Angst vor Amazon und Co.Zürcher Buchläden fürchten um Aufträge von der Pestalozzi-Bibliothek
Weil die grosse Stadtbibliothek die Medienbeschaffung neu an externe Anbieter auslagert, bangen kleine Zürcher Buchhandlungen um ihre Existenz.
Im Juni konnte die Pestalozzi-Bibliothek (PBZ) jubeln: Satte 89 Prozent der Stimmberechtigten sagten damals Ja zu jährlichen städtischen Betriebsbeiträgen von 10,6 Millionen Franken an die PBZ. Doch jetzt zeigt sich: Im Hintergrund sorgt die grosse Stadtbibliothek mit 14 Filialen für beträchtliche Unruhe – beim Zürcher Buchhandel und beim eigenen Personal.
Grund ist der Entscheid der PBZ-Führung, den Einkauf aller Medien an externe Firmen auszulagern und gemäss gesetzlichen Bestimmungen öffentlich auszuschreiben. Für die Auswahl, den Einkauf und das Bereitstellen von Büchern, Hörbüchern, DVDs, Spielen und anderem sollen künftig nicht mehr die PBZ-Angestellten selber verantwortlich sein, sondern externe Auftragnehmer nach Vorgaben der PBZ.
Es geht um 3,2 Millionen Franken
Anfang November hat die PBZ auf der Plattform Simap den Medieneinkauf öffentlich ausgeschrieben. Das Submissionsverfahren soll klären, welche Buchhandlungen diese Aufträge künftig übernehmen. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf 3,2 Millionen Franken, verteilt auf vier Jahre. Bewerben können sich Anbieter aus ganz Europa.
Bei Zürcher Buchhändlerinnen und Buchhändlern läuten die Alarmglocken. Die PBZ-Ausschreibung sei «besorgniserregend», sagt Michael Pfister von der Buchhandlung Calligramme im Niederdorf. Viele kleinere Buchhandlungen fürchteten, bei der PBZ-Ausschreibung gegen grosse Anbieter den Kürzeren zu ziehen, weil sie längst nicht so günstig offerieren könnten. Zudem seien viele personell oder aus Platzgründen gar nicht in der Lage, die geforderte Auswahl der Medien und deren Ausstattung mit Schutzumschlag und Code selber vorzunehmen.
PBZ-Aufträge sind überlebenswichtig
Die Aufträge der PBZ sind bisher für viele kleinere Buchläden in Zürich eine Art Lebensversicherung – «ohne diese Einnahmen geht es nicht», sagt Pfister.
Bisher existiert eine Partnerschaft zwischen lokalen Buchhandlungen und der PBZ. Diese kauft einen grossen Teil ihrer Bücher, Spiele, Games und CDs bei jenen Buchläden ein, die sich in der Nähe der 14 Filialen befinden.
Doch mit der Submission endet diese Übereinkunft. Pfister befürchtet, dass Konzerne wie Lehmanns Media, Orell Füssli Thalia, Ex Libris oder Amazon bei der Ausschreibung das Rennen machen. Mit der Folge, dass Zürcher Klein- und Quartierbuchhandlungen finanziell in Bedrängnis geraten, Personal abbauen oder im Extremfall gar schliessen müssen.
Pfister fragt sich, ob dies im Interesse der Stadtzürcher Steuerzahlenden ist, denn es gehe um die kulturelle Vielfalt und das spezielle Flair der Zürcher Buchlandschaft. Zudem werde die PBZ seit Jahrzehnten mit öffentlichen Geldern unterstützt.
«Dass die Wertschöpfung ins Ausland abwandert, liegt sicherlich nicht im Interesse der Zürcher Steuerzahlerinnen und -zahler.»
Besorgt ist auch Ruth Schildknecht von der Buchhandlung Nievergelt in Oerlikon. Auch sie betont die grosse Bedeutung der PBZ für die Zürcher Buchhandlungen. «Für uns sind das sehr wichtige Aufträge, allein von der Laufkundschaft können wir nicht leben.»
Auch Schildknecht befürchtet, dass spezialisierte Bibliotheksausrüster aus dem Euro-Raum das Rennen machen könnten. «Dass die Wertschöpfung ins Ausland abwandert, liegt sicherlich nicht im Interesse der Zürcher Steuerzahlerinnen und -zahler», sagt die Buchhändlerin.
