Dilemma in Arizona Warum das Abtreibungsurteil für die Republikaner eine wahltaktische Katastrophe ist
In dem US-Bundesstaat darf ein 160 Jahre altes Gesetz zur Einschränkung von Abtreibungen wieder angewendet werden. Das bringt das republikanische Lager in ein Dilemma.
Kari Lake ist in vielerlei Hinsicht eine typische Politikerin der Republikanischen Partei des Jahres 2024. Nachdem sie vor zwei Jahren die Gouverneurswahlen in Arizona verloren hatte, sprach sie von Betrug, ohne jeden Beweis. Seither wettert sie, tobt sie, wie ihr Idol, der frühere Präsident Donald Trump, der bis heute bestreitet, die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 verloren zu haben.
Aktuell kommt Lake eine besondere Rolle zu: Sie steht beispielhaft für die diffuse, die allzeit unentschiedene Haltung der US-Republikaner zum Thema Abtreibung. Im November will Lake im Bundesstaat Arizona zur Senatorin gewählt werden. Also lobte sie am Montag pflichtgemäss den früheren Präsidenten Donald Trump, nachdem dieser gesagt hatte, es sei Sache der Staaten, über die Rechtmässigkeit von Abtreibungen zu befinden.
Einen Tag später, am Dienstag, entschied der Supreme Court von Arizona, dass in dem Bundesstaat künftig ein Gesetz von 1864 zur Anwendung kommen solle, das Schwangerschaftsabbrüche nur erlaubt, wenn das Leben der Mutter in akuter Gefahr ist. Umgehend kritisierte Lake das Urteil, obwohl es in just dem Staat gefällt wurde, in dem sie antritt.
Es geht nicht ums Prinzip, sondern um Wahltaktik
Der Widerspruch ist offensichtlich: Auf der eine Seite will Lake, wie viele Republikaner, dass die Staaten selbst entscheiden. Auf der anderen Seite passt es ihr aber nicht, wenn die Staaten wirklich selbst entscheiden. Der Grund dafür ist, dass es Lake, wie so vielen Parteifreunden, nicht ums Prinzip geht, sondern einerseits darum, die konservative Basis zu umgarnen, insbesondere die religiöse Rechte, die Schwangerschaftsabbrüche strikt ablehnt. Andererseits will sie moderatere konservative und unabhängige Wähler und vor allem Wählerinnen nicht abschrecken.
Das Problem: Beides zugleich ist unmöglich.
Der Richterspruch aus Arizona von Dienstag zeigt das Dilemma der Republikaner wie unter einem Brennglas, nicht zuletzt, weil er in weiten Teilen der Öffentlichkeit als grotesk wahrgenommen wird. Das Gesetz wurde zu einer Zeit verabschiedet, als Arizona nicht einmal ein US-Bundesstaat war. Und Frauen durften damals nicht wählen.
Doch der Oberste Gerichtshof im Staat entschied mit einer Mehrheit von vier zu zwei Stimmen, dass das 160 Jahre alte Gesetz angewendet werden könne. Das wiederum liegt daran, dass im Jahr 2022 der Supreme Court in Washington das bundesweit verbriefte Recht auf Abtreibung gekippt und entschieden hatte, es obliege künftig den Bundesstaaten, darüber zu entscheiden.
Konservative Republikaner feierten das zunächst als Sieg. In der Folge zeichneten sich zwei Entwicklungen ab. Zum einen wurde der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in vielen republikanisch regierten Bundesstaaten immer stärker reglementiert und teils de facto unmöglich gemacht. Zum anderen machten die Demokraten mit dem Thema Wahlkampf und verzeichneten grosse Stimmenzuwächse.
Republikanische Strategen erkannten rasch, dass die Partei mit dem Urteil des Supreme Court zwar eines ihrer grossen Ziele erreicht hatte, dass der Preis dafür jedoch sein könnte, die Stimmen der Mitte zu verlieren – die Stimmen, die für lokale und vor allem nationale Wahlen entscheidend sind. Aus wahltaktischer Sicht ist das radikale Urteil aus Arizona daher eine Katastrophe für die Republikaner, insbesondere, da es nur einen Tag nach Trumps Statement erfolgte, die Staaten sollten selbst entscheiden.
Ammar Moussa, ein Sprecher von Präsident Joe Biden, schrieb auf X: «So sieht es aus, wenn die Staaten selbst entscheiden.» Das werden die Demokraten im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf unermüdlich wiederholen.
In Florida gelten ähnlich strenge Regeln, aber im November sind dazu die Wähler gefragt
Gespannt werden beide Parteien vor allem darauf blicken, wie sich die Situation in Arizona entwickelt. Die Richter schrieben, dass ihr Spruch zwei Wochen lang nicht gültig sei. Während dieser Zeit sei es der Organisation Planned Parenthood, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt, erlaubt, vor einem niedrigeren Gericht weitere Fragen bezüglich der Verfassungsmässigkeit des Urteils einzureichen. Je nachdem, wie darüber entschieden werde, könne sich der Supreme Court Arizonas der Frage noch einmal annehmen.
In Florida hat der Supreme Court des Staates kürzlich eine ähnlich strenge Regelung verfügt. Zugleich hat er erlaubt, dass die Wählerinnen und Wähler im November neben der Wahl des neuen Präsidenten auch darüber abstimmen können, ob der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen tatsächlich so streng geregelt sein soll. Die Demokraten sehen darin die Chance, das seit geraumer Zeit verlässlich republikanisch wählende Florida bei den Präsidentschaftswahlen doch für sich gewinnen zu können. Das ist möglich, aber unwahrscheinlich.
Arizona ist einer der sechs bis sieben Swing States, in denen die Präsidentschaftswahl entschieden wird. Auch dort wird es wohl am Wahltag zu einer Abstimmung darüber kommen, ob das in Aussicht gestellte Abtreibungsverbot Bestand hat. Die Demokraten erhoffen sich davon Mobilisierung und Stimmenzuwachs.
In seinem Statement vom Montag hatte Trump das Thema insbesondere deshalb den Bundesstaaten zugeschoben, weil er es vermeiden wollte, persönlich ein landesweites Verbot nach einer gewissen Frist unterstützen zu müssen. Diese Taktik ist durch den Spruch aus Arizona grundlegend unterminiert worden.
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