Neuer Film «Back to Black»Amy Winehouse – getriebenes Opfer oder leidenschaftliche Künstlerin?
Das voyeuristische Dokudrama zeigt die grausame Seite ihres Lebens. Was fehlt, ist die Würdigung der Britin als Musikerin und Sängerin.
Als man sie tot in ihrem Haus im Londoner Quartier Camden Town auffand, mit einer massiven Überdosis Alkohol, um sie herum lagen leere Wodkaflaschen, das war am 23. Juli 2011 und Amy Winehouse 27 Jahre alt – da dachten alle: Das musste ja so kommen.
Vor ihrem Tod hätte die Sängerin eine weitere Tournee abhalten sollen, ihre Promoter wollten sie durch Europa hetzen. Sogar ihr Vater hielt eine Entziehungskur für unnötig. Sie selber fand das natürlich auch und machte aus der Sucht einen Song: «Sie wollen mich in eine Kur zwingen, aber ich sage no, no, no.»
Amy Winehouse verkam zum Witz
Bei ihrem letzten eigenen Konzert, das war an einem Open Air in Belgrad einen Monat vor ihrem Tod, konnte sie sich kaum auf den Beinen halten. Sie torkelte über die Bühne, umklammerte das Mikrofon, hielt sich an ihrem Bassisten fest, stand unsicher da, probierte einen Song und dann einen anderen, gab es schliesslich auf und trat ab.
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Die Tournee wurde abgesagt, und die Abgestürzte verkam zur Anekdote. «Amy Winehouse möchte ein Kochbuch schreiben», sagte der amerikanische Talk-Shower Jay Leno, «ich finde das eine gute Idee. Crack kochen, Crystal Meth, Heroin …» Das Publikum lachte von Herzen. Genau genommen starb die Sängerin nicht erst an diesem Samstagmorgen; sie starb während Jahren in aller Öffentlichkeit.
Vom Kiffen, Rauchen und Trinken über das Koksen, Fixen und Crackrauchen bis hin zu bulimischen Exzessen und vollgekotzten Toiletten machte sie alles durch.
Schon im Juni 2008 bei ihrem zweiten Auftritt am Glastonbury-Festival wurde offensichtlich, dass Amy Winehouse die Kontrolle über sich verloren hatte. Sie sang oft falsch, ihre Stimme klang unsicher und ihre Phrasierung unstet, und man befürchtete jeden Moment, sie könnte umfallen. Wenige Tage später erhielt sie vier Grammys für «Back to Black», ihr brillantes zweites Album, ein Meisterwerk aufdatierter Soulmusik. Bei der Preisverteilung sah ihr Gesicht aus wie Wachs.
Ein Kind der iPhone-Generation
Man hat so viel von ihrem Leben gesehen, weil Winehouse als Kind der iPhone-Generation aufwuchs. Und weil ihr Vater, ein Taxi fahrender Jazzmusiker, sie permanent filmte in der Hoffnung, sie würde es zum Star schaffen. Amy Winehouse war mit ihrer Mutter und ihren zwei Geschwistern in einer liberalen jüdischen Familie im Nordwesten von London aufgewachsen, der geschiedene Vater war ausgezogen.
Auf den vielen Aufnahmen schaut sie drein wie ein Reh im Autoscheinwerfer. Dann wieder zeigt sie das Mädchen in der Frau. Mit ihrem schwarz gefärbten, hochtoupierten Haar. Der Überdosis Mascara im Gesicht, der Überdosis Alkohol im Körper. Dazu ihr Staksen auf Stöckelschuhen, das immer mehr zum Taumeln wurde. Dass Winehouse auch eine Diva war, sich stur und selbstbezogen verhalten konnte, spürte man eher, als dass man es sah. Weil sie ein solches Charisma hatte, einen dermassen explodierenden Humor, wirkte sie offen und vital mit ihren grünen Augen. Erst mit der Zeit nahm man die Unsicherheit wahr, die sie von innen her zerfrass.
«Amy» – ein preisgekrönter Dokfilm
Mehrere Filme sind über sie erschienen. Der Dokfilm «Amy» von Asif Kapadia kam 2015 heraus und profitierte dermassen von den Aufnahmen in Echtzeit, dass der Regisseur seine Gesprächspartner aus dem Off erzählen lassen und den Film auf die Künstlerin konzentrieren konnte. «Amy» wurde zu Recht mit über 30 Preisen dekoriert, darunter einem Oscar. Viel zu reden gab die Kritik des Regisseurs an Amys Vater. Er stellte ihn als Egoisten dar, dem der Erfolg und das Geld der Tochter wichtiger waren als ihre Gesundheit.
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Weil aber die tragische Sängerin die Leute bis heute umtreibt, erscheint diese Woche ein weiterer Film über sie, ein sogenanntes Dokudrama. Gedreht hat es die englische Regisseurin Sam Taylor-Johnson, die mit Amy Winehouse befreundet war. Sie hatte mit ihrem ersten Film über den jungen John Lennon brilliert, dann aber die furchtbare Verfilmung des furchtbaren Bekennerbuchs «50 Shades of Grey» verbrochen: Peitschenkitsch im Gegenlicht.
Neues Dokudrama «Back to Black»
Der neue Film der Regisseurin, er heisst «Back to Black», ist wieder besser geraten. Dass Amys Vater darin seine Version der Ereignisse dargestellt sieht, stört nicht. Was den neuen Film mit einer überzeugenden Marisa Abela in der Hauptrolle auszeichnet, ist auch nicht die Vaterbeziehung.
