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Ex-Tennisprofi und Autorin
«An Serena Williams werden sich alle erinnern, an mich nicht»

Sechzehn Jahre lang hat Andrea Petković auf Profiniveau Tennis gespielt. Nach dem US Open 2022 ist sie zurückgetreten. Jetzt arbeitet sie als Tennisexpertin, Mentorin und Autorin.
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Andrea Petković, in einer Ihrer Kolumnen haben Sie geschrieben: «Seit ich ein besserer Mensch bin, spiele ich schlechter Tennis.» Jetzt haben Sie das Tennisspielen aufgegeben, sind Sie nun ein besserer Mensch?

Auf jeden Fall. Ich bin weniger egoistisch. Wenn Tennis dein ganzes Leben bestimmt – wie du isst, wie du schläfst, wie du deine Freizeit gestaltest – und man 30 bis 40 Wochen im Jahr weg ist, dann kommen viele Sachen zu kurz. Menschen, die einem wichtig sind. Jetzt bin ich mehr zu Hause und kann Zeit mit Freunden und Familie verbringen. Ich weiss nicht, ob mich das zu einem besseren Menschen macht? Ich glaube schon.

Tennis hat für Sie auch mit Selbsttäuschung zu tun. In Ihrem neuen Buch «Zeit, sich aus dem Staub zu machen» sagen Sie: «Ich war ein Hamster im Tennisrad und dachte, ich sei ein Panther» – erläutern Sie das.

Als Tennisspielerinnen denken wir oft, wir sind frei. Wir machen einen Sport, den wir lieben. Wir verdienen relativ früh gutes Geld, was als Frau im Sport nicht immer gegeben ist. So meint man, frei und unabhängig zu sein und machen zu können, was man will. Wenn man dann aber genauer hinguckt, war alles total strukturiert. Ich hatte zwei Wochen im Jahr Urlaub, in denen ich machen konnte, was ich wollte. Sonst war jede einzelne Woche vom Tennis vorgegeben. Gleichzeitig muss man sich immer ein bisschen selbst belügen, um nicht am Sport kaputtzugehen. Im Tennis verliert man fast jede Woche. Um das gut wegzustecken, muss man glauben, dass man die Beste ist.

Wie ist es beim Schreiben? Man muss ja davon überzeugt sein, dass das, was man schreibt, auch gelesen werden sollte.

Beim Schreiben gibt es diese direkte Resonanz von Sieg und Niederlage wie im Tennis nicht. Wenn du im Tennis einen Punkt spielst und den gewinnst, wirst du direkt belohnt. Wenn du es schlecht machst, sofort bestraft. Im Schreiben ist das nicht so: Ich muss für mich entscheiden: War das ein guter Text? Oder hätte ich ihn besser machen können?

Ist das Schreiben für Sie auch Wettbewerb?

Nein, vielleicht kommt das irgendwann, wenn ich nur noch schreibe und sonst nichts mehr mache. Ich lese sehr gerne Ernest Hemingway und Norman Mailer und all die ganzen alten Machos. Die haben das als Wettbewerb gesehen und sich gemessen, wer die meisten Bücher verkauft hat. So kompetitiv bin ich noch nicht. Ich sag «noch» nicht, es kann sich ja auch ändern. Aber jetzt bin ich erst im zweiten Jahr meiner Rente als Tennisspielerin. Ich denke von mir selbst oft noch als Tennisspielerin, nicht als Schriftstellerin.

Seit Sie aufgehört haben, kommentieren Sie als Expertin Tennismatches und machen Tennis zum Thema Ihrer Literatur. Haben Sie überhaupt je richtig losgelassen?

