ich mir unglaublich spannend vor»

Aktuelles Bild ohne Schnauzbart: Marco Alain Sieber, Schweizer Karriere-Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation ESA.
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Herr Sieber, vergangenen Mittwoch, als Sie von der Europäischen Weltraumorganisation ESA zum Karriere-Astronauten gekürt wurden, trugen Sie noch einen Schnauzbart. Jetzt ist er weg. Was ist passiert?

Die ESA hat mich überzeugt, ein neues Foto zu machen, das offizielle Bild als Astronaut, da ich normalerweise keinen Schnauz trage. Denn das Bild würde sehr lang auf der Webseite sichtbar sein.

Sie haben sich gegen mehr als 22’500 Bewerber und Bewerberinnen durchgesetzt. Welche Tests mussten Sie beim Auswahlverfahren über sich ergehen lassen?

Die Selektion war in mehrere Stufen gegliedert. Zuerst gab es ein Bewerbungsverfahren, bei dem ich Dokumente wie Lebenslauf, Motivationsbrief und ein medizinisches Zertifikat von einem Fliegerarzt einreichen musste. 

Gemäss ESA kamen 831 Männer und 530 Frauen in die zweite Runde. Was kam dann?

Wir mussten einen computerbasierten Test absolvieren. Zum Beispiel Kopfrechnen, räumliches Vorstellungsvermögen und Auswendiglernen.

Statistik zu den Bewerbungen als künftiger ESA-Astronaut oder ESA-Astronautin.

Wurden Sie auch in psychologischer Hinsicht geprüft?

Ja, das kam in der nächsten Runde. Die bestand aus diversen Interviews, Fragebögen und Gruppenaufgaben zusammen mit anderen Kandidaten und Kandidatinnen.

Mussten Sie auch in einer Zentrifuge liegen, um zu beweisen, dass Sie die Beschleunigungen bei einem Raketenstart aushalten?

Nein, das kommt wohl erst in der Vorbereitung zu einer konkreten Mission. Aber wir wurden ausgiebig medizinisch untersucht. Es wurde alles getestet: Augen, Herz, Lunge, Fitness. Da hätte man wohl gesehen, wenn eine Belastung wie bei einem Raketenstart grundsätzlich nicht möglich wäre. 

Welches war für Sie die heikelste Etappe des Verfahrens?

Ich fand jede Etappe sehr anspruchsvoll. Denn ich wusste nie genau, was auf mich zukommt. Aber vielleicht waren die Tests am Computer am schwierigsten. Die haben mir jedenfalls einiges abverlangt. 

Hatten Sie mal den Eindruck: Das wars, ich bin raus?

Eigentlich hatte ich nach fast jeder Stufe den Eindruck, dass meine Leistung zu wenig gut war. Aber ich wusste auch nicht genau, auf was geschaut wird.

Am Schluss mussten Sie noch beim Generaldirektor der ESA, Josef Aschbacher, antanzen.

Er hat sehr schwierige Fragen gestellt, die man nicht so aus dem Effeff beantworten konnte. 

Hier trägt er noch Schnauz: Marco Sieber bei der Präsentation der Auserwählten am Mittwoch. Rechts neben ihm der Generaldirektor der ESA, Josef Aschbacher.

Was für welche?

Fragen zur Motivation oder wie entschlossen ich bin für die Ausbildung zum Astronauten. Er hat mir auch heikle Situationen vorgelegt, in denen ich sehr schnell entscheiden musste, was zu tun ist.

Den Traum, Astronaut zu werden, hatten Sie schon als Kind. Wann hat er sich konkretisiert? 

Vor ein paar Jahren habe ich realisiert, dass es für mich als Schweizer möglich ist, sich bei der ESA zu bewerben. Das geht nicht jedes Jahr, aber hin und wieder. So habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie die Bewerbung abläuft, was es braucht, und habe das immer im Hinterkopf behalten. Als dann 2021 neue Astronauten und Astronautinnen gesucht wurden, habe ich mich beworben.

Sie sind Arzt, Notfallarzt und Urologe. Welche Fähigkeiten bringen Sie damit konkret mit für den Job als Astronaut?

Die ESA will ein Team, das breit aufgestellt ist und verschiedene Fähigkeiten besitzt. Ich habe zwar nicht den wissenschaftlichen Hintergrund wie eine Astrophysikerin oder die Fähigkeiten eines Testpiloten. Dafür kann ich mehr im medizinischen Bereich beitragen. Etwa wenn es medizinische Notfälle im All gibt. Ich beherrsche auch verschiedene bildgebende Verfahren, die im All bei Experimenten zum Einsatz kommen. Da hat ein Ingenieur oder Physiker vielleicht weniger Erfahrung.

Hat sich der Job als Astronaut oder Astronautin gewandelt seit der Zeit von Claude Nicollier?

Testpiloten wie Claude Nicollier, der zudem auch Wissenschaftler war, werden immer noch gebraucht. Aber die Raumflüge sind heute noch stärker automatisiert. Deshalb hat sich der Job etwas gewandelt. Die ESA möchte auch mehr Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an Bord haben. 

Der Schweizer Astronaut Claude Nicollier im August 2020. 

Wie ist es für Sie, in die Fussstapfen von Claude Nicollier zu treten?

