Analyse nach der Kritik an Trainer YakinGranit Xhaka provoziert, wo er kann
Der Mittelfeldspieler greift Murat Yakin öffentlich an, obwohl er gegen Kosovo selber nicht liefert. Der rebellische Captain reizt wieder einmal die Grenzen seiner Macht aus.
Ende Monat wird Granit Xhaka 31 Jahre alt. Und die Erkenntnis nach diesen bald 31 Jahren ist: Er ist immer da, wo es brennt, und wenn es nicht brennt, legt er notfalls selbst das Feuer.
Xhaka, stolzer Sohn kosovarischer Einwanderer und «Basler Junge», wie er sich ebenso stolz nennt, Captain der Schweizer Nationalmannschaft, ein geborener Leader und Wortführer – Xhaka ist so und tritt so auf, dass sich an ihm die eigenen Emotionen sehr gut abarbeiten lassen. Die einen lieben ihn, die anderen verteufeln ihn, und das Erstaunliche ist, immer geht es um den gleichen Spieler und Menschen.
Eine grosse Klappe, um es einmal salopp zu sagen, hat er immer schon gehabt, mit 18 schon damals beim FC Basel, als er gleich den Gewinn der Champions League zum Ziel erklärte. Er scheut sich nicht, das zu machen, worauf er gerade Lust hat – und sei es ein Besuch im Tattoo-Studio, obschon in Corona-Zeiten so kurz vor der EM 2021 vom Trainer eindringlich vor solchen Ausflügen gewarnt wird.
Er provoziert, wo er kann. Manchmal aus Kalkül, manchmal aus Unbedachtheit. Er hat eine Stellung, dass bei ihm nur schon auf einmal blond gefärbte Haare fast ein Politikum werden. Was das mit ihm macht? Nichts. Er lässt sich ein paar Wochen später nicht gegen Corona impfen und verpasst die Chance, mitten in einer existenziellen Krise ein Vorbild zu sein.
Xhaka legt sich nicht nur mit Gegnern an, sondern auch mit denen, die ihm nahestehen: dem Trainer, den Mitspielern.
So ist er: rebellisch und eigenwillig. Oder: eigensinnig und unbelehrbar. Was immer, es hat ihn zu dem Spieler gemacht, den die Schweiz noch nie gehabt hat und vielleicht auch nie mehr haben wird. Er jubelt mit dem Doppeladler, wenn er gegen Serbien ein Tor erzielt, und sorgt in der Schweiz für landesweite Diskussionen über Identifikation und Integration. Weil er sich an der letzten WM, wieder gegen Serbien, kurz in den Schritt greift, um den Gegner zu reizen, provoziert er gleich die Grundsatzfrage: Kann einer wie er noch Captain sein?
Xhaka legt sich nicht nur mit Gegnern an, sondern auch mit denen, die ihm nahestehen: dem Trainer, den Mitspielern. Nach der monströsen 1:6-Niederlage gegen Portugal an der letzten WM attackiert er die Mitspieler für ihr Abwehrverhalten und ihre fehlende Laufbereitschaft. Bevor er das macht, hat er die Journalisten noch gewarnt: «Keine Scheissfragen!»
Er ist 2018, 2021 und 2022 das alles überlagernde Thema, der Spieler, der alle in den Schatten stellt und den Trainer gleich mit. Das muss einer auch erst einmal schaffen. Und um den Trainer geht es jetzt nach diesem Abend in Kosovo. Um wen sonst als um Murat Yakin soll es gehen, wenn Xhaka die Qualität der Vorbereitung auf das Spiel kritisiert?
So richtig Xhakas Analyse sein mag, so unberechtigt ist sie, wenn er so abtaucht wie auch in Pristina wieder.
Yakin war selbst ein spezieller Spieler, höchst talentiert, aber trainingsfaul. Auch darum polarisierte er, wie Xhaka das jetzt tut. Er ist ein Trainer, der viel von der Intuition lebt – und der sich besonders gerne mit den starken Spielern reibt. Das war in Basel mit Alex Frei so, das war im Nationalteam nicht anders, als er schnell den Eindruck erweckte, er müsse Xhaka aufzeigen, wer der Chef im Ring ist. Unter Vladimir Petkovic hatte sich diese Frage nicht gestellt. Da lag die Macht bei Xhaka.
Wer so gut ist wie Xhaka, darf Sonderrechte geniessen. Wenn er nach Enttäuschungen wie gegen Portugal oder jetzt, natürlich im viel kleineren Rahmen, gegen Kosovo den Zweihänder auspackt, sollte er allerdings eine Frage immer beherzigen: Hat er selbst genug gemacht, um sich ein solches Vorgehen erlauben zu können? Nein, hat er nicht, nicht einmal im Ansatz.
So richtig seine Analyse grundsätzlich sein mag, so unberechtigt ist sie dann, wenn er so abtaucht wie auch in Pristina wieder. Xhaka ist hochemotional, darum ist er als Figur so spannend und herausfordernd. Yakin wird sich wohl damit abfinden müssen, dass auch er ihn nicht bändigen kann. Er ist kein Wenger oder Arteta bei Arsenal, kein Alonso nun in Leverkusen. Ihnen hat Xhaka offensichtlich so viel Respekt entgegengebracht, dass er seinen Platz immer gekannt hat.
Wie geht Yakin damit um? So gelassen, wie er sich gerne gibt? Dann können sich Trainer und Captain wieder finden. Sonst kommt es irgendwann zum Eklat.
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