Geschäftsmieten während Corona«An diesem Entscheid hängen Existenzen»
Mehr als zwei Jahre nach der Covid-Pandemie ist nicht klar, ob Geschäfte trotz Lockdown die volle Miete bezahlen müssen. In Deutschland ist diese Frage längst geklärt. Ein Fitnesscenter-Besitzer erzählt.
Die Pandemie liegt lange zurück, in den Fitnessstudios wird wieder geschwitzt, gestemmt, gestöhnt. Das Geschäft mit den flachen Bäuchen und den prallen Muskeln läuft wie geschmiert – für Tunç Karapalanci, den Besitzer der Ostschweizer Fitnesscenter-Kette «well come fit», besser als je zuvor.
Vor zwei Jahren hing seine Existenz noch am seidenen Faden. Als der Bundesrat während der Corona-Krise die Fitnesscenter schloss, fehlten dem 52-Jährigen plötzlich sämtliche Einnahmen. Und der grösste Ausgabeposten – die Miete – blieb bestehen. «Es ging ums Überleben», sagt Karapalanci. «Ich fühlte mich damals sehr alleingelassen. Man hatte kein Verständnis für unsere Situation.» Er sei als Jammerer abgestempelt worden, obwohl es um sein Lebenswerk gegangen sei.
Wenig Entgegenkommen der Vermieter
Karapalancis Vermieterin an einem seiner Standorte beharrte auf der vollen Miete. Es geht um insgesamt knapp 90’000 Franken.
Karapalanci weigerte sich lange, den vollen Betrag zu bezahlen. Erst als ihm die Kündigung angedroht wurde, zahlte er. Allerdings – und das ist wichtig – mit Vorbehalt. Er behält sich vor, zumindest einen Teil des Geldes zurückzufordern, wenn sich die rechtliche Situation ändert.
«Die Vermieter, insbesondere grosse Immobiliengesellschaften, scheinen kein Interesse an einem Bundesgerichtsurteil zu haben.»
Hunderte von Geschäftsleuten sind in der gleichen Situation wie Karapalanci. Sie warten bis heute vergeblich auf eine Klärung der rechtlichen Situation. Wie viele genau betroffen sind, ist nicht klar. Einzig der letzte Monitoringbericht des Bundesamts für Wohnungswesen vom letzten Dezember gibt einen Anhaltspunkt: Von 1299 befragten Unternehmen erhielt nur ein Drittel von den Vermietern eine Mietreduktion. In vielen Fällen wurde die Mietzahlung aufgeschoben, bis ein Bundesgerichtsentscheid vorliegt.
Auf diese Klärung warten Gewerbler nun schon seit zweieinhalb Jahren. Viel zu lange, kritisiert Armin Zucker, Anwalt und Vizepräsident des Verbands der Geschäftsmieter. Dabei hätte das Bundesgericht vor kurzem die Gelegenheit für ein Grundsatzurteil gehabt, doch es trat nicht auf eine Beschwerde ein, weil der Streitwert unter 15’000 Franken lag. «Man hat sich vor einem Entscheid gedrückt», sagt Zucker.
Eigentlich hätte das Gericht in Lausanne trotzdem einen Entscheid fällen können. Die Voraussetzung ist «ein allgemeines und grundsätzliches Interesse», wie das Bundesgericht in seinem Urteil schreibt, damit eine umstrittene Frage geklärt wird – es also ein Grundsatzurteil braucht, um für einen Teil der Bevölkerung Rechtssicherheit zu schaffen. Das Gericht berief sich jedoch darauf, dass es einen solchen Entscheid erst in einem Fall treffen wolle, wo es um mehr als 15’000 Franken gehe.
In Deutschland ist die Frage längst geklärt
«Ein neuer, hängiger Fall ist mir aber nicht bekannt», sagt Zucker vom Verband der Geschäftsmieter. Nur wenige Verfahren würden bis zur letzten Instanz durchgezogen. Es habe bereits mehrere Fälle gegeben, die im letzten Moment mit Vergleichen abgeschlossen worden seien. Die hohen Prozesskosten, die lange Verfahrensdauer und der ungewisse Ausgang hätten viele Geschäftsmieter zermürbt und veranlasse sie, Vergleiche abzuschliessen. Deshalb würden kaum Fälle ans Bundesgericht gelangen. «Die Vermieter, insbesondere grosse Immobiliengesellschaften, scheinen kein Interesse an einem Bundesgerichtsurteil zu haben», sagt Zucker.
Der Schweizerische Hauseigentümerverband widerspricht. Die Bereitschaft der Vermieter zu aussergerichtlichen Vergleichen sei positiv und zeige, dass die Parteien gesprächsbereit seien und eine gemeinsame Lösung aushandeln wollten. «Dies scheint uns zielführender, als möglichst viele Gerichtsverfahren zu provozieren», schreibt eine Sprecherin des Verbands.
Klar ist: Das Problem wird bisher ausschliesslich auf kantonaler Ebene gerichtlich gelöst. Urteile gab es bisher nur in den Kantonen Zürich, Basel-Stadt, Tessin und Solothurn. Ausser im Tessin, das besonders schwer von der Corona-Krise betroffen war, fielen alle Entscheide gegen die Mieter aus.
Anders in Deutschland. Dort hat das oberste Gericht schon im Januar 2022 ein Grundsatzurteil gefällt. Der Bundesgerichtshof urteilte, eine Reduktion der Miete sei grundsätzlich gerechtfertigt. Wie hoch diese ausfällt, müsse aber im Einzelfall entschieden werden.
Eine pauschale Mietzinsreduktion von fünfzig Prozent, wie es die Vorinstanz vorgesehen hatte, wies das Gericht in Karlsruhe ab. Geschäftsmieter müssen ihren Umsatzrückgang, die ergriffenen Massnahmen zur Schadenminderung und erhaltene Finanzhilfen beweisen. Doch dank diesem Grundsatzentscheid können in Deutschland stark betroffene Geschäftsmieter seither eine Mietzinsreduktion einfordern.
«Sobald es künftig ein Bundesgerichtsurteil in meinem Sinn gibt, werde ich sofort einen Teil meiner bezahlten Miete zurückverlangen oder notfalls klagen», sagt Tunç Karapalanci. «Meine Beziehung zu meinem Vermieter hat während der Pandemie extrem gelitten. Es ist kein Miteinander mehr, keine Partnerschaft, sondern ein Gegeneinander.» Er habe Glück, heute finanziell gut gestellt zu sein, sagt der Fitnesscenter-Besitzer. Er wisse aber von vielen Berufskollegen, die dringend ein Urteil aus Lausanne bräuchten: «An diesem Entscheid hängen Existenzen.»
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