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Schweiz vor trockenem Jahr?
Alle Hoffnungen liegen auf einem richtig verregneten April

Kommt es 2023 zur grossen Trockenheit? Im vergangenen Jahr führten viele Gewässer in der Schweiz wie der Sihlsee wenig Wasser.
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Die Lage muss dramatisch sein, wenn Meteorologinnen und Meteorologen über schlechtes Wetter frohlocken. «Juhuii mal wieder Westwindwetter und damit verbunden endlich Regen», twitterte Meteo Schweiz. Nun ist unbeständiges Wetter angesagt, eine Westlage bringt in den kommenden Tagen Niederschläge und stürmischen Westwind. Am Wochenende erwarten die Wetterdienste einen sogenannten «Atmospheric River»: Ein Fluss milder und feuchter Luft aus tropischen Meeresgebieten erreicht vor allem die tiefer liegenden Regionen. Schnee wird es damit in den Tälern und im Mittelland kaum geben. Im Unterwallis oberhalb von 2000 Meter könnten 30 bis 50 Zentimeter Schnee fallen, entlang der Grenze zu Frankreich seien mehr als 60 Zentimeter möglich, heisst es im aktuellen Lawinenbulletin des Schnee- und Lawineninstituts SLF. Wie viel es dann tatsächlich regnet oder schneit, ist allerdings noch nicht sicher.

Sicher ist aber, dass die vorausgesagten Niederschläge der Natur zwar guttun, aber die Folgen des immensen Schneemangels und die Trockenheit in der Schweiz höchstens abmildern. «Die aktuelle Schneearmut in den Schweizer Alpen kann seit Mitte Februar als historisch bezeichnet werden», schreibt das SLF.

Es muss mehr regnen als normal

Noch spüren wir die Konsequenzen der prekären Situation nicht. Doch es fehlt sehr viel Wasser in den Böden und lokal auch im Grundwasser. Manuela Brunner, Leiterin der Forschungsgruppe Hydrologie und Klimafolgen in Gebirgsregionen am SLF und Professorin an der ETH Zürich, sagt es so: «Ich wünsche mir für die Natur einen richtig verregneten April.» Bleibe er aus, dann würden wir in eine ähnliche trockene Situation wie im vergangenen Jahr zusteuern. Statistisch betrachtet, ist der April ohnehin schon durch schlechtes Wetter geprägt. Doch um das derzeit vorherrschende Wasserdefizit in der Schneedecke, im Boden und im Grundwasser wettzumachen, muss es im Frühlingsmonat deutlich mehr regnen als normal.

Der diesjährige ausserordentliche Schneemangel passt gut zur Trockenheitsstudie, die Manuela Brunner kürzlich im renommierten Fachmagazin «Geophysical Research Letter» publizierte. Sie untersuchte anhand von Abflussdaten in den drei grossen Einzugsgebieten Rhein, Rhone und Donau, welche Faktoren in den vergangenen knapp 50 Jahren im Alpenraum zu sommerlichen Dürren führten.

Das Ergebnis: Es ist nicht nur das Regendefizit, das ausschlaggebend für eine sommerliche Trockenheit ist. Entscheidend ist immer mehr auch, wie viel es im Winter schneit. Die Forscherin verglich den Zeitraum 1970 bis 1993 mit der Phase von 1994 bis 2017. «Ein Grund ist, dass die Schneefallgrenze steigt und deswegen weniger Schnee fällt, der dann als Wasserspeicher fehlt», sagt Manuela Brunner.

Langfristige Messungen zeigen in der Schweiz: Die durchschnittliche winterliche Nullgradgrenze ist etwa um 250 Meter angestiegen. Vor etwa 50 Jahren lag sie noch auf 600 Meter. Das heisst: Niederschlag fällt häufiger als Regen, weniger in Form von Schnee. Zudem bleibt der Schnee heute weniger lang liegen und geht damit als Speicher für die wärmeren Monate im Frühling und Sommer schneller verloren. Eine Studie der Universität Neuenburg und des SLF zeigte bereits vor einigen Jahren, dass unabhängig von der Höhenlage die Schneedecke weniger lang liegt: Im Durchschnitt beginnt die Schneesaison heute 12 Tage später und endet rund 25 Tage früher als 1970.

«Schneeschmelzedefizite und eine grössere Verdunstung verstärken eine Trockenheit.»

Manuela Brunner, Leiterin Hydrologie und Klimafolgen in Gebirgsregionen am Schnee- und Lawineninstitut

Hinzu kommt, dass auch die Verdunstung von Wasser in den Gewässern und im Boden in den Frühlings- und Sommermonaten durch die Erderwärmung gestiegen ist. «Schneeschmelzedefizite und eine grössere Verdunstung verstärken eine Trockenheit», sagt Brunner. Und das werde sich weiter verschärfen, falls wir die Erderwärmung nicht stoppten. In der Schweiz ist es in den letzten hundert Jahren im Durchschnitt 2 Grad wärmer geworden.

