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Aktionspläne gegen die Hitze
Lausanner Polizisten helfen der 99-jährigen Maddy durch die heissen Tage

«Heute geht es mir gar nicht gut. Mir ist ein wenig schwindlig», sagt die 99-jährige Maddy den beiden Lausanner Hilfspolizisten, die ihr einen Hausbesuch abstatten.
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Draussen zeigt das Thermometer 32 Grad. Drinnen sitzt die 99-jährige Maddy im Wohnzimmer ihrer Wohnung, die sie seit 54 Jahren mietet, und klagt: «Ich war nie krank in meinem Leben. Aber heute, heute geht es mir gar nicht gut.» Schon am Morgen sei es heiss gewesen, und jetzt am Nachmittag sei es noch heisser. Schwindlig sei ihr immer ein bisschen, aber heute ganz besonders. In ihrem Nacken liegt ein feuchtes Tuch. Unter ihrer Achsel klemmt ein Eisbeutel. Der Bestäuber einer bekannten Mineralwassermarke steht in Griffweite, ebenso eine mit Hahnenwasser gefüllte Cola-Flasche. Neben dem Kanapee bläst ihr ein Ventilator frische Luft ins Gesicht.

Die 99-jährige Maddy ist eine von rund 50 betagten Lausannerinnen und Lausannern, die derzeit täglich Besuch erhalten: von Hilfspolizisten. Die Beamten schauen, dass die alten Menschen bei guter Gesundheit sind, sich kühlen und genügend trinken, sie öffnen oder schliessen Fenster und drehen Sonnenstoren und Fensterläden herunter.

Die Stadt Lausanne bietet das Hilfsangebot seit 2010 an. Anfang Juni verschickt sie jeweils allen über 70-Jährigen ein Merkblatt mit Verhaltensempfehlungen bei Hitze und einer Stadtkarte. Darauf sind öffentlich zugängliche, besonders kühle oder schattenspendende Orte eingezeichnet, etwa Wälder, Parks, Museen, Kirchen, Schwimmbäder und Brunnen. Und die Stadt ruft Rentner wie Maddy auf, eine Hotline anzurufen, um sich in die Liste für Hausbesuche einzutragen.

Die Hilfspolizisten hören Maddy aufmerksam zu, während sie erzählt, wie es ihr in der aktuellen Hitze in ihrer Wohnung so geht. 

Die Hausbesuche sind in allen Waadtländer Gemeinden fester Bestandteil des sogenannten «plan canicule». Diesen Hitzeaktionsplan setzt das Waadtländer Gesundheitsdepartement jeweils vor Hitzetagen in Kraft. Der jetzige begann am Freitag und dauert noch bis Donnerstag. Bis dahin wird Maddy, die ihren Familiennamen aus Persönlichkeitsschutzgründen nicht nennen will, täglich von zwei Hilfspolizisten besucht. 

«Ich schlafe ja immer gut, aber jetzt erwache ich zwei- bis dreimal pro Nacht.»

Maddy, eine 99-jährige Lausannerin

Und so sitzen auch am Montagnachmittag wieder zwei städtische Beamte bei Maddy, nachdem sie ihren Besuch am Morgen telefonisch angekündigt haben. Die 99-Jährige ist gesprächig. «Ich schlafe ja immer gut, aber jetzt erwache ich zwei- bis dreimal pro Nacht», erzählt sie. Zu trinken habe sie ja genug, aber so richtig trinken möge sie trotzdem nicht. 

Die Hitzebroschüre des Kantons hat Maddy fast schon auswendig gelernt. 

Die Polizisten zeigen Verständnis, fragen nach und notieren alles auf ein Formular, erinnern nochmals nett, aber eindringlich an alle Vorsichtsmassnahmen und übergeben ihr einen kleinen Zettel mit dem Hinweis: «Kontaktieren Sie sofort den Notfallarzt, wenn Sie sich schlechter fühlen!» Später am Tag komme eine Enkeltochter zu Besuch, beruhigt Maddy. Ihre eigenen Kinder könnten leider nicht oft kommen, aber sie riefen täglich mehrere Male an. Sie seien eben selbst schon über 70 Jahre alt und wohnten im siebten Stock eines Mehrfamilienhauses direkt unter dem Dach, wo es ebenfalls heiss sei. Sowieso sei ihre Familie einmal sehr gross gewesen, aber heute sei halt fast niemand mehr da.

«Es sind vor allem alleinstehende, gebrechliche Menschen, die unser Besuchsangebot nutzen.»

Michel Gandillon, Medienchef des Lausanner Krisenstabs.

