Analyse zu Berg-Karabach-KonfliktEU tut sich schwer mit Klartext gegenüber «neuem Freund»
Gerade noch feierte Ursula von der Leyen Aserbaidschans Diktator Ilham Alijew als vertrauenswürdigen Partner und neuen Gaslieferanten. Kein Wunder, verhält sich Brüssel zurückhaltend angesichts der militärischen Operation in Berg-Karabach.
Nicht lange ist es her, da zeigte sich Ursula von der Leyen lächelnd und händeschüttelnd mit dem Diktator von Aserbaidschan. Es sah nach dem Anfang einer neuen Freundschaft aus. Gas für Haushalte und Unternehmen in Europa kommt seither vermehrt aus Aserbaidschan statt aus Russland, das sein Nachbarland Ukraine überfallen hat.
Diese Woche hat Präsident Ilham Alijew seine Truppen im mehrheitlich armenisch besiedelten Berg-Karabach einmarschieren lassen und blamierte damit auch die EU, deren Exponenten jetzt nach den richtigen Worten suchen.
Die Kommissionspräsidentin der EU und der aserbaidschanische Staatschef hatten die neue Partnerschaft im Sommer 2022 mit einer gemeinsamen Absichtserklärung besiegelt. Aserbaidschan soll die Exporte Richtung EU bis 2027 über den südlichen Gaskorridor schrittweise auf 20 Milliarden Kubikmeter verdoppeln.
Die EU habe beschlossen, sich breiter aufzustellen, sich von Russland unabhängiger zu machen und sich «zuverlässigeren, vertrauenswürdigeren Partnern» zuzuwenden, sagte von der Leyen damals an der Seite des Diktators. Das klingt spätestens jetzt naiv.
Hilflose Appelle
Die EU verurteile die militärische Operation Aserbaidschans gegen die armenische Bevölkerung von Berg-Karabach, so reagierte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell. Der Spanier forderte ungehinderten Zugang für Hilfswerke und einen transparenten Dialog zwischen Baku und den Armeniern in Berg-Karabach. Die Appelle wirken angesichts der aggressiven Rhetorik aus Baku hilflos.
Die EU bestreitet nicht, dass die Region territorialer Bestandteil Aserbaidschans ist. Brüssel hat allerdings bis zuletzt vermittelt, um eine friedliche Integration zu ermöglichen. So hat EU-Ratspräsident Charles Michel Ilham Alijew und Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan mehrmals zusammengebracht und sieht sich jetzt in seinen Vermittlungsbemühungen ebenfalls düpiert.
Charles Michel habe den aserbaidschanischen Präsidenten in einem Telefonat aufgefordert, sicherzustellen, dass ethnische Armenier respektiert würden und eine Zukunft in Aserbaidschan hätten, heisst es aus EU-Diplomatenkreisen. Das militärische Vorgehen mit Angriffen auf zivile Ziele sei nicht akzeptabel.
Klartext und deutliche Kritik kommen aus dem EU-Parlament: Die EU müsse den Import von Gas aus Aserbaidschan stoppen, forderte der grüne Abgeordnete Reinhard Bütikofer gegenüber Euronews. Quer durch alle Parteien kritisierten Abgeordnete diese Woche den Schmusekurs gegenüber dem Regime in Baku.
Die EU habe zudem nur zögerlich auf die Hilferufe Armeniens reagiert, nachdem aserbaidschanische Streitkräfte bereits vor neun Monaten den sogenannten Latschin-Korridor als einzige Landverbindung Richtung Berg-Karabach blockiert hätten und die Lage der eingeschlossenen Bevölkerung immer verzweifelter geworden sei.
Armenien im Stich gelassen
«Wir waren nicht in der Lage, einen Angriff zu stoppen, der absehbar war», sagte die französische Abgeordnete Nathalie Loiseau, eine Weggefährtin von Emmanuel Macron. Die Vermittlungsbemühungen seien ein Flop gewesen, und die EU habe es nicht geschafft, «Aggressor» Aserbaidschan klar zu benennen.
Dabei sitzt in Jerewan die einzige demokratisch gewählte Regierung zusätzlich unter Druck von Demonstranten, die von Moskau aus gesteuert werden. Andere kritisierten, dass die EU-Staaten im vergangenen Jahr Gas im Wert von 15,6 Milliarden Euro aus Aserbaidschan importiert und damit die militärische Operation sowie ethnische Säuberungen mitfinanziert hätten.
Die EU müsse ihre Gasversorgung weiter diversifizieren und alle Hebel nutzen, um Druck auf Baku auszuüben, forderte der konservative EU-Abgeordnete Michael Gahler. Aserbaidschan habe ein Interesse, in Europa sein Gas zu verkaufen. Es dürfe in Berg-Karabach zu keinen Vertreibungen und willkürlichen Verhaftungen kommen.
Gahler sieht auch die Gefahr, dass Präsident Alijew die Chance nutzt und militärisch einen Korridor durch armenisches Kernland in die mehrheitlich von Aseris besiedelte Enklave Nachitschewan erzwingt. Sollte es dazu kommen, würde an Sanktionen kein Weg vorbeiführen. Die EU könnte schon bald zu einer härteren Gangart gezwungen sein.
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