Analyse zu Ukraine-PolitikOsteuropas Rechtspopulisten agieren perfide gegen Kiew
Mitleid und Furcht sind abgeflaut. In Ungarn und anderen Staaten werden Zweifel an der Ukraine-Hilfe laut. Und Viktor Orban nutzt das für seine eigenen Zwecke.
Als Russland vor anderthalb Jahren nach dem Donbass schliesslich die ganze Ukraine überfiel, waren die Osteuropäer ganz vorn dran gewesen mit ihrer politischen Solidarität, der Aufnahme von Flüchtlingen und Waffenhilfe. Sie wussten aus erster Hand, was es heisst, wenn russische Soldaten mit ihren Panzern nationale Souveränität und demokratische Emanzipationsversuche niederwalzen. Berlin 1953, Budapest 1956 und Prag 1968 sind nur die sichtbarsten Beispiele für das gewesen, was die Osteuropäer heute als russischen Imperialismus und moderne Form des Kolonialismus brandmarken.
Abstürzende Drohnen und verirrte Raketenteile
Aber die grossen Emotionen, Mitleid, Entsetzen und Furcht sind abgeflaut. Die Regierungen Osteuropas sind auf vielfältigste Weise in den Kontext der Brüsseler Sanktionsbeschlüsse und politisch-militärischen Reaktionen eingebunden und sehen sich zudem mit abstürzenden Drohnen und verirrten Raketenteilen an ihren Grenzen der realen Gefahr einer Ausweitung des Krieges gegenüber.
Aber in der Bevölkerung wächst die Skepsis. Die Inflation in der Folge von Krieg und Energiekrise liegt in Ungarn bei mehr als 25 Prozent, in Tschechien lag sie zeitweilig bei 18, in Polen bei 14 Prozent. Und auch wenn die Preise langsam sinken, so ist das doch überall Thema Nummer eins. Gut ausgebildete Ukrainer, die als Vertriebene gekommen sind und anfangs meist privat unterkamen, bleiben – und stellen zunehmend eine ernst zu nehmende Konkurrenz auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt dar.
Als wären die Alltagsprobleme nicht gross genug, schüren Rechtspopulisten zusätzlich Angst und Neid. Sie nutzen die Verunsicherung, die der russische Angriff ausgelöst hat, indem sie den politisch Verantwortlichen vorwerfen, Waffen, die man im Ernstfall selbst brauche, an die Ukraine abzugeben.
Ein besonders perfider Vorwurf lautet, die ukrainische Führung torpediere nicht nur mögliche Friedensverhandlungen, sondern versuche auch, die Nachbarländer mit gezielten Provokationen in den Krieg, der gern «Kiews Krieg» genannt wird, hineinzuziehen. Besonders der ungarische Regierungschef tut sich mit antiukrainischer Propaganda hervor. Und Viktor Orban hat Erfolg. Die Mehrheit der Ungarn neigt mittlerweile zur Ansicht, dass Kiew eine Mitschuld an dem mörderischen Konflikt trägt.
Ungarn will den Import von 25 ukrainischen Produkten verbieten – Nationalpopulismus pur.
Russland hat mit seiner Aufkündigung des Getreidedeals, mit dem die ukrainische Ernte aus Odessa und anderen Schwarzmeerhäfen in die Welt verschifft wurde, eine weitere schwelende Krise verschärft: Der ukrainische Weizen, der nun verstärkt durch die Nachbarländer transportiert wird, droht den Markt zu überschwemmen und regionale Bauern zu benachteiligen. Ein Einfuhrverbot, das die EU verhängte, ist ausgelaufen, jetzt wollen einige Staaten die Importblockaden einseitig verlängern.
Kiew wird dagegen vor der Welthandelsorganisation klagen. Das ist eher ein symbolischer Akt, während kurzfristig angeboten wird, die Getreideexporte in die westlichen Anrainerstaaten zu beschränken. Gleichwohl verstärkt der Streit die Anti-Kiew-Stimmung in den Ländern, die sich viel auf ihre Solidarität zugutehalten.
Auch hier führt Viktor Orban vor, wie man einen Konflikt zum eigenen Vorteil noch verschärft: Ungarn hat, ohne Not und ohne gute Argumente, angekündigt, den Import von 25 ukrainischen Produkten zu verbieten – um die «ungarischen Bauern zu schützen». Das hat mit dem Krieg nichts zu tun. Es ist Nationalpopulismus pur.
Fehler gefunden?Jetzt melden.