«Es sind vor allem alleinstehende, gebrechliche Menschen, die unser Besuchsangebot nutzen», sagt Michel Gandillon, Medienchef des Lausanner Krisenstabs. Häufig meldeten auch Angehörige betagte Familienmitglieder an, um sicherzustellen, dass die Liebsten umsorgt seien, während sie sich einige Ferientage gönnen würden. Schwere medizinische Probleme habe man glücklicherweise noch nie angetroffen, sagt Michel Gandillon. Wenn aber eine Person auf Anrufe nicht reagiert, sucht die Polizei nach ihr. 

Erstmals Daten zu Hitzetoten

In diesem Sommer hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erstmals die Anzahl hitzebedingter Todesfälle seit 2002 publiziert. Gemäss dem BAG sind im letzten Jahr 474 Personen an den Folgen der Hitze gestorben. Im Hitzesommer 2003 waren es 1402 (siehe Box). «Die Analysen zeigen insgesamt, dass die meisten hitzebedingten Todesopfer durch moderat heisse Temperaturen verursacht werden – und nicht durch Hitzewellen», schreibt das Bundesamt in einer Medienmitteilung. Das BAG ruft die Bevölkerung dazu auf, «bei Bedarf gesundheitlich vorbelastete, insbesondere ältere Personen im Umfeld beim Schutz vor Hitze zu unterstützen».

Peter Burri Follath, Sprecher von Pro Senectute Schweiz, bezeichnet den Aktionsplan in Lausanne und der Waadt als «nützlich und zukunftsweisend». Auch in Städten wie Genf und Basel gebe es ähnliche Formen von organisierter Nachbarschaftshilfe, und das sei kein Zufall, so Burri Follath. Diese Städte gehören wie das gesamte Genferseegebiet zu den heissesten Regionen der Schweiz. Doch die Temperaturen stiegen derzeit überall. Es sei extrem wichtig, betagte Menschen und deren Angehörige darauf hinzuweisen, wie man sich vor extremer Hitze schütze. Das tut Pro Senectute auch selbst bei jenen einigen Tausend Menschen, welche die Organisation das ganze Jahr über besucht. Sie stellt sich aber auch für temporäre Aktionspläne zur Verfügung, wie derzeit im Kanton Basel-Stadt.

Der Stadtkanton hat letzte Woche eine Hitze-Hotline eingerichtet, in Partnerschaft mit Pro Senectute. Die Telefonnummer kann anrufen, wer Fragen zum Umgang mit der Hitze hat oder Hilfe beim Einkaufen braucht. «Es gab einige Anrufe, auch von Angehörigen von betagten Leuten», sagte Anne Tschudin vom basel-städtischen Gesundheitsdepartement. Viele Leute müssten Wissen aufbauen, sagt Anne Tschudin. Andere wiederum fragen, ob sie sich richtig verhalten. 

Tipps und Hotlines

Bislang bieten aber vor allem Westschweizer Kantone Hitze-Hotlines an. Die Deutschschweizer Kantone nutzen vor allem das Internet und Social Media, um Tipps für heisse Tage in Umlauf zu bringen – und der Bund publiziert Verhaltensempfehlungen. Gemäss Tobias Bär, dem Sprecher der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), hätten Studien des Bundes gezeigt, dass das hitzebedingte Sterberisiko in der Schweiz zwischen 2009 und 2016 abgenommen habe. Für diesen Rückgang gibt es vor allem einen Grund: die Aktionspläne der Kantone in der lateinischen Schweiz. 

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Die Pläne seien zwischen 2004 und 2008 in den Kantonen Waadt, Genf, Freiburg, Neuenburg, Wallis und Tessin eingeführt worden, so Bär. Sie umfassen Massnahmen zum Gesundheitsschutz von verschiedenen Akteuren im Gesundheits- und Sozialwesen. Bär: «Koordinierte Massnahmen zum Schutz der Gesundheit werden mit der zunehmenden Hitzebelastung immer wichtiger.» Aufgrund der immer intensiveren Hitzeperioden müsse man die geltenden Empfehlungen des Bundes und der Kantone verfeinern und anpassen. Dabei müsse man auch regionale Unterschiede berücksichtigen, denn Auswirkungen von Hitze könnten «von Region zu Region und sogar von Ort zu Ort» unterschiedlich sein. So komme es zum Beispiel darauf an, ob es sich um ein stark verbautes oder grünes Gebiet handle. 

Die 99-jährige Maddy sehnt sich für heute bereits den Sonnenuntergang entgegen. «Am nächsten Freitag werden die Temperaturen wieder sinken», versprechen ihr die Hilfspolizisten derweil. «Uff, werden wir dann sagen!», antwortet die 99-Jährige. Dann verabschiedet sie die Beamten. Maddy wird sie schon morgen wieder in ihrem Wohnzimmer willkommen heissen.