Ja und nein. Wenn ich als Expertin Tennismatches kommentiere, denke ich oft heimlich, dass ich das auch noch könnte und immer noch gerne dabei wäre. Matches spielen, die grosse Bühne und das Adrenalin, das habe ich noch nicht losgelassen. Ich arbeite aber noch als Mentorin beim Deutschen Tennis-Bund, und wenn ich da beim Training von jungen Talenten dabei bin, merke ich, dass ich losgelassen habe. Es ist jeden Tag das Gleiche, immer und immer wieder dieselben Routinen. Das ist sehr anstrengend, und ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich 16 Jahre lang so gelebt habe. Ich bin froh, diesen Mentoring-Job zu machen. Weil sonst, glaube ich, würde ich nur das schöne, glitzernde Bild des Tennis sehen und den Rest vergessen.

Der Erfolg, den Sie im Tennis hatten, hat Sie nie glücklich gemacht. Warum?

Ich hatte eine falsche Vorstellung davon, was Erfolg bedeutet. Als Teenager fühlt man sich nicht wohl in seinem Körper, dann wird man erwachsen, fühlt sich aber noch als Kind, und die Welt ist seltsam. Man fühlt sich unwohl. Ich dachte, wenn ich ein Turnier gewinne, wenn ich im Fernsehen und Radio bin und alle wissen, dass ich gut bin in dem, was ich mache, dann wird dieses Gefühl weggehen. Das war falsch. Als ich geschafft habe, was ich wollte, war das Gefühl immer noch da. Ich habe mich immer noch unwohl und nicht ganz glücklich gefühlt. In den letzten fünf, sechs Jahre, in denen ich nicht mehr so erfolgreich war, hatte ich kapiert, dass Erfolg nicht direkt mit meinen Gefühlen korreliert. Da war ich viel glücklicher.

Ist das Schreiben nun auch ein Versuch, auf neuem Terrain glücklich zu werden?

Schreiben war immer schon Teil meines Lebens. Es überrascht mich jetzt eher, dass meine Texte publiziert werden. Meine Eltern haben einen Migrationshintergrund, da wird man nicht Schriftstellerin oder Künstlerin, sondern Anwältin oder Ärztin. Ins Schreiben bin ich reingerutscht. Und dann war mein erstes Buch ein ganz okayer Erfolg, und ich hatte noch viel zu sagen. Ich habe aber noch nicht diese kompetitiven Geister und Säfte in mir, wenn es ums Schreiben geht.

NEW YORK, NEW YORK - AUGUST 30: Andrea Petkovic of Germany walks off the court after losing to Belinda Bencic of Switzerland in her last career match on Day 2 of the US Open Tennis Championships at USTA Billie Jean King National Tennis Center on August 30, 2022 in New York City (Photo by Robert Prange/Getty Images)

Sie sind mit Ihren Gefühlen sehr offen. Ist das ein Kontrast zwischen Tennis und dem Schreiben?

Für mich war Schreiben ein Befreiungsschlag. Im Tennis muss man eine Fassade aufrechterhalten. Selbst wenn man heimlich unter dem Handtuch oder in der Umkleide heult, tut man am nächsten Tag wieder so, als wäre alles okay. Beim Schreiben geht es für mich um das Gegenteil. Darum, die Fassade einzureissen und dahinter zu blicken.

Wir bekommen in Ihrem Buch viel Einblick in die Tenniswelt. Zum Beispiel, als Sie davon erzählen, wie es bis 2022 Pflicht war, in Wimbledon komplett weiss zu tragen. Wenn Sie menstruierten, zogen Sie sich vier Hosen übereinander an. Ist das ein aktivistischer Text?

Ich wollte nicht, ich musste darüber schreiben. Die Diskussion darüber, was es bedeutet, seine Tage zu haben, kommt immer häufiger auf. Aber nicht im Sport, dort redet keiner darüber. Ich hatte Textfragmente dieses Kapitels und lange überlegt, ob es überhaupt passt. Und dann war irgendwie der Drang da, es machen zu müssen. Vielleicht ist das das Aktivistische an diesem Text, dass es sich angefühlt hat, als gäbe es keine andere Option, als es einfach zu tun. Das hat übrigens noch nie jemand gefragt, ich nehme das als Kompliment.

Ihnen wurde schon während Ihrer Karriere nachgesagt, Sie seien die «intellektuellste Tennisspielerin», weil Sie gerne über Literatur sprachen.

