Notgesetz für mehr StromproduktionAlbert Röstis Coup für die Grimsel-Staumauer
Was für den Bau von Grosssolaranlagen galt, wird nun auf die Wasserkraft ausgeweitet: Das Parlament hebelt auch für den Grimsel-Stausee die normalen Rechtsverfahren aus.
Die Schweizer Politik funktioniert langsam und gemächlich? Von wegen! In der laufenden Herbstsession arbeitet das Bundesparlament nahezu mit Warp Speed, mit Überlichtgeschwindigkeit.
Und es fällt spektakuläre Entscheide: Am Montagabend hat der Nationalrat beschlossen, bei dem seit Jahren blockierten Ausbau des Grimsel-Stausees die normalen Rechtsverfahren teilweise auszuhebeln. In einem dringlichen Bundesgesetz erteilt der Rat weitgehend eine Carte blanche für eine rasche Erhöhung der Staumauer um 23 Meter.
Der bestehende, 90 Jahre alte Stausee auf dem Grimselpass würde um 75 Prozent vergrössert. Naturschutzanliegen werden per Bundesgesetz hinter die Interessen der Stromproduktion zurückgestuft. Das Parlament handle damit «praktisch gleichzeitig als Legislative, Exekutive und Justiz», meinte FDP-Nationalrat Matthias Jauslin. Die derzeit im Kanton Bern hängige Richtplanänderung wäre überflüssig.
Der Nationalrat nimmt damit einen Steilpass auf, den ihm der Ständerat zugespielt hat. Dieser hat vor zehn Tagen einen ebenso beispiellosen Entscheid gefällt: Er beschloss, für den Bau alpiner Grosssolarkraftwerke bis Ende 2025 die üblichen Bewilligungsverfahren teilweise auszusetzen. Der Nationalrat hat diese ständerätliche Solaroffensive nun erstens bestätigt und zweitens auf die Wasserkraft ausgeweitet.
Das ist auch regional bemerkenswert: Bei den Solarkraftwerken stehen zwei Projekte in den Walliser Gemeinden Grengiols und Gondo im Fokus. Die Grimsel-Staumauer hingegen liegt im Kanton Bern. Zur «Lex Alpinsolar» für das Wallis kommt nun also eine «Lex Grimsel» für den Kanton Bern hinzu.
Die «Lex Grimsel» ist ein persönlicher Erfolg für Albert Rösti, der gleich doppelt einen engen Bezug zum Grimselprojekt hat. Erstens ist er SVP-Nationalrat aus dem Standortkanton Bern, zweitens Präsident des Wasserwirtschaftsverbands, also der Wasserkraftlobby.
Rösti war es, der in der vorberatenden Kommission den Antrag einreichte, zusätzlich zu alpinen Solaranlagen auch Wasserkraftwerke in das dringliche Bundesgesetz aufzunehmen: Neben der Grimsel-Staumauer nannte Rösti in seinem Antrag auch den ebenfalls geplanten neuen Speichersee Trift im Berner Gadmental.
Im Rahmen der Kommissionsverhandlungen fiel der Trift-See heraus, weil dieses Projekt weniger weit fortgeschritten ist als der Ausbau auf der Grimsel. Dieser ist seit über 20 Jahren in Planung; die federführenden Kraftwerke Oberhasli und der Kanton Bern wurden jedoch mehrfach von Gerichten zurückgepfiffen, zuletzt im November 2020 vom Bundesgericht.
«Der Fluch der bösen Tat»
Rösti setzt sich damit auch gegen seinen eigenen Fraktionschef durch. Für Thomas Aeschi ist die Vorlage verfassungswidrig, wie er im Rat sagte. Mit dem dringlichen Gesetz erteile die Bundesversammlung für die erwähnten Energieprojekte faktisch gleich selber die Baubewilligung und verunmögliche eine unabhängige Überprüfung durch die Gerichte. «So geht es nicht», sagte Aeschi.
Aeschi warnte vor dem «Fluch der bösen Tat», welche zwangsläufig weitere verfassungsrechtliche Sündenfälle nach sich ziehen werde. Deshalb beantragte Aeschi zunächst sogar Nichteintreten zur Vorlage. Nach einer Diskussion in der SVP-Fraktion am Montagnachmittag beugte er sich aber Rösti und zog seinen Antrag zurück.
Keine Solarpflicht für Einfamilienhäuser
Mit dem Einbezug der Wasserkraft baut der Nationalrat die Energieoffensive also aus. In zwei anderen Punkten stutzt er die Vorlage des Ständerats aber substanziell zurecht.
Erstens baut er in den ständerätlichen Gesetzesentwurf verfassungs- und umweltrechtliche Grenzen ein. Damit reagiert die grosse Kammer zum einen auf Kritik des Bundesamts für Justiz, welches letzte Woche in einem Gutachten vor einem Verfassungsbruch warnte. Zum anderen hält der Nationalrat in seiner Gesetzesversion explizit fest, dass die geplanten Solarkraftwerke weder in Biotopen von nationaler Bedeutung noch in Wasser- oder Zugvogelreservaten gebaut werden dürfen. Die Projekte in Grengiols und Gondo werden durch diese Einschränkung nicht verhindert, Projekte in anderen Alpentälern aber möglicherweise schon.
«Alle mussten über ihren Schatten springen und Kröten schlucken.»
Bedeutend ist auch eine zweite Einschränkung, die der Nationalrat bei der vom Ständerat ebenfalls beschlossenen Solarpflicht für Neubauten vornahm. Dessen Entwurf sah vor, dass bei allen neuen Häusern künftig zwingend Solaranlagen auf das Dach gehören. Der Nationalrat schränkt diese Pflicht nun aber auf Gebäude mit über 300 Quadratmetern ein – das heisst: Alle Einfamilienhäuser sind ausgenommen. Energieministerin Simonetta Sommaruga äusserte ihr Unverständnis für diese Einschränkung.
Mehrere Rednerinnen und Redner betonten, dass dieser Kompromiss von allen Lagern Opfer verlange. «Alle mussten über ihren Schatten springen und Kröten schlucken», sagte Nadine Masshardt (SP). Stefan Müller-Altermatt (Mitte) meinte: «Man muss sich in einer Krise auch mal zusammenraufen.»
Schliesslich stimmte der Rat der Vorlage mit 149 Stimmen zu. Lediglich 17 Ratsmitglieder aus verschiedenen Parteien lehnten ab, auch in der SVP gab es eine klare Ja-Mehrheit. Die grüne Fraktion enthielt sich jedoch grossmehrheitlich – primär, weil die Ratsmehrheit die Solarpflicht für Neubauten verwässerte.
Bereits am Dienstag kommt die Vorlage nochmals in den Ständerat. Falls er die Änderungen des Nationalrats übernimmt, ist das Sondergesetz unter Dach und Fach. In Kraft treten würde es bereits am nächsten Samstag. Warp Speed.
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