Vom Fussballer zum Football-HeldenEr trägt einen verrückten Namen, und sein Haar ist blau – nun schreibt er ein Sportmärchen
Sein Vater war Mr. Universe, seine Mutter stammt aus Deutschland: Wie Amon-Ra St. Brown in den USA nach 66 Jahren Frust für eine Cinderella-Story sorgt.
Der Jubel schlägt hart aufs Ohr. Auf der Tribüne weinen einige Fans vor Glück. Auf dem Rasen tanzen die Spieler mit ihren Trainern, und sie alle zusammen können es irgendwie kaum fassen. Das Footballteam der Detroit Lions hat im Playoff der National Football League (NFL) den Halbfinal erreicht und befindet sich auf dem Weg zur Superbowl. Ein einziges Spiel trennt es noch vom Glück, am Sonntag bei den San Francisco 49ers.
Eines ist dabei wichtig zu wissen: Eigentlich ist das ein Wunder. Denn eigentlich können die Detroit Lions vor allem etwas richtig gut: verlieren. Ausgepumpt steht Angreifer Amon-Ra St. Brown nach dem Viertelfinalsieg gegen die Tampa Bay Buccaneers vor der Kamera und sagt: «Ich kann das noch gar nicht richtig begreifen und möchte jetzt nur noch eines: mit den Jungs in der Kabine feiern.»
Die Lions waren einst ein erfolgreiches Team, in ihrer Geschichte haben sie vier Meisterschaften gewonnen. Aber ihre guten Zeiten sind lange her, mehr als 66 Jahre. Seit dem Titelgewinn Ende 1957 hatten die Lions keinen Grund mehr zum Feiern. Sie schafften es nie mehr ins grosse Endspiel, sondern beendeten zwei Drittel aller Saisons mit einer negativen Bilanz. Sie gewannen letztmals 1991 eine Playoff-Partie – und brachten 2008 das Kunststück fertig, eine Saison lang jedes Spiel zu verlieren.
Detroit, diese tief gefallene Autostadt im kalten Norden, hatte ein Footballteam, das zur ganzen Misere passte. Bis jetzt, und entsprechend glücklich sind die Menschen in Michigan nun. Es ist eine Cinderella-Story, wie sie Amerikanerinnen und Amerikaner besonders lieben.
Der erfrischende Erfolg hat viele Gesichter. Dan Campbell zum Beispiel, der Trainer, der einst für die Lions gespielt hat und sein Herz auf der Zunge trägt. Er mag das risikoreiche Spiel und lässt seinen Quarterback auch dann werfen, wenn sich andere Coachs für das sichere Feldtor entscheiden. Der leidenschaftliche Campbell geht mit den Lions «all in».
Er hat aber auch die Spieler dazu – nur mit heissen Ansprachen ist der Höhenflug nicht zu machen. Die Lions haben sich in den letzten Jahren gezielt verstärkt und den andernorts gestrauchelten Quarterback Jared Goff wieder fit gemacht für die härteste Liga der Welt. Mit Aidan Hutchinson haben sie einen der stärksten Linienverteidiger, mit Penei Sewell einen mächtigen Offensive Lineman sowie mit Jahmyr Gibbs und Sam LaPorta zwei höchst produktive Angreifer.
Keine Neuverpflichtung schlug aber so ein wie Amon-Ra St. Brown. Der 24-jährige Ballempfänger ist deutsch-amerikanischer Doppelbürger, stiess vor knapp drei Jahren zum Team – und wurde seither immer dominanter. So auffällig wie seine Haare ist auch seine Herkunft. Sein Vater John war Bodybuilder und gewann in den Achtzigern den Titel des Mr. Universe. Von ihm hat er die sportlichen Gene und den Vornamen: John Brown hat eine Vorliebe für die Hochkultur der alten Ägypter, bei denen Amun-Re als König der Götter gilt. Seine beiden anderen Söhne heissen Equanimeous und Osiris.
Die Camps mit Bayer Leverkusen
Mutter Miriam stammt aus Leverkusen und ist verantwortlich für das ungewöhnliche «St.» im Nachnamen – ihr Ledigname ist Steyer. Amon-Ra lebte in jungen Jahren in Paris und immer wieder bei den Grosseltern in Deutschland, er spricht fliessend Französisch und Deutsch und ist heute Botschafter für die National Football League im deutsch(sprachig)en Markt.
St. Brown ist passionierter Fussballspieler und nahm einst regelmässig an Sommercamps von Fussball-Bundesligist Bayer Leverkusen teil – spielte aber auch in der zweiten Heimat vor allem Football. Mit der deutschen Junioren-Nationalmannschaft wurde er 2015 EM-Zweiter.
Zurück in Kalifornien, empfahl sich Amon-Ra St. Brown mit dem Footballteam der University of Southern California für die NFL, und im Frühling 2021 war es so weit: Er wurde von den Lions im Draft ausgewählt. Am letzten Tag, in der vierten von sieben Runden, an 112. Stelle – seine Verpflichtung sorgte nicht für die grosse Schlagzeile.
Das hat sich inzwischen geändert. Zehn Touchdowns hat er im laufenden Jahr erzielt, ehe ihm am vergangenen Sonntag gegen die Buccaneers ein weiterer gelang. Sechseinhalb Minuten vor Schluss brachte er damit seine Lions entscheidend in Führung.
Nach diesem Touchdown filmte die TV-Kamera ins Publikum und zeigte die Gesichter glückseliger Lions-Fans. Beliebtes Sujet: der 89-jährige Benjamin Capp. Der Rentner hatte sich vor 66 Jahren erstmals eine Saisonkarte für die Lions gekauft. Es war ein Impulskauf in der Euphorie, wenige Wochen nach dem letzten Titelgewinn der Lions. Die Liebe blieb lange unerwidert. Jetzt ist aller Frust vergessen. Capp sagt: «Ich glaube, wir können die ganze Show gewinnen.»
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