Veredelte Produkte im Atelier VWo das Hirschfilet an Salami erinnert
Im Restaurant des Hotels Renaissance in Zürich-West wird aussergewöhnliches Fine Dining geboten: vor den Augen der Gäste und dank ganz viel Zeit.
Manchmal braucht es sehr wenig, um uns vollauf zufriedenzustellen. Wer uns zum Start gutes Brot und ebensolche Butter serviert, trifft beispielsweise ins Schwarze. Im Atelier V ist die Butter geräuchert und mit fermentiertem schwarzem Knoblauch und Miso gemischt. Ein wahres Umami-Feuerwerk, von dem wir bald eine zweite Portion bestellen.
Es ist auch eine gute Einstimmung auf den Abend in Zürich-West, welcher ganz im Zeichen der Geschmacksintensivierung steht. Diese erreichen die Köche, indem sie die Produkte fermentieren, einmachen oder mit Edelschimmel behandeln.
Das Atelier V ist ein kleines Lokal im Renaissance Zürich Tower Hotel, ersonnen von Chefkoch Raphael Kuster. Hier war einst die VIP-Lounge des Hotels untergebracht, bis diese vom Erdgeschoss in den 15. Stock hochgezügelt wurde. Kuster stand rasch mit seinem vorerst bis Ende März begrenzten Konzept bereit, der Raum befindet sich direkt neben der bestehenden Küche.
In dieser bewegen sich Kuster und sein Kollege Maté Schneider kaum. Sie arbeiten stattdessen im Atelier V mitten unter den Gästen, an einer eigens dafür hergerichteten Werkbank. Diese dürfen den Köchen dabei über die Schultern schauen, wie sie die Teller anrichten.
Natürlich beeindrucken ihre Handgriffe. Aber die wirkliche Magie im Atelier V kann man nicht sehen: Sie braucht zu viel Zeit. Die hauseigene Shoyu-Sauce aus Gelberbsen etwa muss ein halbes Jahr fermentieren, ehe sie zum Würzen verwendet werden kann. Und der Apfel im Dessert wurde zwei Monate lang bei 60 Grad vergoren.
Auf den Tellern des Siebengängers (240 Fr. inklusive Getränkebegleitung, mit oder ohne Alkohol, auch vegetarisch oder vegan) fügen sich die einzelnen Produkte dann zu sehr harmonischen Kompositionen zusammen. Das ist die Haupterkenntnis dieses Fine-Dining-Menüs: Die erwähnten Techniken verleihen den einzelnen Bestandteilen nicht primär mehr Kraft, aber sehr viel Harmonie.
Kann man zu grosszügig sein?
Das spüren wir bei der kaltgeräucherten Lachsforelle, die in einem köstlichen Muschelsud liegt. Oder bei der kräftigen Ente, die von Randen und Randenmiso begleitet wird und ein zusätzliches Geschmacksplus von einer Chicken-Wing-Würzsauce erhält. Und schliesslich beim Hauptgang, einem Hirschfilet, das mit Koji-Schimmelsporen versetzt wurde. Einen ähnlichen weissen Schimmelbelag kennen wir auch von der Salami, tatsächlich gibt es geschmacklich Parallelen zu dieser. Neben den Fleischtranchen liegen gebratene Scheiben vom trendigen Edelpilz Igelstachelbart – ein fast schon fleischiger Genuss.
Zum Signature-Dish hat sich in den sozialen Medien bereits eines der beiden Desserts entwickelt, bestehend aus einer Blütenpollen-Pannacotta, welche in einer ästhetischen Wabenform serviert wird – unter anderem zusammen mit dem erwähnten vergorenen Apfel.
Insgesamt hinterlässt der Abend einen bleibenden Eindruck. Wegen der harmonischen Kombinationen auf den Tellern. Und wegen des flüssigen Teils: Unsere Bedienung schenkt die vier tollen Weine der Menübegleitung (Pouilly-Fumé, Burgunder Chardonnay, Maienfelder Pinot Noir, Châteauneuf-du-Pape) so grosszügig ein, dass wir deren Effekt auch am Morgen danach noch spüren. Weshalb wir mit etwas schwerem Kopf über folgende Fragen sinnieren: Kann es auch ein Zuviel an Grosszügigkeit geben? Oder nur ein Zuwenig an Selbstkontrolle?
Atelier V, Turbinenstrasse 20, 8005 Zürich, Mi+Do ab 19 Uhr, atelier-five.ch
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