Absetzung von Carlo ChatrianSchweizer Filmschaffende protestieren gegen Rausschmiss von Berlinale-Leiter
Über 400 Filmemacher, darunter Martin Scorsese, solidarisieren sich mit dem ehemaligen Locarno-Leiter Carlo Chatrian, der in Berlin gehen musste.
Der offene Brief mit den über 470 Namen liest sich wie ein Who's who des Festivalkinos. Regisseure wie Miguel Gomes aus Portugal oder der Koreaner Hong Sangsoo protestieren gegen den Rausschmiss von Carlo Chatrian an der Berlinale – das andere grosse europäische Filmfestival neben Cannes und Venedig. Auch wenn Chatrian kein «Showman» sei, habe er auf «ruhige Art» ein «künstlerisch bereicherndes» Programm gemacht und neue Wege im Weltkino aufgezeigt.
Die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) haben kürzlich entschieden, dass die Berlinale künftig nur noch von einer Person geführt werden soll. Co-Leiterin und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek geht nach der Ausgabe 2024 in den Ruhestand, und erst hiess es noch, der künstlerische Leiter Chatrian werde Gespräche über seine «künftige Rolle im Team» führen. In einer persönlichen Erklärung auf der Festival-Website schrieb Chatrian dann aber, «dass die Bedingungen für mich, als künstlerischer Leiter weiterzumachen, nicht mehr gegeben sind».
Zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer
Zu den Protestierenden gehören auch einige Regisseurinnen und Regisseure aus der Schweiz, etwa Andreas Fontana, Silvan und Ramon Zürcher, Andrea Štaka, Cyril Schäublin, Milagros Mumenthaler, Nicole Vögele, Valentin Merz, Thomas Imbach, Heidi Specogna, Nicolas Steiner oder Michael Krummenacher.
Die meisten von ihnen haben ihre Filme an der Berlinale oder in Locarno gezeigt, wo Chatrian von 2012 bis 2018 künstlerischer Direktor war. Filmemacher wie Cyril Schäublin («Unrueh») haben Chatrian viel zu verdanken – er zeigte ihre Filme sowohl in Locarno wie auch an der Berlinale.
Nach dem faktischen Rausschmiss richtet sich die Kritik vor allem gegen die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die Vorsitzende des KBB-Aufsichtsrats. Die Filmleute werfen ihr im offenen Brief ein «schädliches, unprofessionelles und unmoralisches» Verhalten in Bezug auf Chatrian vor – wo dieser sich doch bereit erklärt hatte, seinen Vertrag zu verlängern. Stattdessen sei lediglich der Ruf nach einer «starken Hand» laut geworden, mit der die Berlinale in die Zukunft geführt werden soll.
Intendanten-Modell gewünscht
Tatsächlich wünscht sich Claudia Roth künftig einen Intendanten oder eine Intendantin an der Berlinale. Chatrian scheint nicht der geeignete Typ dafür zu sein, offenbar wirkt der 51-jährige Italiener in Berlin auf viele zu cinephil und zu intellektuell; er redet lieber über Filmästhetik, als dass er Deals abschliesst. Sein Programm seit seinem Antritt 2019 war durchaus vielfältig und immer wieder avanciert; so lancierte er die neue Reihe «Encounters» mit freieren Formen. Auch durch die Pandemiejahre musste Chatrian die Berlinale irgendwie bringen.
Im Juli wurde klar, dass die Berlinale sparen muss: Die Reihen «Berlinale Series» und «Perspektive Deutsches Kino» fallen künftig weg. Die über 470 Filmemacherinnen und Filmemacher verlangen vom Festival nun, dass Chatrians Vertrag verlängert und der Schaden «repariert» wird.
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