Lücke bei der VerteidigungArmee drückte bei Raketenabwehr aufs Tempo – hält dann aber eigene Frist nicht ein
Der Bund wollte «schnellstmöglich» ein neues System zur Luftverteidigung, hat nun aber selbst Verspätung. Gleichzeitig will das Parlament mit 200 Millionen Franken die Beschaffung vorziehen.
- Die Armee erhält 2025 eine halbe Milliarde Franken zusätzlich.
- Damit soll sie unter anderem den Kauf eines Luftverteidigungssystems um ein Jahr vorziehen.
- Auf dem Tisch liegt nur ein Angebot– weil der Bund eine so kurze Frist für die Offerten setzte.
- Nun nimmt sich Armasuisse viel Zeit für den Entscheid. Ob eine schnellere Lieferung überhaupt möglich sein wird, ist noch offen.
Die Armee wird nächstes Jahr eine halbe Milliarde Franken mehr für ihre Einkäufe erhalten als ursprünglich geplant. Dies hat das Parlament entschieden, wobei die beiden Räte nach wie vor darüber feilschen, wie sie das kompensieren wollen. Und das Parlament macht auch gleich eine Vorgabe, wofür die Armee rund ein Drittel dieses Gelds verwenden soll: Für ein System zur bodengestützten Luftverteidigung (Bodluv) mittlerer Reichweite, das Raketen oder Drohnen abwehren kann.
Das Bundesamt für Rüstung soll mit 200 Millionen Franken eine erste Anzahlung leisten – insgesamt darf das System bis zu 660 Millionen kosten. Dank des zusätzlichen Geldes soll der bereits geplante Kauf um ein Jahr vorgezogen werden. Dabei ist der Beschaffungsprozess derzeit verspätet. Dies bestätigt das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) auf Anfrage dieser Redaktion.
Brisant ist dies aus zwei Gründen: Einerseits fragt sich, ob es angesichts dieser Verspätung überhaupt möglich ist, die neuen Bodluv-Systeme mit der Armeebotschaft 2024 zu beschaffen. Die Armasuisse bejaht dies. Sprecherin Samantha Leiser schreibt aber auch, es sei noch offen, ob die Systeme effektiv schneller ausgeliefert werden könnten als geplant: «Die Modalitäten zu möglichen Auslieferungszeitpunkten werden derzeit diskutiert.» Genauere Angaben seien aktuell nicht möglich.
Andererseits irritiert die Verspätung deshalb, weil Armasuisse den Bodluv-Herstellern im Frühling deutlich weniger Zeit einräumte als üblich, um ein Angebot einzureichen.
Man gab den Firmen zweieinhalb Monate – normalerweise ist die Frist gemäss Branchenkennern mindestens doppelt so lang. In der Folge offerierte nur eine einzige Firma. Das war der Armee zuvor noch nie passiert.
Veraltete Flugabwehrkanonen ersetzen
Armasuisse nahm die Monopolstellung der deutschen Firma Diehl Defence in Kauf. Aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage und der dadurch bedingten längeren Lieferzeiten müsse der Kauf der Luftabwehr mittlerer Reichweite «schnellstmöglich» abgewickelt werden, hiess es damals. Denn: Das System leiste «einen wichtigen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit der Schweiz». Dies insbesondere, weil die heutigen Schweizer Flugabwehrkanonen veraltet sind und nur auf sehr kurzen Distanzen funktionieren. Zwar hat der Bund bereits amerikanische Patriot-Systeme bestellt, die Langstreckenraketen auf grosser Distanz abwehren können. Doch die werden sich verspäten, weil der Hersteller Lieferungen an die Ukraine vorzieht.
Nachdem klar war, dass nur eine Offerte eintreffen würde, stellte Armasuisse in Aussicht, das schnelle Tempo weiterzuführen und den Auftrag bis spätestens Ende September zu vergeben. Dies setzte neben den Kosten voraus, dass der deutsche Hersteller Diehl Defence ein Angebot einreiche, welches «den Anforderungen von Armasuisse entspricht», hiess es im Sommer in einer Medienmitteilung.
Bund provoziert ein Monopol – und lässt sich dann Zeit
Diese Frist ist längst abgelaufen. Trotzdem hat Armasuisse den Auftrag noch immer nicht vergeben. Das legt den Schluss nahe, dass entweder die Kosten zu hoch waren oder die Anforderungen nicht erfüllt wurden. Leiser schreibt allerdings: «Wir sehen aktuell keine Gründe, die gegen die Beschaffung des Systems von Diehl sprechen würden.» Auf die Frage nach den Gründen der Verspätung wird Leiser nicht konkret. Sie führt nur an, man prüfe noch, welche Vorteile für die Schweiz entstünden, falls die Luftverteidigung via European Sky Shield Initiative (Essi) vollzogen würde.
Weshalb also manövrierte sich der Bund in eine Situation, in der er mit einem faktischen Monopol konfrontiert ist – wenn er sich nun doch Zeit lässt mit dem Entscheid? Leiser schreibt dazu: «Zu einer Beschaffung von dieser strategischen und finanziellen Tragweite gehört es sich, dass diese gut abgestützt, für den Bund aus vertraglicher Sicht optimal und in der Zusammenarbeit mit der Lieferantin langfristig aufgesetzt ist.»
Zwar ist die Schweiz Essi, einer europäischen Beschaffungsallianz für Luftverteidigung, erst im Oktober formell beigetreten. Den Beschluss zum Beitritt fällte der Bundesrat aber schon im April – also noch vor dem Einholen der Offerten. Und bevor Armasuisse die Fristen für die Beschaffung bekannt gab.
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