Das hat mich immer genervt. Natürlich freute es mich, wenn das jemand sagte, was auch immer es bedeutet. Auf der anderen Seite hat es alle anderen immer ins Licht der dümmlichen Sportlerinnen und Sportler gerückt.

Wieso erwartet man überhaupt einen Widerspruch, wenn Sportlerinnen und Sportler lesen?

Einige interessieren sich für Fussball, andere für Kunst, wieder andere spielen gerne Videospiele und ganz andere lesen gerne. Ich bin auch keine Raketenwissenschaftlerin, die etwas erfunden hat, sondern habe einfach ein paar Bücher gelesen und Tennis gespielt. Und das hat schon gereicht, um für intellektuell gehalten zu werden. Ich glaube aber, dafür müsste man ein bisschen mehr schaffen.

Sie wünschen sich an einer Stelle im Buch, dass Sie sich verletzen, damit Ihnen die Entscheidung zum Rücktritt abgenommen würde. Wieso taten Sie sich damit so schwer?

Im letzten Jahr meiner Karriere habe ich gemerkt, dass es mit meinem Körper rapide bergab geht. Jede Verletzung hat ewig gedauert. Sobald ich ein bisschen härter trainiert habe, ist mein Immunsystem kollabiert und ich war sofort krank. Ich hatte – und da kommt wieder diese Selbsttäuschung von Tennisspielerinnen ins Spiel – konstant zwei Stimmen im Kopf: Die eine war super zynisch, sie sagte: «Es ist vorbei, lass es einfach bleiben, du bist zu alt und nicht mehr gut genug.» Die andere hat versucht, mich zu überzeugen, dagegen anzukämpfen. Dieser Prozess, bevor es vorbei war, war viel schwerer als der, als es dann wirklich vorbei war. Dann war ich zwar traurig, aber auch erleichtert.

Serena Williams ist zeitgleich wie Sie zurückgetreten. Es gibt die Szene im Buch, in der Sie Williams auf der Toilette weinen hören und dann realisieren, dass sie die gleichen Emotionen durchlebt wie Sie. Wie wichtig war diese Gemeinsamkeit?

Ich hatte eine Karriere, die zwar gut war, aber nicht in die Annalen einging. Als Kind und Jugendliche war ich davon überzeugt, dass ich die Nummer eins der Welt werden würde. Irgendwann war ich dann 34 und stellte fest, dass ich das nicht mehr schaffen werde, und trat zurück. Gleichzeitig hörte jemand auf, der all die Dinge, die ich wollte, geschafft hat: die beste Tennisspielerin aller Zeiten zu sein, Grand Slams zu gewinnen, die Nummer eins zu werden. Serena hat es geschafft. Ich nicht. An Serena werden sich alle erinnern. An mich nicht. Ich musste damit klarkommen, dass meine Karriere nicht so verlaufen war, wie ich es mir als Kind erhofft hatte, und dass ich trotzdem damit zufrieden sein kann. Und gleichzeitig merkte ich, dass es auf einer menschlichen Ebene überhaupt keinen Unterschied macht, ob du 2000 Turniere gewonnen hast oder 2, der Schmerz und die Trauer des Loslassens sind genau gleich.

Einmal sagen Sie, aufhören, Tennis zu spielen, fühle sich wie sterben an. Offensichtlich leben sie noch, warum also so drastisch?

Claude Monet hat das übers Malen gesagt, als er älter wurde und nicht mehr richtig sehen konnte. Ich glaube, es fühlt sich so an, weil eine Identität von dir stirbt. Viele Tennisspielerinnen und -spieler identifizieren sich mit dem Tennisspielerinnen-Dasein. Alles, was man im Leben macht, wirkt sich direkt auf die Leistung auf dem Platz aus. Und es ist unheimlich schwierig, diese Identität von sich selbst zu trennen. Wenn sie dann weg ist, kannst du nicht mehr sagen: Hey, ich bin Andrea, ich spiele Tennis. Sondern: Ich habe früher einmal Tennis gespielt.