Turboverfahren für AsylsuchendeBaume-Schneider will Nordafrikaner abschrecken
Innerhalb von 24 Stunden sollen Flüchtlinge aus Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen einen Bescheid erhalten. Die Justizministerin erhofft sich davon weniger Gesuche.
Das Asylsystem ist stark ausgelastet. Nun will Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP), dass ein Teil der Gesuche in einem Schnellverfahren behandelt wird: In Zürich werden zurzeit 24-Stunden-Verfahren getestet. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) bestätigt auf Anfrage dieser Redaktion, dass vergangene Woche ein Pilotversuch begonnen hat. Er dauert bis Ende Februar 2024.
Das Ziel: Sämtliche Arbeitsschritte, die für den Asylentscheid relevant sind, sollen am ersten Tag nach der Ankunft in der Schweiz durchgeführt werden. Solche Schnellverfahren werden für Personen aus Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen angewandt.
Diese machen einen erheblichen Teil der Asylsuchenden aus: Im laufenden Jahr stammten 22 Prozent aller Asylgesuche von Personen aus Nordafrika – obwohl die wenigsten als Flüchtlinge anerkannt werden. Weniger als 2 Prozent der Ankömmlinge aus Marokko, Algerien und Tunesien erhielten im laufenden Jahr Asyl. (Lesen Sie zum Thema: Erstmaliger Einblick ins Asylwesen: «Da draussen ist die Schweiz», sagen die Kinder im Asylcamp)
Über 20 Prozent der Gesuche
Die meisten werden ins Herkunftsland oder in einen anderen Dublin-Staat zurückgeschickt. Bis zur Abreise besetzen sie aber Plätze in Asylunterkünften. In den Kantonen sorgt das besonders für Unmut, wenn die Plätze knapp sind.
Betroffen sind allerdings auch Personen aus Libyen, die tatsächlich Schutz benötigen: Im laufenden Jahr wurden 10 Prozent der Asylsuchenden aus Libyen als Flüchtlinge anerkannt. Dass für Libyerinnen und Libyer trotzdem Schnellverfahren durchgeführt werden, erklärt das SEM mit Täuschungsversuchen: Viele Personen aus anderen nordafrikanischen Staaten gäben Libyen als Herkunftsstaat an. Die Behörden wollen nun auch die tatsächliche Herkunft innerhalb von 24 Stunden klären, mittels Analysegesprächen.
«Eine Fehlbeurteilung kann für die Geflüchteten schwerwiegende Konsequenzen haben.»
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) steht den Turboverfahren kritisch gegenüber. Die Verfahren seien ohnehin schon stark beschleunigt, argumentiert sie. Eine weitere Verkürzung berge die Gefahr, dass Asylgründe nicht ausreichend abgeklärt würden. «Eine Fehlbeurteilung kann für die Geflüchteten schwerwiegende Konsequenzen haben», schreibt die SFH. Auch könnten vulnerable Personen – beispielsweise Traumatisierte – in diesem Tempo nicht erkannt und unterstützt werden.
Das SEM hingegen versichert, auch die Schnellverfahren würden rechtsstaatlich korrekt und fair durchgeführt. So hätten die Betroffenen – wie alle Asylsuchenden – Anspruch auf eine unentgeltliche Rechtsvertretung. Sämtliche Verfahrensgarantien blieben gewahrt. Das bedeutet freilich auch, dass die meisten die Schweiz nicht bereits nach einem Tag wieder verlassen werden, wie das Label «24-Stunden-Verfahren» suggeriert. Neben Rekursen nimmt vor allem die Identifikation Zeit in Anspruch.
Das Bundesasylzentrum effektiv nach einem Tag verlassen müssen nur jene, die ihre Mitwirkungspflichten verletzen. In diesem Fall wird das Asylverfahren eingestellt – ohne Beschwerdemöglichkeit. Die Mitwirkungspflicht ist beispielsweise dann verletzt, wenn ein Asylsuchender zu einem Termin nicht erscheint. Im Schnellverfahren mit mehreren Terminen an einem Tag steigt die Wahrscheinlichkeit dafür.
Bund setzt auf Signalwirkung
Die Behörden hoffen jedenfalls, dass die durchschnittliche Aufenthaltszeit in der Unterkunft ein wenig sinkt. Vor allem aber hoffen sie, dass die Schnellverfahren Nordafrikaner davon abhalten, überhaupt in der Schweiz ein Asylgesuch zu stellen. Das Ziel der Massnahme sei die «Signalwirkung» auf Personen, die nicht auf Schutz angewiesen seien, schreibt das SEM.
Funktioniert das tatsächlich? Für Personen aus Nordafrika gab es schon früher Schnellverfahren. Ab 2012 hiessen sie 48-Stunden-Verfahren, später Fast-Track-Verfahren. Faktisch dauerten sie allerdings stets länger als 48 Stunden – vor allem wegen der Papierbeschaffung im Herkunftsland, die weiterhin nötig sein wird.
Seit der Asylreform, die 2019 in Kraft getreten ist, werden die Gesuche aus Ländern mit niedriger Schutzquote prioritär behandelt – im beschleunigten Verfahren, das durchschnittlich rund 90 Tage dauert. Das SEM betrachtet das 24-Stunden-Verfahren als «Weiterentwicklung» davon.
Konter auf rechte Kritik
Die Wirkung von Schnellverfahren und prioritärer Behandlung lässt sich laut dem SEM nicht beziffern, da man nicht weiss, wie viele Personen dadurch abgehalten wurden, ein Asylgesuch zu stellen. Erfahrungsgemäss hielten rasche Asylentscheide aber Personen aus Herkunftsstaaten mit einer sehr tiefen Schutzquote «in vielen Fällen» davon ab, ein Asylgesuch einzureichen.
Die Flüchtlingshilfe bezweifelt das: Die Forschung zeige, dass die Hauptfaktoren für die Wahl des Ziellandes nicht die Asylverfahren im jeweiligen Land seien, sondern Familie, Communities, Sprache und kulturelle Nähe. Zum Pilotprojekt fordert sie eine externe Evaluation. So oder so dürften die 24-Stunden-Verfahren SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider dazu dienen, Kritik und Verschärfungsvorschläge von rechter Seite zu kontern.
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