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Erneut «geheimer» Prozess
US-Journalistin muss in russisches Straflager

Alsu Kurmasheva, an editor for the U.S. government-funded Radio Free Europe/Radio Liberty's Tatar-Bashkir service, attends a court hearing in Kazan, Russia on Monday, April 1, 2024. The court on Monday extended pre-trial detention of Kurmasheva, who holds U.S. and Russian citizenship, and was accused of failing to register as a foreign agent and spreading "false information" about the Russian military in a case widely seen as part of the Kremlin's unrelenting crackdown on dissent and free speech. (AP Photo)
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Abgeschottet von der Öffentlichkeit musste es am Freitag plötzlich ganz schnell gehen: Sechseinhalb Jahre Haft für die russisch-US-amerikanische Reporterin Alsu Kurmasheva lautete das Urteil – darüber herrschte zunächst Stillschweigen. Journalistinnen und Journalisten waren nicht zur Gerichtsverhandlung zugelassen und das gesamte Wochenende liess das Gericht verstreichen, bevor es am Montag an die Öffentlichkeit ging – in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur AP. Nicht ohne zu betonen, dass es sich um einen «geheimen» Fall handle – aber wohl wissend um dessen Tragweite.

Denn mit Kurmasheva kommt nun eine weitere Journalistin mit amerikanischem Pass in ein russisches Straflager. Just am selben Tag, knapp 1000 Kilometer weiter östlich, hatte ein Gericht am Freitag einen ihrer Kollegen verurteilt: den «Wall Street Journal»-Reporter Evan Gershkovich. Er bekam 16 Jahre.

Zwei Anhörungen, dann war der Fall erledigt

Beide Fälle gelten als politisch motiviert, die Vorwürfe als konstruiert. Und beide zogen sich erst über Monate, in denen unklar war, was mit den Betroffenen geschieht. Dann wurden sie per Expressverfahren abgefertigt.

Einmal mehr zeigt sich: Das Regime in Russland schafft juristische Tatsachen, wann und wie es will. Üblicherweise dauern Prozesse dieser Art Monate, es werden Zeugen gehört, Gutachten geprüft. Bei Kurmasheva, die für das vom US-Staat finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) arbeitet, gab es zwei Anhörungen, weniger als zehn Tage beschäftigte sich das Gericht mit ihrem Fall, wie die «New York Times» berichtet. Im Fall von Gershkovich waren es drei Tage Prozess – mit insgesamt einem Zeugen.

Alsu Kurmasheva, an editor for the U.S. government-funded Radio Free Europe/Radio Liberty's Tatar-Bashkir service, holds a card depicting her portrait and with a sign in Russian that reads" 'They're waiting for her at home', during a court hearing in Kazan, Russia on Monday, April 1, 2024. The court on Monday extended pre-trial detention of Kurmasheva, who holds U.S. and Russian citizenship, and was accused of failing to register as a foreign agent and spreading "false information" about the Russian military in a case widely seen as part of the Kremlin's unrelenting crackdown on dissent and free speech. (AP Photo)

«Wir glauben, dass Alsu wegen ihrer Arbeit bei RFE/RL und ihrer amerikanischen Staatsbürgerschaft zur Zielscheibe wurde», schreibt ihr Mann Pavel Butorin auf X. Sie sei eine erfahrene Journalistin, völlig zu Unrecht inhaftiert. Sie müsse umgehend freikommen.

Die 47-Jährige ist Mutter zweier Töchter und lebte mit ihrer Familie seit Jahrzehnten in Prag, wo auch der Sender seinen Sitz hat. Vergangenes Jahr reiste sie nach Russland, um ihre erkrankte Mutter zu besuchen. Kurmasheva stammt aus Tatarstan, einer multiethnischen Region in Westrussland, regelmässig berichtete sie über die Gegend. In der dortigen Hauptstadt Kasan fand nun auch der Prozess statt.

Anti-Kriegs-Buch und Diskreditierung der Armee

Als Kurmasheva nach dem Besuch im Sommer 2023 ausreisen wollte, wurde sie von der Polizei gestoppt, die Beamten konfiszierten ihre Pässe – sie ist russische und US-amerikanische Staatsbürgerin. Sie habe ihren US-Pass nicht registriert und sich nicht als «ausländische Agentin» identifiziert, hiess es.

Kurmasheva kam in Untersuchungshaft, wenige Monate danach wurde ein weiterer Vorwurf erhoben: Diskreditierung der Armee. Dieser Straftatbestand gilt in Russland seit kurz nach dem Angriff auf die Gesamtukraine Anfang 2022. Beobachter nehmen an, dass sich der zweite Vorwurf auf ein Anti-Kriegs-Buch bezieht, das sie herausgegeben hatte. Die russischen Behörden legten keine Beweise für die Anschuldigungen vor und verweisen stets darauf, dass ihr Fall «geheim» sei.

epa11487420 The Wall Street Journal (WSJ) correspondent Evan Gershkovich stands inside a glass defendant's cage during verdict announcement in the case against him, in Yekaterinburg's Sverdlovsk Regional Court, Russia, 19 July 2024. Evan Gershkovich, a US journalist of The Wall Street Journal covering Russia, was detained in Yekaterinburg on 29 March 2023. The Russian Federal Security Service (FSB) claimed that on the instructions of the American authorities, the journalist collected information constituting a state secret about one of the enterprises of the Russian military-industrial complex. Yekaterinburg's Sverdlovsk Regional Court sentenced Evan Gershkovich to 16 years in prison.  EPA/STRINGER

Zehn Monate sass die Reporterin in U-Haft, nach dem Expressurteil von Freitag soll sie nun laut AP in einem Straflager mittlerer Sicherheitsstufe. Zum Vergleich: Ihr Kollege Gershkovich wurde wegen Spionage verurteilt, einer der schwersten Vorwürfe in Russland. Er muss in ein Hochsicherheitslager, so wie die russischen Oppositionellen Alexei Nawalny, der in Haft starb, und Wladimir Kara-Mursa, der 25 Jahre Strafe bekam.

Dass die Haftbedingungen auch bei einem «mittelstrengem Regime» gefährlich sind, zeigte sich bei Kurmasheva bereits. Sie war in Kasan zeitweise bei Temperaturen unter null untergebracht, ihr gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich deutlich.

US-Regierung setzt sich für Kurmasheva ein

Die Parallelen zum Fall Gershkovich lassen auch aufhorchen, weil seit vergangener Woche verstärkt über Gefangenenaustausche spekuliert wird. Wie bei dem «Wall Street Journal»-Reporter hat sich bei Kurmasheva die US-Regierung eingeschaltet, das Verfahren scharf kritisiert und betont, dass man sich für die Freilassung einsetze. Ob und gegen wen die beiden ausgetauscht werden könnten, ist unklar. Eine weitere US-Medienvertreterin in russischer Haft könnte die Verhandlungsposition des Kreml aber stärken. Aus dem Kreml hiess es vergangene Woche lediglich, man führe «vertrauliche Gespräche».

Dennoch gilt auch: Etliche weitere US-Bürger sind bereits in russischer Haft, ihr Schicksal ist ebenfalls unklar. Unter ihnen ist der Ex-Soldat Paul Whelan seit 2018. Der Vorwurf: Spionage. Er bekam 16 Jahre Strafe. Auch Marc Fogel ist im Lager, seit 2022 wegen des Vorwurfs Drogenbesitz. Sein Urteil: 14 Jahre.