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Interview zu Kunst und Aktualität
«Zeitgenössische Kunst ist politischer geworden»

Dirk Boll: «Der Ukrainekrieg hat eine relativ geringe Auswirkung auf die Kunstmärkte, weil die russische Kaufkraft schon in den Jahren vor Kriegsbeginn zurückgegangen war.»
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Kaum jemand kennt sich auf dem Kunstmarkt besser aus als der Jurist und Kulturmanager Dirk Boll, dessen Karriere ihn bis in die Chefetagen des international tätigen Auktionshauses Christie’s geführt hat. Regelmässig wartet Boll mit Publikationen zum Kunstmarkt auf. Die Märkte seien etwa seit zehn Jahren auf einer Art Hochplateau, stellt er fest.

In diesen Tagen erscheint sein Handbuch über den Kunstmarkt bei Hatje Cantz, das in vielen Punkten auch auf Kunstmessen eingeht. Wir haben ihn kurz vor seiner Reise nach Basel am Telefon gesprochen.

Besuchen Sie die Art wegen der Bilder? Sind Sie womöglich selbst Kunstsammler? Oder besuchen Sie sie wegen der sozialen Kontakte?

Die Antwort ist eine Kombination aus allen drei Fragen. Ich sammle selbst Kunst, aber nicht auf dem Niveau der Art Basel. Ich kaufe in eher kleinen Galerien die Werke von jungen Kunstschaffenden, die sich noch in den Institutionen und auf den Märkten beweisen müssen. Ich finde es aber interessant aus beruflicher Perspektive, was für Werke an der Art Basel angeboten werden. Das Angebot an Kunst auf der Messe reflektiert den aktuellen Geschmack der Sammlerschaft. Man kann viel über aktuelle Trends lernen. Und die Art ist, besonders an den Eröffnungstagen, wie ein Familienfest. Ich sehe da viele Menschen, mit denen ich schon gearbeitet habe. Das macht Spass.

Wozu drängen jedes Jahr Hunderte von Galerien und Tausende von Besuchern an die Art Basel, wenn ein immer grösserer Teil des Kunsthandels über digitale Kanäle stattfindet?

Es gibt wahrscheinlich keine bessere Möglichkeit, ein Kunstwerk zu erfahren, als sich davor zu stellen und mit all seinen Sinnen wahrzunehmen. Das gilt nicht nur für Skulpturen, das gilt auch für Gemälde, Textilien, Keramiken und Videos.

Impression von der Art Basel 2023.

Ist das Internet kein Ersatz für die reale Begegnung mit Kunst?

Nein. Das Internet ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich zu informieren und Objekte oder Werke zu erwerben. Aber die Begegnung mit Kunst ersetzt es nicht. Kommt dazu, dass man im Internet meist nur das findet, was man sucht, während man an einer Messe unzählige Werke entdecken kann, von denen man bisher nichts wusste.

Hat die Covid-19-Pandemie den Kunstmarkt in eine Krise geführt?

Nach der Pandemie gab es keine Krise, sondern zunächst einen Boom des Kunstmarkts. Viele Leute haben in der Pandemie Geld gespart oder viel Geld verdient, weil sie in Bereichen unterwegs sind, die damals sehr gefragt waren. Deswegen waren das sehr erfolgreiche Jahre für die Kunstmärkte, zuerst im Westen, später in Asien. Wir sind jetzt wieder zurück auf einem als normal zu bezeichnenden Markt, denn die Märkte sind eigentlich seit zehn Jahre auf einer Art Hochplateau. Wir sehen allerdings auch, dass im Bereich der ganz teuren Kunst und in den unteren Preiskategorien die Verkäufe besser laufen als im mittleren Bereich. Das ist eine Parallele zum Markt mit industriell hergestellten Luxusgütern.

Was verstehen Sie unter mittlerem Bereich im Kunstmarkt?

Vielleicht alles zwischen 50’000 und 500’000 Franken.

Wenn nur noch jene Bilder ins Schaufenster gestellt werden, die hohe Preise erzielen, bekomme ich da als Besucher einer Messe nicht ein verzerrtes Bild des aktuellen Kunstschaffens?

Das ist absolut richtig. Es gibt einen Überschuss an zeitgenössischer Kunst, die keinen Markt hat. Und es gibt historische Positionen, für die es keinen oder noch keinen Markt gibt. Aber dasselbe gilt auch für Museen. Auch sie bilden nicht die ganze Bandbreite an Kunst ab.

Gemälde aus der aktuellen Ausstellung des Kunstmuseums Gegenwart in Basel: «Le modèle noir, d’après Félix Vallotton» von Roméo Mivekannin.

Welche Rolle spielen die Museen bei der Bildung unseres Kunstgeschmacks bzw. bei der Kanonisierung der Kunst?

Museen wollen reflektieren, was die für die Gesellschaft relevante Kunst ist. Die Kunstmärkte basieren auf dieser Kanonisierung durch die Museen. Was die Museen für bedeutsam erachten, erfährt auf dem Markt eine grössere Nachfrage.

Sind Auktionshäuser und Kunstmessen Konkurrenten auf dem Kunstmarkt?

Natürlich konkurrieren die Unternehmen der Kunstmärkte miteinander. Das gilt aber nicht nur für Galerien gegenüber Auktionshäusern, sondern auch unter den Galerien. Wenn ein Œuvre entdeckt wird, dann gibt es eine Konkurrenz unter den Galerien, die den Künstler, die Künstlerin vertreten wollen. Genauso ist es mit den Auktionshäusern. Wenn es einen Nachlass gibt, der versteigert werden soll, konkurrenzieren sich die Auktionshäuser mit möglichst attraktiven Angeboten, unter denen die Erben oder Nachlassverwalter wählen können.

