Anschlag auf Tesla-WerkWer ist die «Vulkangruppe», die Elon Musks Gigafabrik lahmlegte?
Eine ähnlich schwerwiegende Sabotage gab es in Deutschland vermutlich noch nie. Ein Bekennerschreiben gibt Aufschluss über die Anarchisten.
Seit mehr als zehn Jahren zünden sie in und um Berlin Stromkabel an, aber so gravierend waren die Folgen noch nie. Nach dem Anschlag auf einen Hochspannungsmast im Südosten der Hauptstadt fiel am frühen Dienstagmorgen in sechs Gemeinden der Strom aus. Zehntausende von Menschen waren betroffen, auch Spitäler und Altersheime.
Vor allem aber wurde eine der grössten Elektroautofabriken Europas ausgeknipst – die Gigafactory des US-Herstellers Tesla im brandenburgischen Grünheide, in der 12’000 Menschen arbeiten. Der Stromausfall ist offenbar so verheerend, dass das Werk den Betrieb erst übernächste Woche wieder aufnimmt. Die Schäden gingen wegen des langen Unterbruchs der Produktion in die Hunderte von Millionen Euro, meint Tesla. Selbst wenn die Zahl übertrieben sein sollte: Eine ähnlich schwerwiegende Sabotage gab es in Deutschland vermutlich noch nie.
Strom- und Datenkabel sowie Funktürme im Visier
Schon sieben Stunden nach dem Anschlag wurde ein Bekennerschreiben auf der linksextremistischen Website Indymedia veröffentlicht. Die sogenannte Vulkangruppe bezichtigte sich darin, Tesla abgeschaltet zu haben; die Polizei erklärte das Schreiben für authentisch.
Die Vulkangruppe ist Kennerinnen und Kennern der linksextremistischen Szene seit Jahren ein Begriff. Und dennoch weiss selbst der Berliner Landesverfassungsschutz im Grunde nur sehr wenig über sie. 2011 trat sie erstmals in Erscheinung, seither steckte sie regelmässig Strom- und Datenkabel sowie Funkmasten in Brand. Zuletzt kappte sie 2020 etwa die Stromleitung zum Hersteller der deutschen Corona-App, 2021 mehrere Kabel zur Baustelle von Tesla.
Anarchistisch mit antikapitalistischer Schlagseite
Die Schreiben der Gruppe sind meist mit Namen isländischer Vulkane unterzeichnet, daher deren Name. Aufgrund des ähnlichen Aufbaus, Inhalts und Stils von acht Bekenntnissen und eines 2015 entworfenen Strategiekonzepts geht der Berliner Verfassungsschutz davon aus, dass der personelle Kern der Gruppe vermutlich fest sei. Wer ihr angehört, ist jedoch unbekannt.
Im Bericht des Inlandgeheimdienstes von 2019 wird die Gruppe als «anarchistisch» klassifiziert. Ihre Sabotageakte «sollen die Verwundbarkeit der urbanen Mobilitäts- und Kommunikationsinfrastruktur offenbaren, die öffentliche Ordnung stören und erheblichen Sachschaden anrichten», heisst es auf Seite 152 in einer Übersicht über antikapitalistische Gruppen.
Das Bekennerschreiben der Vulkangruppe zum jüngsten Anschlag auf Tesla ist 18’000 Zeichen lang (fast viermal so lang wie dieser Artikel) und liest sich wie ein Fiebertraum anarchoantikapitalistischer Revolutionspoesie. «Wir haben heute Tesla sabotiert», hebt der Text an. «Denn Tesla in Grünheide frisst Erde, Ressourcen, Menschen, Arbeitskraft und spuckt dafür 6000 SUVs, Killermaschinen und Monstertrucks pro Woche aus.» Tatsächlich produziert Tesla bei Berlin ausschliesslich Mittelklasse-Limousinen vom Model Y, 700 am Tag.
Der Brandanschlag sei «ein Leuchtfeuer gegen Kapital, Patriarchat, Kolonialismus und Tesla», heisst es gegen Ende des Schreibens. Die verschiedenen, teils schillernden, teils irrlichternden Motive der Saboteure sind damit in einem Satz genannt.
Der «grüne Kapitalismus», zu dem auch die Elektrifizierung des Privatverkehrs gehöre, sei genauso masslos, ausbeuterisch und kolonialistisch wie der alte fossile Kapitalismus. Er verschärfe die Klimakrise, statt sie zu bremsen. Tesla-Chef Elon Musk, den die Vulkangruppe konsequent «Elend Musk» nennt, sei ein «Technofaschist» und verkörpere den neuen Typus des todbringenden «neoliberalen und patriarchalen Raubtierkapitalisten dieses Jahrhunderts».
Seine mit Sensoren und Kameras vollgestopften Autos seien keine Innovationen, sondern totalitäre «Überwachungsgeräte des öffentlichen Raums», die die Strasse militarisierten. Mit seinen Raketen greife Musk längst auch in den Weltraum aus. Zum Glück habe man dort «ausserplanetarische Verbündete» – gemeint ist der Sonnenwind, der bereits einen Teil seiner Satelliten ausgeschaltet habe.
Aufruf an die militante Szene, Teslas zu verbrennen
Die Vulkangruppe ruft in ihrem Schreiben Aktivistinnen und Aktivisten dazu auf, Autos von Tesla anzuzünden. «Jeder Tesla, der brennt, sabotiert die imperiale Lebensweise und zerstört faktisch das immer enger werdende Netz einer lückenlosen smarten Überwachung.» In der deutschen Hauptstadt stecken Linksextremisten bereits heute Jahr für Jahr 500 bis 700 Autos in Brand.
Der sozialdemokratische brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke nannte den Anschlag auf Tesla «eine Form von Terrorismus». Sein Innenminister versprach, das Verbrechen werde mit allen Mitteln und «aller Härte» des Rechtsstaats verfolgt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einer «schweren Straftat, die durch nichts zu rechtfertigen» sei, und warnte vor dem Gewaltpotenzial des Linksextremismus. Seit heute ermitteln die Behörden nicht nur wegen vorsätzlicher Brandstiftung, sondern auch wegen «verfassungsfeindlicher Sabotage».
Vor genau einem Jahr verhaftete die Polizei eine Frau und einen Mann, beide Anfang 30, die augenscheinlich zu einem Brandanschlag bei einer Bahnunterführung in Berlin unterwegs waren. Die Ermittler hofften, mit dem Schlag der ominösen Vulkangruppe den Stecker gezogen zu haben. Sie haben sich geirrt.
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