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Antisemitismus an US-Hochschulen
Der Fall der Claudine Gay

FILE - Harvard University President Claudine Gay speaks during a hearing of the House Committee on Education on Capitol Hill, Dec. 5, 2023, in Washington. Gay resigned Tuesday, Jan. 2, 2024, amid plagiarism accusations and criticism over testimony at a congressional hearing where she was unable to say unequivocally that calls on campus for the genocide of Jews would violate the school?s conduct policy. (AP Photo/Mark Schiefelbein, File)
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Zuletzt stand Claudine Gay nicht nur wegen Antisemitismus an der Harvard University und ihrer Reaktion als Präsidentin darauf unter Druck, sondern auch wegen sich häufender Plagiatsvorwürfe. Womöglich hätte sie eines der beiden Themen abmoderieren können, doch in dem Kampf an zwei Fronten hat sie sich aufgerieben. Am Dienstag ist Gay als Präsidentin von Harvard zurückgetreten. Sie war seit Gründung der Universität im Jahr 1636 die erste Afroamerikanerin auf dem Posten und erst die zweite Frau.

Gay war landesweit in den Fokus geraten, als sie am 5. Dezember in einer Anhörung im Kongress auf einige sehr konkrete Fragen sehr ausweichende Antworten gab. Die republikanische Kongressabgeordnete Elise Stefanik wollte zum Beispiel wissen, ob der Aufruf zum Völkermord an Juden gegen die Regeln in Harvard verstosse. Ja oder nein wollte sie wissen. Gay sagte, es komme auf den Kontext an. Sie differenzierte ihre Antwort anschliessend mehrmals und verurteilte jede Form von Antisemitismus, doch das ging im medialen Getöse unter.

Trump-Republikaner haben mit Elite-Unis nichts am Hut

Übrig blieb in der öffentlichen Wahrnehmung allein, dass Gay gesagt hatte, ob der Aufruf zum Völkermord an Juden gegen die Campus-Regeln verstosse, sei eine Frage des Kontextes. Für sich allein genommen eine ungeheuerliche Aussage, zumal von der Präsidentin der vielleicht bekanntesten Universität der westlichen Welt.

Ausser Gay sassen Elizabeth Magill, Präsidentin der Universität von Philadelphia, und Sally Kornbluth, Präsidentin des MIT, in der Anhörung. Auch sie beantworteten die Frage der Abgeordneten nicht mit Ja oder Nein, sondern versuchten, differenzierte Antworten zu geben. Zum Beispiel stellten sie in ihren Ausführungen die Frage in den Raum, ob an den Unis wirklich explizit zum Völkermord aufgerufen worden war. Eine berechtigte Frage, doch in der aufgeheizten Stimmung wirkte das wie Wortklauberei.

Elise Stefanik hat sich einen Namen als getreue Gefährtin von Donald Trump gemacht, besonders in dessen erstem Amtsenthebungsverfahren trat sie als unermüdliche Verteidigerin des ehemaligen Präsidenten auf. Frühere Kommilitonen hatten sich damals verwundert darüber gezeigt, dass die früher so moderate Stefanik plötzlich am rechten Rand der Republikaner als Teil der Trump-Bewegung auftauchte. Stefanik hat in Harvard studiert.

Heute tritt sie ihrer Alma Mater und, wie es scheint, der gesamten akademischen Welt mit Zorn gegenüber. Ihre Befragung der Präsidentinnen war geprägt von Aggressivität und einer Herablassung, die bisweilen an Verachtung grenzte. Ihre Parteifreunde stellten ihre Fragen in einem ähnlichen Stil. Die Trump-Republikaner haben mit den Elite-Universitäten nichts am Hut, sie vermuten dort einen woken Mob. Wählerstimmen bekommen sie dort ohnehin kaum.