Zuerst muss ich mal die Grundausbildung zum Astronauten machen und bei einer Mission ins All fliegen, bevor ich mich überhaupt als Astronaut bezeichnen kann. Ob ich das schaffe, ist noch offen. Aber natürlich empfinde ich das als eine riesige Aufgabe und Verantwortung. Das macht mich schon etwas nervös und auch demütig.

Auch etwas stolz?

Ja, das auch.

Hat sich Claude Nicollier bei Ihnen gemeldet seit der Bekanntgabe?

Ja, er hat mir gratuliert. Ich habe ihn am Anfang der Selektion angeschrieben, aber nicht gedacht, dass er reagieren würde. Dann hat er mir tatsächlich mit einer recht langen E-Mail geantwortet. Wir sind während der ganzen Selektion in Kontakt geblieben, was mich sehr gefreut hat. Ich konnte sicher viel von seiner Erfahrung profitieren.

«Man begibt sich in ein hochtechnisiertes Umfeld, operiert am Rande des technisch Machbaren. Das übt eine unglaubliche Faszination auf mich aus.»

Was fasziniert Sie am Job als Astronaut, an Flügen in den Weltraum, zum Mond?

Es ist etwas Einmaliges, was nicht vielen Menschen vergönnt ist. Man begibt sich in ein hoch technisiertes Umfeld, operiert am Rande des technisch Machbaren. Das übt eine unglaubliche Faszination auf mich aus. Ebenso die wissenschaftlichen Experimente mit Hightech­apparaten oder die Vorstellung, die Raumstation für Reparaturarbeiten zu verlassen und einen Weltraumspaziergang zu machen. Auf solche Aufgaben freue ich mich riesig.

Wo wird es wohl hingehen bei Ihrem ersten Flug?

Für die jetzige Astronautenklasse sind zunächst einmal Missionen zur Internationalen Raumstation ISS geplant. Dort nimmt man an Experimenten teil oder macht Installations- oder Reparaturarbeiten.

Was wäre die spannendste Mission für Sie?

Momentan rückt der Mond immer mehr ins Zentrum der Raumfahrt. Ein permanentes Habitat auf dem Mond aufzubauen, dort zu leben und zu arbeiten, das stelle ich mir unglaublich spannend und interessant vor.

Vision einer Basis auf dem Mond, gebaut mit einem 3-D-Drucker.

Warum will man zurück zum Mond?

Das langfristige Ziel der Raumfahrtbehörden ist es, Menschen auf den Mars zu bringen. Der Mars ist aber sehr weit weg. Die Mission dauert mehr als ein Jahr. Die Strahlenbelastung ist hoch. Da kann man nicht einfach losfliegen, sondern muss zunächst Erfahrungen sammeln. Der Mond gilt als ideales Testfeld für eine Reise zum Mars. Er ist schon weiter von der Erde entfernt als die Raumstation, aber längst nicht so weit wie der Mars.

Könnten Sie sich vorstellen, dereinst zum Mars zu fliegen?

Es wäre natürlich einmalig und extrem spannend. Es wäre eine Pionierleistung, Teil einer Marsmission zu sein. Aber ich denke, meine Generation von Astronauten und Astronautinnen wird noch nicht zum Mars fliegen. Falls doch, müsste ich mir das sicher gut überlegen. Ich bräuchte Hintergrundinformationen, was die Sicherheit betrifft, die Erfolgschancen der Mission, wie das Ganze ablaufen wird. Daher kann ich das jetzt nicht beantworten.

«Ich denke, ich werde ruhig in der Raumkapsel sitzen können.»

Wenn Sie sich vorstellen, Sie sitzen in einer Raumkapsel auf einer Rakete und starten zur Internationalen Raumstation oder zum Mond, hätten Sie da Bauchschmerzen?

Im Vorfeld eines Starts ist man sicher aufgeregt und gespannt. Aber man erhält ein sehr gutes Training für diese Situation. Da wird gelernt, wie man auf jede Art von Fehlfunktion oder einen Notfall reagiert. Der reale Start fühlt sich dann an wie die Simulationen am Boden, die man zuvor durchgeführt hat. Das habe ich zumindest gelesen und von Leuten gehört. Daher, denke ich, werde ich auch ruhig in der Raumkapsel sitzen können.

Wann geht es los mit dem Training bei der ESA?

Im April 2023.

Werden Sie dann Ihren Job als Arzt im Spitalzentrum Biel kündigen?

Ja, leider.

Und was kommt dann auf Sie zu?

Ganz genau weiss ich das noch nicht. Aber es wird sicher eine Basisausbildung geben. Die dauert ein Jahr. Da werden wir viel über Weltraumpolitik und Weltraumtechnologie lernen, machen Tauchgänge, um Schwerelosigkeit zu simulieren, absolvieren ein Überlebenstraining und lernen die Steuerung von Roboterarmen. Danach werden wir einer konkreten Mission zugeteilt. Dann beginnt das missions­spezifische Training.

Wann wäre der frühestmögliche Termin für Sie, um ins All zu fliegen?

Der erste Astronaut oder die erste Astronautin aus unserer Klasse wird nicht vor 2026 fliegen. Wer das sein wird, wissen wir natürlich noch nicht.

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