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Albanische Albträume

An Enver Hoxhas Geburtstag treffen sich Nostalgiker an seinem Grab. Tirana, 16. Oktober 2010.
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Albanien. Das Paradies. Diesen Eindruck konnte gewinnen, wer in den 1960er-Jahren Radio Tirana hörte. Das kommunistische Regime verbreitete seine Propaganda auf Kurzwelle in mehr als 20 Sprachen, darunter auch auf Deutsch. Das Volk liebte die Partei, den grossen Führer, die Armee. Diese Liebe war flammend. Das Proletariat war glücklich, Frauen und Männer hatten die gleichen Rechte, niemand musste Steuern zahlen, die Weltrevolution war auf dem Vormarsch, der Kapitalismus vor dem Untergang. So tönte es bei Radio Tirana, und als Jugendlicher glaubte Hans Peter Jost fast, er habe das Paradies entdeckt: Albanien.

Tirana 1992, Flughafen
Tirana 1991
Tirana 1993, Baba Bajram im Weltzentrum der Bektaschi

Als Jost, mittlerweile Fotograf, kurz nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur Anfang der 1990er-Jahre endlich nach Albanien einreisen durfte, fand er – eine Hölle mit fast 200’000 Bunkern. Der Verbrecher Enver Hoxha (1908–1985) hatte sein Land hermetisch abgeriegelt. Während seiner Herrschaft liess er etwa 6000 Menschen hinrichten, Tausende wurden in Internierungslager gesteckt, und 1967 erklärte das Regime Albanien zum ersten atheistischen Staat der Welt. Unter den Kommunisten galt Albanien als «Nordkorea am Mittelmeer», die Menschen litten an Hunger.

Tirana 1992, Private Bäckerei
Auf dem Land 2010, Die Zersiedelung breitet sich schnell aus
Tirana 2010, Am Ende des Bajram

Mit seinen Bildern nimmt uns Hans Peter Jost mit auf eine postkommunistische Zeitreise durch albanische Städte, Dörfer und Industrieruinen. Unsicherheit und grosse Armut prägen den Alltag der Menschen, viele haben nur ein Ziel: Italien. Sie stürmen westliche Botschaften in der Hauptstadt Tirana und Schiffe in den Hafenstädten Durrës und Vlora, zwingen die Kapitäne zur Fahrt in Richtung Bari oder Brindisi.

Tirana 1991, Schwarzgeldwechsler
Lumbhara nahe Fushë Arrez 2010
Tirana 1992

Jost dokumentiert mit seiner Kamera einfühlsam das Leben der Zurückgebliebenen, die nicht zurückbleiben wollen und von einem besseren Leben träumen. Im Kommunismus durften die Menschen kein Privatauto besitzen, nun wollte jeder einen Mercedes, weil nur diese Fahrzeuge die albanischen Schlaglochpisten überstanden. Man sieht jetzt auch andere Automarken auf den Strassen der Adriarepublik, aber die Liebe der Albaner zum Mercedes rostet nicht.

Vora 1994, Fahrschule
Korça 2010

In den 90er-Jahren tapezieren die grossen Symbole des Kapitalismus den öffentlichen Raum. Spekulanten befeuern den Wunsch nach schnellem Reichtum und errichten betrügerische Finanzpyramiden, die 1997 zusammenbrechen. Die geprellten Anleger wollten, dass der Traum vom albanischen Kapitalismus weitergeht – und griffen zu den Waffen, es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Der Westen interveniert und rettet Albanien vor sich selbst. Der Fotograf Hans Peter Jost kehrt zurück nach Zürich.

Durres 1991
Tirana 1993, Justina Aliaj und ihr Sohn Rubin Kodheli
Durres 2010, Mit Knoblauch und Puppe gegen den bösen Blick
Tirana 2021

Doch Albanien lässt ihn nicht los. Nach einem Jahrzehnt kommt er wieder in ein Land, das nicht mehr so grau ist wie vor 30 Jahren. Unter westlichen Touristen gilt die Adriarepublik als Geheimtipp. Der Glanz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Albanien weiterhin mit grossen politischen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Diese Schattenseiten rückt Hans Peter Jost in facettenreichen Bildern in den Vordergrund – immer verbunden mit der Hoffnung, dass die Menschen eine Zukunft finden in diesem faszinierenden Land.

Velipoja 2021, Vergnügungspark