Gay hat keine Ideen gestohlen

Die Anhörung des 5. Dezember war in Teilen keine Befragung, sondern ein Tribunal. Dennoch war es eine Überraschung, dass die Universitäts-Präsidentinnen einen derart verheerenden Eindruck hinterliessen, obwohl sie sich alle drei mit Anwälten ausführlich vorbereitet hatten. Sie klangen formelhaft, sie verschanzten sich hinter Floskeln. Im Bemühen, bloss keinen Fehler zu machen und keine Angriffsflächen zu bieten, begingen sie Fehler um Fehler.

Elizabeth Magill von der Penn University ist bereits wenige Tage nach der Anhörung zurückgetreten. Dass Gay nun den gleichen Schritt vollzieht, obwohl Harvard sich zunächst hinter sie gestellt hatte, liegt auch daran, dass in den vergangenen Wochen immer neue Plagiatsvorwürfe aufgetaucht sind. Es begann im Oktober mit anonymen Vorwürfen, die der «New York Post» zugespielt worden waren. Das Blatt stellte eine Anfrage an die Uni. Diese leitete daraufhin eine Untersuchung ein.

Im Dezember tauchten mehrmals neue Vorwürfe auf. Die Untersuchung der Vorwürfe vom Oktober ergab laut Harvard, dass Gay einige Fehler beim Zitieren gemacht, aber keine Ideen gestohlen habe. Eine Untersuchung der neuen Vorwürfe förderte weitere Zitierfehler zutage, aber nach Angaben der Uni «kein wissenschaftliches Fehlverhalten». Doch nach einem neuerlichen Schwung an Plagiatsvorwürfen gab Gay ihren Posten nun auf. Erneut ging es um fehlerhaftes Zitieren.

Elise Stefanik: «Rücktritt lange überfällig»

Das mag nicht die schwerste Sünde sein, aber zum einen gilt es in akademischen Kreisen als Hinweis darauf, dass womöglich noch mehr nicht stimmt, zum anderen muss man von einer Harvard-Präsidentin erwarten, dass sie zu 100 Prozent sauber arbeitet.

In einem Statement schrieb Gay am Dienstag: «Schweren Herzens und mit tief empfundener Liebe für Harvard teile ich mit, dass ich als Präsidentin zurücktrete.» Dieser Schritt sei das Beste für sie und für die Universität.

Es dauerte nicht lang, bis Elise Stefanik in den sozialen Medien reagierte, gewohnt aggressiv. Der Rücktritt der «antisemitischen Plagiats-Präsidentin» sei lange überfällig, schrieb sie, und er sei nur der «Anfang des grössten College- oder Universitätsskandals der Geschichte». Was sie damit im Detail meinte, führte sie nicht aus.

Gay kehrt nach Harvard zurück

Nachdem Stefanik zudem behauptet hatte, das Aus von Claudine Gay sei vor allem ihr Verdienst, meldeten sich bald weitere Republikaner zu Wort, die geltend machten, der Rücktritt sei vielmehr ihnen zu verdanken. Der Abgeordnete John James aus Michigan schrieb zum Beispiel, Gays Rücktritt erfolgte, «nachdem ich sie im vergangenen Monat gefragt habe, was sie tun würde, um Antisemitismus zu bekämpfen». Es wirkte wie ein Wettkampf darum, wer behaupten darf, Gay zu Fall gebracht zu haben.

Wenig später schaltete sich der konservative Aktivist Christopher Rufo in die Debatte ein. Ihm zufolge sei Gay allein seinetwegen zurückgetreten, weil er die Plagiatsvorwürfe unermüdlich auf sozialen Medien verbreitete. Er schrieb: «Meine Strategien, wie unorthodox sie auch sein mögen, haben sich als erfolgreich erwiesen und Korruption aufgedeckt, sie haben die öffentliche Meinung geändert und für Bewegung in den Institutionen gesorgt.»

Gay hatte ihren Posten erst im Juli des vergangenen Jahres angetreten. Sie ist damit die Harvard-Präsidentin mit der kürzesten Amtszeit in der knapp 400 Jahre währenden Geschichte der Universität. Vor ihrer Ernennung war sie Dekanin der geisteswissenschaftlichen Fakultät, einer der grössten in Harvard. An diese Fakultät wird sie nun zurückkehren.