Die erste Ausstellung in der Basler Filiale der Mega-Galerie Hauser & Wirth ist dem dänischen Maler Vilhelm Hammershoi gewidmet.

Stossen Galerien wie Gagosian und Hauser & Wirth, die aktuell Donald Judd und Vilhelm Hammershoi ausstellen, in Bereiche vor, die traditionell Auktionshäusern vorbehalten sind?

Wir sehen hier eine Aufweichung der klassischen Grenzen zwischen Galerie und Kunsthandel. Früher war es ja so, dass sich Galerien mit den Werken lebender Künstler und der Kunsthandel sich mit historischen Positionen befasste. Zum andern ist eine Auflösung der Grenzen zwischen Kunsthandel und Auktionshandel zu beobachten. Mit den Privatsales dringen die Auktionshäuser in eine Domäne vor, die traditionell dem Kunsthandel oblag. Auf allen Ebenen vermischt sich das. Die grossen Unternehmen bieten alle diese Dienstleistungen, die früher nur entweder von Galerien oder Kunsthändlern oder Auktionshäusern zu bekommen waren.

Welche Auswirkungen auf den Handel mit Kunst hat der Ukrainekrieg?

Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine waren ziemlich direkt spürbar, weil sich eine sehr starke antirussische Haltung in der westlichen Welt bemerkbar machte. Formate wie Russian Art, mit denen die Auktionshäuser Kunst aus Russland gebündelt haben, wurden eingestellt. Niederlassungen in Russland wurden geschlossen. Das hat allerdings eine relativ geringe Auswirkung auf die Märkte, weil die russische Kaufkraft schon in den letzten Jahren zurückgegangen war.

Und der Gaza-Konflikt?

Da geht es weniger um ökonomische Auswirkungen, als um eine gesellschaftliche, kulturelle Entwicklung, die einen Bekenntnisdruck aufbaut. Als Individuum, als Stiftung oder Unternehmen ist man aufgefordert, zu bekennen, auf welcher Seite man steht. Das ist generell für Kunst und Kultur kontraproduktiv, denn Kunst als Sprache soll ja gerade Konflikte überwinden helfen.

Welche Auswirkungen haben diese Kriege oder die geopolitische Lage allgemein auf die Inhalte der Kunst?

Man kann sagen, dass die zeitgenössische Kunstproduktion in den letzten Jahren politischer geworden ist. Das war in vorhergehenden Jahrzehnten weniger ausgeprägt. Im Rückblick auf die Kunstgeschichte muss man sagen, dass gerade die Kunst, die auf aktuelle politische Konflikte reagiert hat, im Nachhinein als besonders interessant angesehen wird. Ob sie dann gut ist, liegt am Talent der Kunstschaffenden.

Warum plädieren Sie in Ihrem neuen Buch dafür, dass Kunstmuseen Bilder aus ihren Sammlungen verkaufen können?

Ich verstehe meine Aussage nicht als Plädoyer für das Deaccessioning, wie die Amerikaner sagen. Die Regeln der internationalen Museumsvereinigung und der Vereinigung amerikanischer Museumsdirektoren verbieten den Verkauf aus den Museumssammlungen nicht, sondern schreiben lediglich vor, dass der Erlös der Verkäufe nicht für die Betriebskosten verwendet wird, sondern für Ankäufe von Kunstwerken für die Sammlung. In Amerika sind Verkäufe an der Tagesordnung, während in Europa grosse Vorbehalte bestehen. Ich finde, dass auch in Europa das Verkaufen von Bildern zu einem Teil der Sammlungsstrategie von Museen werden soll.

Die Museen sind doch Archive der Geschichte, der Kultur, des Lebens. Wollen Sie das leichtfertig aufs Spiel setzen?

Diese Praxis belastet die Museen mit sehr grossen Lagern mit Objekten, die nicht museal sind und das auch nie werden. Sie bleiben in den Depots und machen die Museen träge und unfähig, sich zu erneuern. Hier könnte man ansetzen und mit gezielten Verkäufen den Museen Mittel in die Hand geben, ihre Sammlungen zu modernisieren. Einige Objekte könnte man auch in digitaler Form, als Film oder als Fotografie, aufbewahren und die Originale freigeben, um Platz zu gewinnen.

Weizenfeld Messeplatz Basel, für die Art Basel. Dienstag 28. Mai 2024 Foto © nicole pont

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Ethik-Themen vor allem die Mittelklasse interessieren und weniger das eine Prozent, das zu den kaufkräftigsten Kunstsammlern gehört. Findet vor diesem Hintergrund das Weizenfeld der amerikanischen Künstlerin Agnes Denes, das auf dem Messeplatz in Basel zu sehen ist und zu mehr Umweltbewusstsein aufruft, überhaupt sein Publikum?

Die Art Basel hat ein Publikum, das viel grösser ist als das obere eine Prozent, dessen Lebensstil zuweilen im Konflikt mit Nachhaltigkeitsgedanken steht. Wir haben es auf Kunstmessen durchaus mit einer oberen Mittelklasse zu tun, die auf Ethikthemen anspricht. Zudem hat das Weizenfeld auf dem Messeplatz eine Sichtbarkeit, die weit über das Messepublikum hinausgeht, sodass das ökologische Signal auch von der breiteren Bevölkerung wahrgenommen werden dürfte.