Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Zürcher Verfassung wird geändert
Wie ein aufmüpfiger Richter eine Volksabstimmung auslöste

Optimized by JPEGmini 3.18.17.230722883-YEV 0x5fdc85cf
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Er hatte nicht genug. Er wollte weitermachen – mit 67 Jahren. 2019 stellte sich Jso Schumacher nochmals zur Wahl. Der Präsident des Zürcher Verwaltungsgerichts sah nicht ein, weshalb eine Wiederwahl nicht möglich sein soll.

Natürlich wusste er, dass ihn das Wahlgremium, der Kantonsrat, nicht mehr nominiert hatte. Seine Partei, die Grünen, hatte bereits eine andere Kandidatin als Ersatz ausgewählt. Denn es gab die ungeschriebene Regel, dass keine Person in die obersten kantonalen Gerichte gewählt wird, die bei Amtsantritt älter ist als 65 Jahre. Immerhin beträgt die Amtsdauer sechs Jahre.

Schumachers Teilsieg vor Bundesgericht

Schumacher liess sich das nicht gefallen und klagte vor Bundesgericht. Er führte Rechtsverweigerung und Diskriminierung an.

Ein Jahr später verlor er vor Gericht, erzielte aber einen indirekten Erfolg. Das Gericht trat auf Schumachers Beschwerde nicht ein, forderte den Kantonsrat indes auf, seine ungerechte Praxis zu ändern. Ungerecht deshalb, weil jemand, der zum Zeitpunkt der Wahl kurz vor dem 65. Geburtstag stand, wählbar war und das Amt sechs Jahre lang – also bis zum 71. Geburtstag – ausüben durfte. Eine andere Person, die nur wenige Tage früher den 65. Geburtstag feierte als die erste, kam wiederum nicht infrage.

Die Wahl der Verwaltungsgerichtsmitglieder war beim Urteilsspruch allerdings längst vorbei – Schumacher war durch zwei Personen mit 50-Prozent-Pensum ersetzt worden. Die Lausanner Richter aber haben in Zürich einen politischen Prozess in Gang gesetzt, der am kommenden 3. März seinen Abschluss finden sollte.

Kantonsrat vertauscht Reihenfolge

Dann entscheiden die Stimmberechtigten über eine Änderung der Kantonsverfassung. Neu wird darin festgehalten, dass im Gesetz bestimmte Voraussetzungen für die Wählbarkeit der obersten kantonalen Richterinnen und Richter festgelegt werden können.

Speziell daran ist, dass der Kantonsrat dieses Gesetz bereits beschlossen hat. Da dieses aber keine Grundlage in der Verfassung hat, musste ein Vorbehalt eingebaut werden, bis die obligatorische Volksabstimmung über die Verfassungsänderung durch ist.

Üblich ist eigentlich die umgekehrte Reihenfolge: zuerst die gesetzliche Grundlage, dann das Gesetz. Dass das Parlament so agiert hat, wurde mit Zeitdruck und Effizienz begründet. Denn 2025 stehen die nächsten Wahlen für das Obergericht, das Verwaltungsgericht und das Sozialversicherungsgericht an.

Inhaltlich geht es um die Altersguillotine und weitere Wahlkriterien. Bis heute ist die einzige formelle Voraussetzung für eine Wahl an die drei obersten Gerichte die Stimmberechtigung im Kanton Zürich, im Prinzip also das Mindestalter von 18 Jahren.

Das Ende des Laienrichtertums

Neu ins Gesetz genommen hat der Kantonsrat im vergangenen Herbst, dass Richterinnen und Richter bei Vollendung des 68. Altersjahres zurückzutreten haben. Eine analoge Regel kennt das Bundesgericht. Neu ist in Zürich auch, dass die Kandidierenden ein Jus-Studium abgeschlossen haben müssen. Das gilt bereits für die Bezirksgerichte und war an den obersten Gerichten de facto schon so, aber eben noch nicht de jure.

Kein Gesetz ohne Ausnahme: Bei Ersatzrichterinnen und -richtern sowie Mitgliedern des Handelsgerichts wird die juristische Ausbildung nicht verlangt.

Im Kantonsrat wurde auch die geltende Wohnsitzpflicht im Kanton hinterfragt, doch blieb man dabei. Die fallweise Wahl von ausserkantonalen Personen an die Gerichte kann aber aufgrund der neuen Verfassungsregelung einfacher beschlossen werden, falls dies wegen Personalmangels irgendwann nötig sein sollte.

Kein Kommentar, kein Foto

Was der inzwischen 71-jährige Jso Schumacher zur von ihm ausgelösten Kaskade an Gesetzes- und Verfassungsänderungen zu sagen hat, ist nicht bekannt. Er reagierte nicht auf mehrmalige Anfragen dieser Redaktion.

Ohnehin war Schumacher, der 22 Jahre lang vollamtlicher Verwaltungsrichter war, trotz seiner hohen Position sehr medienscheu. So erklärte er sich nie zu seiner Klage, auch wollte er sich nie fotografieren lassen. Es gehe um die Sache, nicht um seine Person, liess er verlauten.

Richter wollte 190’000 Franken zahlen

Über die Zürcher Grenzen hinaus bekannt gemacht hatte ihn eine andere Aktion. 2015 beabsichtigte der Kantonsrat, dem Verwaltungsgericht die Mittel zu kürzen. Böse Zungen schlossen damals nicht aus, dass es eine Reaktion auf den nicht immer konfliktlosen Umgang des Gerichtspräsidenten mit dem Parlament war.

Schumacher legte an der damaligen Budgetsitzung eine noch nie da gewesene Performance hin und verkündete – wie die Berichterstatter schrieben – «mit vor Erregung bebender Stimme», er werde die von den Bürgerlichen vorgesehene Sparsumme von 190’000 Franken aus dem eigenen Sack bezahlen, wenn der Kantonsrat bei seinem Beschluss bleiben sollte. Ein grüner Parteikollege bot Schumacher scherzhaft an, ihn gegebenenfalls mit Kartoffeln zu versorgen, damit er nicht hungern müsse.

Grosszügig oder arrogant?

Die Meinungen über Schumachers Intervention gingen auseinander. Während die einen fanden, die Aktion zeige seine Grosszügigkeit und seinen Mut, werteten andere den Auftritt als arrogante Einmischung in die Belange des Parlaments oder gar als Erpressung mit der Moralkeule.

Der Kantonsrat hielt gleichwohl an seinem Sparbeschluss fest, und Schumacher wurden die 190’000 Franken nicht von seinem Bruttolohn von 280’000 Franken abgezogen. Die Verwaltungskommission des Gerichts hatte beschlossen, auf den Betrag zu verzichten. Die Kommission hatte darüber zu entscheiden, weil sie für Schenkungen zuständig ist.

Dass die vom ehemaligen Richter Schumacher ausgelöste Verfassungsänderung scheitert, ist unwahrscheinlich. Alle Parteien haben die Ja-Parole für die Abstimmung am 3. März beschlossen.

Urteil Bundesgericht: 1C_295/2019 vom 16. Juli 2020