Corona verliert den SchreckenAfrika ist gefährlich impfmüde
Lange fehlte der Impfstoff, jetzt verfällt er. Dabei sind auf dem afrikanischen Kontinent weniger als 19 Prozent geimpft. Das hilft dem Virus, sich weiterzuentwickeln.
Ein Gamechanger sei das, eine grundlegend neue Spielregel – so freute man sich bei dem südafrikanischen Pharmakonzern Aspen, als dieser im vergangenen Dezember eine Lizenz mit dem Pharmariesen Johnson & Johnson vereinbarte: Dessen Corona-Impfstoff sollten die Südafrikaner bald für ganz Afrika abfüllen und unter dem eigenen Namen Aspenovax vertreiben dürfen. Ein grosser Schritt für die weltweite Impfgerechtigkeit, befanden auch Gesundheitsexperten.
Nur wenige Monate später hat Aspen nun mit einer Warnung überrascht: Man fürchtet, die Produktion des Impfstoffs in Südafrika beenden zu müssen. Es gebe schlicht keine Nachfrage dafür. Seit Wochen sei keine einzige Bestellung eingegangen, sagte John Nkengasong, Chef des Center for Disease Control bei der Afrikanischen Union. «Das Risiko ist sehr, sehr hoch, dass das Unternehmen die Produktion der Impfstoffe von Johnson & Johnson tatsächlich einstellt», so der Virologe. «Wir können und dürfen nicht zulassen, dass das passiert.»
Reiche Länder spenden viel Impfstoff
Die geringe Nachfrage sei zum einen damit zu erklären, dass reichere Länder mittlerweile mehr Impfstoff spendeten. Vor allem aber seien die Impfkampagnen in den afrikanischen Ländern fast zum Erliegen gekommen. Dabei sind etwa in der Demokratischen Republik Kongo gerade einmal 0,1 Prozent der etwa 80 Millionen Einwohner geimpft. Im Südsudan sind es keine 5, in Tansania 6 Prozent.
Während rund zwei Drittel der Industrienationen das weltweite Impfziel von derzeit 70 Prozent der Bevölkerung erreicht haben, sind auf dem afrikanischen Kontinent insgesamt weniger als 19 Prozent geimpft.
Die Hoffnung auf schnelle Abhilfe ist gering. «Das Impftempo auf dem ganzen Kontinent müsste um das Neunfache gesteigert werden, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, 70 Prozent der Bevölkerung bis Juni 2022 zu impfen», sagte Matshidiso Moeti, Regionaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO für Afrika.
Grosse Empörung, als Impfstoff exportiert wurde
Selbst in Südafrika stagniert die Impfquote bei rund 36 Prozent. «Das ist seit einigen Monaten fast unverändert», sagt Wolfgang Preiser, Professor für Virologie an der Universität Stellenbosch. Wie auch in anderen Teilen Afrikas habe es anfangs eine riesige Nachfrage nach Impfstoffen gegeben, aber nur sehr wenig Dosen. Damals füllte der Hersteller Aspen in Südafrika vor allem Dosen für Europa und die USA ab, nicht für das eigene Land. Als im vergangenen August bekannt wurde, dass Aspen zehn Millionen Dosen exportiert, während in Kapstadt und Johannesburg Mangel herrscht, war die Empörung gross.
«Jetzt gibt es genug, aber das Momentum ist verloren gegangen. Ich fürchte, dass wir am Limit sind, also schon alle erreicht haben, die sich impfen lassen wollen», sagt Preiser. Im Juni laufen in Südafrika Millionen Dosen von Biontech ab, auch in anderen afrikanischen Ländern stapeln sich unbenutzte Dosen. Fast 40 Prozent der bisher an den Kontinent gelieferten Impfstoffdosen wurden nicht verwendet.
Die lange beklagte weltweite Impfungleichheit ist in Afrika einer tragischen Impfmüdigkeit gewichen. Woran liegt das?
Neben dem verpassten Zeitpunkt machen Experten den Pandemieverlauf verantwortlich: Viele Afrikaner sähen keine grosse Notwendigkeit zur Impfung mehr, weil es in ihrem Umfeld kaum Todesfälle oder schwere Erkrankungen gebe. Zu Pandemiebeginn wurde dem Kontinent das Schlimmste vorausgesagt – etwas mehr als zwei Jahre später weist Afrika aber die weltweit niedrigsten Todesraten auf. Die WHO weist für die 1,2 Milliarden Menschen in Afrika lediglich 170’000 Tote aus, weniger als Grossbritannien.
Sehr junge Bevölkerung
Experten haben sich in den vergangenen Monaten an vielen Erklärungen für den vergleichsweise sanften Pandemieverlauf versucht. «Ich glaube nicht an eine afrikanische Einzigartigkeit», sagt Preiser. «Das Durchschnittsalter in Afrika beträgt 19 Jahre. Der Anteil der Älteren und damit deutlich stärker Gefährdeten an der Bevölkerung ist niedriger. Rechnet man das raus, glaube ich nicht an fundamentale Unterschiede.»
Zudem seien die niedrigen Todeszahlen auch damit zu erklären, dass in vielen afrikanischen Ländern eine verlässliche Datenbasis fehle. Selbst in Südafrika, wo man davon ausgehen kann, dass jeder Todesfall zumindest registriert wird, gibt es nicht immer Informationen zur Todesursache. Die Regierung geht mittlerweile davon aus, dass zu den offiziell 100’000 gemeldeten Toten eine Übersterblichkeit von etwa 300’000 kommt. Ähnlich könnte es in anderen afrikanischen Ländern aussehen.
Die Corona-Pandemie ist erst dann zu Ende, wenn sie überall auf der Welt zu Ende ist.
Wie ungenau die Daten sind, zeigt auch die Zahl der Infizierten. Nur 11,5 Millionen sollen es nach Angaben der Afrikanischen Union sein. Dagegen schätzt die WHO, dass etwa zwei Drittel der Afrikaner schon eine Infektion hinter sich haben – und damit auch besser vor einer erneuten Erkrankung geschützt sind. Muss man also überhaupt noch impfen? Eindeutig ja, sagt Stellenbosch-Virologe Preiser. Erst nach drei Kontakten mit Covid, ob durch Impfung oder Erkrankung, sei der Schutz vor tödlichen oder schweren Verläufen sehr gut.
Die Corona-Pandemie ist erst dann zu Ende, wenn sie überall auf der Welt zu Ende ist. Das haben Experten aus aller Welt in den vergangenen zwei Jahren immer wieder gesagt. Sie warnen davor, dass eine grosse Anzahl Ungeimpfter auch zu neuen Virusmutanten führen könnte. Westliche Spender haben deshalb erneut fünf Milliarden Dosen für Impfungen in Afrika zur Verfügung gestellt.
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