«Das Schnee- und Regendefizit sollte uns motivieren, uns Gedanken zu den nächsten Monaten zu machen», sagt Massimiliano Zappa, Hydrologe beim Eidgenössischen Forschungsinstitut WSL in Birmensdorf. Auch 2005/2006 habe es einen relativ trockenen Winter gegeben, doch der sei nach dem grossen Hochwasser im Sommer 2005 gekommen, und entsprechend viele Wasserreserven seien vorhanden gewesen. Auch 2022 gab es im Tessin und in Norditalien einen schneearmen Winter. «Die darauffolgende Trockenheit hat sich bis in den Herbst erstreckt», sagt Zappa. Das Wasserdefizit wurde seit dem vergangenen Sommer bis heute nicht kompensiert. So gibt es noch eine Hypothek vom letzten Jahr. Doch im Gegensatz zu 2022 betrifft der Schneemangel in diesem Jahr den gesamten Alpenraum westlich von Österreich. Auch der angekündigte Regen wird dem Tessin nicht helfen, die Niederschläge fallen vor allem auf der Alpennordseite. 

Es fehlen laut Zappa eineinhalb Monate Niederschlag. Regional dürften zwar in den nächsten Tagen bis zu 100 Millimeter Niederschläge fallen. Doch es braucht mehr. «Ein durchschnittlicher Regen in den nächsten Monaten reicht vielleicht, um die Böden genügend zu nässen, aber nicht, um die Pegelstände in Gewässern und Seen zu normalisieren», sagt Zappa. Der diesjährige kleine Wasserspeicher in Form von Schnee wird vermutlich den Abfluss in zahlreichen Gewässern verringern. Denn der grösste Teil des Schnee-Schmelzwassers fliesst im Frühling in den Alpen in die Bäche und Flüsse. Der Abfluss der Flüsse wird also ohne massive Niederschläge sinken und damit auch die Pegel in den Seen.

Anders ist es im Mittelland, wo die Böden schneefrei sind oder der Schnee weniger lang liegt. Dort versickert ein grosser Teil des Regenwassers in den Böden. Mit der steigenden Verdunstung, verursacht durch den Klimawandel, nimmt die Gefahr nach niederschlagsarmen Wintern zu, dass die Böden austrocknen. Auch die Speicherseen für die Energieproduktion würden vermutlich im Sommer weniger Wasser führen, so Zappa. 

«Viele Quellen in den Alpen weisen nach schneearmen Wintern einen minimalen Abfluss auf.»

Massimiliano Zappa, WSL-Hydrologe

Die grossen Grundwasserreservoirs im Mittelland werden gemäss Zappa vermutlich weniger unter dem aktuellen Schneemangel leiden. Die Quellen in den Alpen hingegen würden die Trockenheit spüren. «Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass viele Quellen in den Alpen nach schneearmen Wintern einen minimalen Abfluss aufweisen», sagt Zappa. Im letzten Sommer musste man deshalb Wasser für die Tiere auf manche Schweizer Alp einfliegen. Zudem gab es zu wenig Futter für das Vieh wegen der Trockenheit.

Kritisches Wasserdefizit im Boden

Ähnlich steht es um die Böden. Noch stellt das Wasserdefizit kein Problem dar, weil die Natur noch nicht am Blühen ist. Aber der Wassergehalt in den Böden, sprich die Bodenfeuchte, ist geringer als normal. «Die Schnee- und Bodenwasserdefizite sind besorgniserregend, weil sie zu dieser Jahreszeit sehr unüblich sind», sagt Sonia Seneviratne vom Departement für Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich. Es bräuchte etwa ein bis zwei Monate mit überdurchschnittlichem Niederschlag, um diese Defizite zu kompensieren.

Noch gibt es Hoffnung. Wenn es in den nächsten Wochen Regen gibt, so sind es die Böden, die sich als Erste erholen. «Es ist deshalb noch zu früh, um vorherzusagen, wie die jetzige Lage sich auf die Sommerverhältnisse auswirken wird», sagt die ETH-Klimaforscherin. «Aber es gibt ein erhöhtes Risiko, dass wir trockene Bedingungen erleben werden.» Zudem habe die Wahrscheinlichkeit von trockenen Sommern in den letzten Jahren als Folge des menschenverursachten Klimawandels in der Schweiz zugenommen. Beispiele seien 2018 und auch der letzte Sommer.

Auch WSL-Hydrologe Massimiliano Zappa ist vorsichtig mit Prognosen. Die Situation sei aber so, dass Gemeinden oder Bauern sich bereits heute Überlegungen machen sollten, wie sie sich wie im letzten Jahr auf einen trockenen Sommer einstellen könnten. Sei es, trockenresistentere Kulturpflanzen anzubauen oder die Bewässerung auf Tropfbewässerung umzustellen.

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