Neue Führung in JapanAls zweite Wahl zum mächtigsten Politiker
Nach seiner Wahl an die Spitze der Regierungspartei LDP ist so gut wie sicher, dass Fumio Kishida Japans neuer Premierminister wird. Ein Reformer ist er kaum.
Fumio Kishida trug ordnungsgemäss eine Anti-Corona-Maske, als nach der Präsidentschaftswahl der Regierungspartei LDP das Ergebnis bekannt gegeben wurde. Niemand sah, ob er ein breites Siegerlächeln zeigte oder seinen Aufstieg zum mächtigsten Politiker Japans mit unbewegter Miene hinnahm.
Kishida, Ex-Aussenminister aus Hiroshima, hatte die Stichwahl gegen Reformminister Taro Kono mit 257 zu 170 Stimmen gewonnen. Er ist damit nicht nur der neue Chef der Liberaldemokratischen Partei, sondern so gut wie sicher auch Japans nächster Premierminister.
Später, bei seinen ersten Statements, wirkte Fumio Kishida wie einer, der sich gleich an die Arbeit machen will. Er neigt nicht zur Ausgelassenheit. Er kennt die Last der Verantwortung, mit der sein Vorgänger, der noch amtierende Premierminister Yoshihide Suga, letztlich nicht richtig fertig wurde. Ausserdem war ihm sicher nicht entgangen, dass die Gesamtpartei eigentlich einen anderen an der Spitze wollte: Im ersten Wahlgang erhielt er von den 382 möglichen Stimmen der 1,1 Millionen wahlberechtigten Mitglieder nur 110. Sein Konkurrent, der Reformminister Kono, bekam 169.
Die älteren Herren in einer Blase
Dafür hatte Kishida die meisten LDP-Parlamentarier aus Unter- und Oberhaus auf seiner Seite: Von deren 380 gültigen Stimmen sammelte Kishida 146 ein. Sein Konkurrent Kono fiel dagegen mit nur 86 Stimmen zurück. Die Basis muss er von seinen Führungsqualitäten also erst noch überzeugen.
Das Quartett, das am Mittwoch zur Wahl stand, bildet das ganze Spektrum ab, das die Welt der LDP-Konservativen zu bieten hat. Die nationalistische Hardlinerin Takaichi (60), die liberale Gleichstellungskämpferin Seiko Noda (61), der etwas wechselhafte Realpolitiker Kono (58), der sanfte Rechte Kishida. Und dass Kishida gewann, zeigt, wie bedächtig sich die vielen älteren Herren in der Tokioter LDP-Blase in die Zukunft begeben wollen.
Im Machtgefüge der Partei ist Kishida so etwas wie der leibhaftige Kompromiss zwischen Rechtspopulist und Reformer. Im Wahlkampf wirkte er auf viele langweiliger als die charmante Takaichi, die eine Vergangenheit als Motorradfahrerin und Heavy-Metal-Schlagzeugerin vorzuweisen hat. Aber der Umstand, dass sie eine Frau ist, ging der männerdominierten Mehrheit dann wohl doch zu weit. Die geschäftsführende Generalsekretärin Seiko Noda hatte als relativ liberale Frau erst recht keine Chance.
Und auch Taro Kono wollten die einflussreichsten Herren nicht an der Spitze, obwohl dieser Japans gelungenes Impfprogramm zu verantworten hat. Kono gilt als selbstbewusster Einzelgänger. Er war schon gegen Kernkraft, ist für die gleichgeschlechtliche Ehe und möchte mit Südkorea Gespräche in der ewigen Trostfrauenfrage führen – das ist zu viel für das LDP-Establishment.
Also wählte es Kishida, den verlässlichen Konservativen. Der spricht zwar davon, dass er einen «neuen» sozialeren Japankapitalismus will, einen Generationswechsel in der LDP, sogar ein Amtszeitenlimit für altgediente Kräfte. Aber er verstört die Partei nicht mit kühnen Visionen. Er will mehr Geld an den Mittelstand verteilen, gleichzeitig sagt er: «Erst mal brauchen wir Wachstum.» Auch er wird deshalb auf die ultralockere Geldpolitik der Zentralbank bauen, die schon das neoliberale Wirtschaftsprogramm des früheren Premierministers Shinzo Abe stark machte.
Hilfspaket über viele Billionen Yen
Kishida bekennt sich zu Japans Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. «Dazu brauchen wir die Kernenergie», sagt er. Und als er zuletzt nach dem Yasukuni-Schrein gefragt wurde, konnte er nicht ausschliessen, dass er ihn als Premierminister auch besuchen würde. Die Pilgerstätte für Japans Nationalisten ist umstritten, weil dort unter anderen 14 Klasse-A-Kriegsverbrecher in Ehren gehalten werden.
Kishida bewegt sich im rechten japanischen Mainstream. Er geniesst Ansehen bei den Elitebürokraten, kennt sich aber auch mit der internationalen Diplomatie aus, weil er von 2012 an fast fünf Jahre lang Shinzo Abes Aussenminister war. Mit Abe versteht er sich immer noch gut, was ein Faktor bei dieser Wahl war.
Kishida kündigte an, er werde bis Jahresende ein Hilfspaket über viele Billionen Yen vorlegen, um die Wirtschaft aus der Corona-Krise zu führen. Er will sich für einen «freien und offenen» Indo-Pazifik-Raum einsetzen und die sinkende Geburtenrate angehen. Zunächst muss er die LDP aber durch eine Unterhauswahl bringen, deren Termin er selbst festlegen kann. Das wird der erste Test für ihn sein. Seiner Partei rief er deshalb zu: «Wir müssen zeigen, dass die LDP neu geboren wurde.» Für diesen Eindruck hätte sie allerdings einen anderen wählen müssen.
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