Kommentar zum Ja zur AHV-VorlageBitte das Rentenproblem jetzt ernst nehmen
Die Gegner der 13. AHV-Rente tun so, als wären die allermeisten Menschen heute in einer komfortablen Situation. Diese Ignoranz ist gefährlich.
All diese Erklärungen. Das Volk habe das Vertrauen in die Wirtschaft verloren. Es habe sich über die Kampagne von Economiesuisse genervt. Es sei nach Corona-Krediten und Bankenrettungen abgestumpft gegenüber Milliardenbeträgen. Es ärgere sich über hohe Ausgaben für Asylsuchende und Entwicklungshilfe. «Jetzt muss mal was für uns rausspringen», habe es statuiert. Es sei nach links gerutscht. Es wolle sein liberales Erbe von 1848 preisgeben.
So viele teils originelle, teils skurrile Denkansätze, mit denen uns Politiker und Medien seit Sonntag eindecken. Die einfachste, nächstliegende Erklärung für das Ja zur 13. AHV-Rente bleibt dagegen oft unerwähnt. Vielleicht spüren einfach immer mehr Rentnerinnen und Rentner, wie ihnen Inflation und Prämienschock das Geld wegfressen. Vielleicht packt immer mehr Erwerbstätige der Schrecken, wenn sie von ihrer Pensionskasse eine Rentenprognose erhalten. Vielleicht sieht eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer ein reales, konkretes Problem bei ihrer persönlichen Rentensituation.
Die Linke hat auf dieses Problem mit der 13. AHV-Rente eine Antwort gegeben. Eine sehr teure Antwort, die uns noch Schwierigkeiten bereiten wird. Aber immerhin eine Antwort.
Die Bürgerlichen hingegen tun so, als gäbe es das Problem nicht. Oder sie billigen es allenfalls einer winzigen Schicht am untersten Einkommensrand zu. Insgesamt jedoch zeichnen sie das Bild einer fröhlichen Rentnergeneration, die in Reichtümern schwimmt. Und einer Jugend, deren einzige Sorge es ist, nicht zu viel Lohn an die AHV abzuliefern. An die AHV, die – wenn überhaupt – heute schon zu teuer sei.
Viele Gelegenheiten verpasst
Diese Verweigerungshaltung von rechts rächt sich jetzt. Es hätte in den letzten Jahren viele Möglichkeiten gegeben, die 13. AHV-Rente zu verhindern. Schmerzlich ist vor allem die verpasste Gelegenheit von 2017. Damals verabschiedete das Parlament mit den Stimmen der Mitte und der Linken eine ausgewogene Reform, die auf Jahre hinaus die Situation befriedet hätte, und dies für die erste wie auch die zweite Säule. Da das Paket unter anderem einen (sehr moderaten) AHV-Ausbau beinhaltete, machten FDP und SVP aber auf Totalopposition. Und brachten das Projekt in der Volksabstimmung zu Fall.
Spätestens seit Sonntag ist klar, dass Anti-Umverteilungs-Ideologie künftig keine Siege an der Urne mehr gewährleisten wird. Dasselbe gilt für die Loblieder auf unser angeblich «bewährtes 3-Säulen-System». Dieses System, geschaffen zu Zeiten lukrativer Zinsen, ist zusehends weniger in der Lage, sein wichtigstes Versprechen zu erfüllen, nämlich die Sicherung des gewohnten Lebensstandards im Rentenalter. Das ist weniger ein Problem der AHV als der beruflichen Vorsorge, deren Leistungen kollabieren. Das Parlament hat diese Entwicklung bisher zu passiv mitverfolgt.
FDP, Mitte und SVP müssen den Missstand endlich anerkennen und anpacken. Alle Ideen sind ergebnisoffen zu prüfen – auch eine Gewichtsverschiebung von der zweiten zur ersten Säule darf nicht mit einem Denkverbot belegt sein. Beschränken sich die Parteien hingegen auf missmutige Sparübungen, auf Predigten über Demografie und Eigenverantwortung: Dann wird im Volk die Bereitschaft zu radikalen und teuren Lösungen steigen. Radikaler und teurer als die 13. AHV-Rente.
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