Adolf Ogi zur Absage für Olympia 2030 «Ein Schlag ins Gesicht»
Der frühere Sportminister Adolf Ogi hält die Hoffnung auf Olympische Winterspiele 2038 in der Schweiz für illusorisch. Mit der Absage des IOK für 2030 sei die Bevölkerung kaum mehr für das Projekt zu gewinnen.
Wenige Tage nach dem Ja des Schweizer Sportparlaments zu Winterspielen 2030 kommt die Absage des Internationalen Olympischen Komitees (IOK). Kam das für Sie überraschend?
Die Entscheidung ist schwer zu verstehen. Ich bin sehr enttäuscht und habe den Eindruck, dass das IOK den Respekt gegenüber der Schweiz verloren hat. Das IOK ist sich nicht bewusst, was dieser Todesstoss für die Winterspiele 2030 in der Schweiz auslöst. Auch wenn man uns einen privilegierten Dialog für Spiele 2038 verspricht, wird es schwierig sein, die Zustimmung der Schweizer Bevölkerung für Olympische Spiele aufrechtzuerhalten. Jetzt hatten wir einen positiven Drive. Das ist alles weg. Das haben IOK-Präsident Thomas Bach und das österreichische IOK-Mitglied Karl Stoss nicht bedacht.
Sportministerin Viola Amherd und Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann bezeichnen es als Chance, dass die Schweiz nun längere Vorbereitungszeit hat. Warum sehen Sie das anders?
Laut einer Umfrage wäre eine Mehrheit der Bevölkerung für die Winterspiele 2030 gewesen. Ich sehe nicht, wie man nach dieser Ohrfeige diese positive Grundstimmung in den nächsten 15 Jahren aufrechterhalten will. Ich habe am Mittwochabend die Reaktionen in der Schweiz gesehen. Aus der Gestik habe ich den Eindruck erhalten, dass Bundesrätin Amherd und auch andere geradezu erleichtert sind, dass nun der Druck für 2030 weg ist. Bundesrätin Amherd muss das nicht mehr in ihrer Amtszeit durchziehen. Doch wer zieht diese Kandidatur in den nächsten 15 Jahren weiter? Das ist das grosse Problem. Und die Leute im IOK, die der Schweiz Spiele für 2038 in Aussicht stellen, sind dann nicht mehr dabei.
Für Sie ist dieser privilegierte Dialog ein leeres Versprechen des IOK?
Es ist ein Hinhalten der Schweiz. Ich bin sicher, dass es bei einer Kandidatur für 2038 in der Schweiz ein Referendum geben wird. Die Gegner haben nun Zeit, sich zu organisieren. Eine Volksabstimmung mit dieser Ausgangslage wird sehr schwierig zu gewinnen sein. Wir hätten jetzt ein Hoch gehabt, und nun kommt dieser Schlag ins Gesicht. Ich verstehe auch nicht, wie Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann sagen kann, die Schweiz habe mehr erreicht als erwartet. Auch Leute in meiner Partei werden nun sagen, dass das nicht so tragisch sei. Aber die Stellung der Schweiz im internationalen Wettbewerb wurde weiter geschwächt.
«Das IOK hat offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen, dass wir ein kleines Land mit einem bestens funktionierenden öffentlichen Verkehr und hoher politischer Stabilität sind.»
In Frankreich kann Präsident Macron hinstehen und für eine Olympiakandidatur einen Blankocheck ausstellen. Hat da unser Nachbarland nicht einen grossen Vorteil?
Das ist absolut richtig, und das war wohl entscheidend dafür, dass Frankreich die Spiele erhält. Dennoch ist es schwer verständlich, dass Frankreich zweimal innerhalb von sechs Jahren Olympische Spiele durchführen kann. Aber die Schweiz muss auch eine Selbstanalyse machen: Wir haben mit Ausnahme von Denis Oswald im IOK niemanden mehr, der uns vertritt, der dem IOK erklärt, was passiert, wenn die Schweiz wieder übergangen wird.
Es gab sachliche Vorbehalte gegen die Schweizer Bewerbung: Die Sportstätten seien über das ganze Land verstreut, es gebe kein olympisches Dorf. Ist das aus Ihrer Sicht ein Vorwand?
Das IOK hat offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen, dass wir ein kleines Land mit einem bestens funktionierenden öffentlichen Verkehr und hoher politischer Stabilität sind. Diese Absage hat die Schweiz nicht verdient. Das IOK hatte zunächst kein Land, das die Spiele 2030 durchführen wollte. Dann kam das Komitee auf die Schweiz zu und versprach 710 Millionen Franken. Damit hatten sie die Schweiz an der Angel. Schweden wurde auch noch kontaktiert. Und dann spielten sich die Franzosen in den Vordergrund mit einem Machtwort des Präsidenten.
Sie kämpften als Bundesrat vergeblich für Winterspiele 2006 in Sion und erlebten eine Absage. War die Enttäuschung damals noch grösser?
Das kann man ja nicht messen. Aber klar war damals die Enttäuschung riesig. Wir rechneten fest mit der Zusage für die Winterspiele, und die Wahl fiel auf Turin. Nun wird die Schweiz einmal mehr vertröstet. Die Glaubwürdigkeit des IOK ist angeschlagen.
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