Sondern die Liebe der Sängerin zu jenem Mann, der die grösste Verantwortung an ihrem Tod trägt. Es ist Blake Fielder, in den sich Amy Winehouse mit der Leidenschaft der Verzweiflung verliebt hatte. Und der sie zweimal verliess, wobei er sie zwischendurch mit Kokain und Crack angefixt hatte, Substanzen, von denen er selber abhängig war und auch sie schnell süchtig wurde.
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«Back to Black» zeigt die Kombination von Anklammerung und Selbstzerstörung, die das Paar ins Elend trieb. Dabei wird man den Eindruck nicht los, dass sie ihn mehr liebte als er sie und dass er sie zuletzt als Bürde empfand, eine hochgradig labile Frau, die süchtig nach Nähe war und jede Distanz wie einen Entzug erlebte. Ihm wurde das offensichtlich zu viel. «Ich bin jetzt clean und kann machen, was ich will», sagt er an einer Stelle im Film, und so grausam dieser Satz klingt, man kann ihn verstehen.
Das Problem des Filmes liegt woanders, darin gleicht er der Dokumentation von 2015: Beide interessieren sich zu wenig für Amy Winehouse als Musikerin. Obwohl sie ihre herzliche und humorvolle Seite zeigen, bleiben sie auf die Rolle als Opfer fixiert, auf die sie bis heute reduziert wird.
Zwar zeigen die Filme drastisch die Folgen des Ruhms, die Manie des Berühmtseins in einer 24-Stunden-Mediengesellschaft. Wir sehen, wie die Sängerin von Fotografen gejagt wird, die ihr überallhin nachfolgen, ihr Haus belagern und selbst dann nicht von ihr ablassen, als ihre Abneigung in Angst und Ablehnung umschlägt. Wie Lady Diana wurde Amy Winehouse von den Männern fertiggemacht, die sie berühmt gemacht hatten.
Gierig folgen ihr die Kameras
Aber beide Filme wirken mit ihrer Kritik heuchlerisch, weil sie genau das verwenden, was sie verurteilen. Dadurch verkommt die Darstellung der öffentlich gejagten Frau zum Voyeurismus. Gierig folgen die Kameras der Sängerin auf die Bühne und durch die Strassen, sie sieht immer mehr aus wie ein gehetztes Tier. Und man fühlt sich an einen Satz von Jim Morrison erinnert, dem Sänger der Doors: «Wir sind besessen von Helden, die für uns leben und die wir dafür bestrafen.»
Auch Morrison starb mit 27 Jahren und gehört zum «Club 27» neben anderen Musikerinnen und Musikern wie Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Kurt Cobain, Alan Wilson und Robert Johnson.
Amy Winehouse, die Künstlerin
Was die Dokumentation und das Dokudrama nur andeuten, bringt ein dritter Film zur Geltung: Die Dokumentation «Amy Winehouse: Back to Black.» von 2018. Das einstündige Porträt des Albums macht die Talente der Musikerin als Sängerin, Komponistin und Texterin deutlich.
Winehouse kannte sich auf ihrer Gitarre aus mit den Jazzakkorden, wusste ihre Contralto-Stimme effektsicher anzuwenden, setzte zu überraschenden Tonsprüngen an und liess das Ende der Songzeilen mit ihrem unverkennbaren Vibrato austremolieren.
Ihre Einflüsse weisen sie als wertkonservativ aus: Sarah Vaughan zum Beispiel, Tony Bennett, Ray Charles, man könnte auch Nina Simone, Dusty Springfield oder die Motown-Schule nennen. Weniger oft erwähnt wird der Einfluss der aschkenasisch-jüdischen Musik auf Amys Gesang. Dabei klingt er in ihren Melismen deutlich an, diesem Singen einer Silbe in mehreren Tonhöhen.
Obwohl Amy Winehouse das Album in enger Zusammenarbeit mit den Produzenten Salaam Remi und Mark Ronson entwickelte, dem schwarzen Amerikaner und dem weissen Engländer, sagen beide Männer im Film übereinstimmend, dass alle Songs von ihr stammten; dass sie ihr nur geholfen hätten; und dass es für sie eine Freude gewesen sei, mit ihr zusammenzuarbeiten, weil sie eine solche Leidenschaft für die Musik empfunden habe.
Das Totenschädel-Shirt
Beim Wiederhören des Albums wird einem bewusst, wie stilsicher die Sängerin auch als Lyrikerin vorging. Alle ihre Songs handeln von der zerstörten Liebe, wobei sie nie sentimental klangen, nur genau. Dabei konnte sie mühelos von der Nahaufnahme zur Totalen switchen. Etwa im Song mit dem bezeichnenden Titel «You Know I’m No Good» und den Zeilen: «Meet you downstairs, in the bar and hurt / Your rolled up sleeves and your skull t-shirt / You say, ‹What did you do with him today?›» – gefolgt vom Refrain: «I cheated myself / Like I knew I would / I told you I was trouble / You know that I’m no good».
Das hochgekrempelte Hemd und das Totenschädel-Shirt deuten an, dass ihr Mann, den sie im Song besingt, sich einen Schuss gesetzt hat. Der resignierte Refrain dann kombiniert in einfachen Worten Selbsthass mit Fatalismus.
«Back to Black» verkaufte sich über 16 Millionen Mal. «Der Schmerz, den sie ausdrückte», sagte ihr Co-Produzent Mark Ronson, «half den Leuten, mit ihren eigenen Schmerzen umzugehen.» Auch darum überraschte ihr Tod niemanden und schockierte alle: Amy Winehouse hatte ihre eigenen Songs gelebt.
Sam Taylor-Johnson: Back to Black. Ab Donnerstag in den Kinos.
Asif Kapadia: Amy. Dokumentarfilm. 2015.
Jeremy Marre: Amy Winehouse: Back to Black. Dokumentarfilm. 2018.
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