«Kann paradoxerweise genau zum Gegenteil führen»
PBZ-Direktor Felix Hüppi zeigt auf Anfrage Verständnis für die Sorgen. Aber: «Aufgrund des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen und der kantonalen Bestimmungen ist die PBZ verpflichtet, die Medienbeschaffung im Umfang von 800’000 Franken pro Jahr öffentlich auszuschreiben», sagt er. Deshalb könne er dem Wunsch der Zürcher Buchläden, den Medieneinkauf weiterhin mit Absprachen zu regeln, nicht nachkommen.
Hüppi versichert, die PBZ wolle möglichst mit lokalen Partnern zusammenarbeiten und die Steuergelder auch in Zürich wieder investieren. Aber öffentliche Gelder in dieser Höhe müssten nach den definierten Regeln europaweit ausgeschrieben werden, «was paradoxerweise genau zum Gegenteil führen kann».
Die PBZ habe die Kriterien im Submissionsverfahren so formuliert, dass auch kleinere Buchhandlungen teilnehmen könnten, sagt Hüppi. So sei der Auftrag in 14 verschiedene Lose aufgeteilt worden, damit sich auch kleinere, spezialisierte Buchhandlungen bewerben könnten. Kenntnisse zu lokalen Lesetrends seien im Kriterienkatalog für die Auswahl enthalten und würden ebenfalls hoch bewertet.
«Die PBZ muss sich laut Gesetz für jene Lieferanten entscheiden, die nach eng definierten Kriterien am besten abschneiden.»
Garantien kann Hüppi den Zürcher Buchläden keine abgeben. Die PBZ müsse sich laut Gesetz am Ende für jene Lieferanten entscheiden, die nach eng definierten Kriterien am besten abschneiden würden. Hüppi spricht von einem Dilemma, in dem die PBZ stecke. Er hofft, «dass die sehr Zürich-spezifischen Anforderungen für internationale Grossverteiler dann doch zu umständlich sind, um den Aufwand auf sich zu nehmen.»
Bei den unabhängigen Buchhandlungen bleibt man skeptisch. Rund ein Dutzend von ihnen wollen sich laut Michael Pfister demnächst zu einer Krisensitzung treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Da die Ausschreibung gemeinsame Offerten von mehreren Anbietern auszuschliessen scheint, müssten sich die Buchhandlungen fragen, ob sie je für sich offerieren oder es schweren Herzens bleiben lassen.
Unzufriedenheit beim Personal
Die Neuausrichtung der PBZ sorgt auch intern für Unruhe, wie aus einem Brief einer Mitarbeiterin hervorgeht, der dieser Redaktion vorliegt. Dass sie wegen der Auslagerung des Medieneinkaufs künftig nicht mehr selber für Auswahl, Einkauf und Bereitstellen der Medien zuständig sind, stösst offenbar vielen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren sauer auf. Neu müssen sie in der PBZ andere Aufgaben übernehmen und etwa Veranstaltungen und Kurse anbieten. Das neue Jobprofil habe zu einer Kündigungswelle geführt, weil die klassischen Aufgaben des Bibliothekars nicht mehr gefragt seien, heisst es im Brief.
Hüppi räumt ein, dass die Neuausrichtung intern für Unruhe sorgt. Die Kündigungen der letzten Monate, die sich im Rahmen der üblichen Fluktuation bewegten, hätten gemäss Auskunft der Betroffenen allerdings keinen Zusammenhang mit der Umstrukturierung, mit Ausnahme eines Falls. «Wir haben den Eindruck, dass inzwischen die meisten Mitarbeitenden hinter dem Projekt stehen und sich auf die neuen Aufgaben freuen», sagt Hüppi.
Bibliotheken mit verändertem Fokus
Er begründet die interne Neuausrichtung mit dem Wandel in der Bibliothekswelt. In einer modernen Bibliothek liege der Fokus viel stärker bei der Kundschaft und weniger bei den Medien. Das Ausleihangebot sei nur noch eines von verschiedenen Angeboten. Das Vermitteln von Kompetenzen, Lese- und Deutschförderung oder Schulung im Bereich digitale Medien stünden stärker im Zentrum, zudem seien Bibliotheken als Lern- und Aufenthaltsraum immer wichtiger. Um den veränderten Kundenbedürfnissen gerecht zu werden, müsse man auch die personellen Ressourcen neu bündeln. Ähnliche Projekte gibt es laut Hüppi auch in grösseren Bibliotheken etwa in Basel oder Winterthur.
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