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Abschied von der Landwirtschaft

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Mittendrin ist der Fotograf Tomas Wüthrich bei dieser Bildergeschichte. Der Hof seiner Eltern, der sich in Kerzers im Freiburger Seeland befindet, wird aufgelöst. Bauernsterben in der Schweiz. Wir sehen Bilder der letzten zwölf Monate. Für den Kanton war das ein ganz normaler Verwaltungsvorgang: «Wir stellen fest, dass Sie am 1. Mai 2000 den Betrieb aufgeben und danach keine Tiere mehr halten werden. In Anbetracht dessen betrachten wir Ihren Betrieb als saniert.»

1999: Die Wüthrichs lassen ihre Zuckerrüben seit 1996 von einem anderen Bauern mit einem Vollernter ausfahren, die Ernte nach alter Methode mit viel Handarbeit ist für sie zu anstrengend geworden. Seit der Zuckerrübenverlad auf die Bahn in Kerzers eingestellt worden ist, müssen die Bauern ihre Rüben selbst in die Zuckerfabrik nach Aarberg bringen. Dazu braucht es grosse Wagen und entsprechende Traktoren, wie sie Wüthrichs nicht haben. Ihr Kontingent von 50 Tonnen wird nach der Pensionierung unentgeltlich an einen anderen Bauern übergehen. Zuckerrübenkontingente sind nicht verkäuflich, werden aber halblegal gegen Milchkontingente getauscht.
Ruth Wüthrich bringt zusammen mit ihrer Enkelin Meme die Abendmilch in die Käserei. Seit den 1970er-Jahren ist die Milchproduktion kontingentiert. Wüthrichs dürfen pro Jahr 43000 kg abliefern. Bei einem Milchpreis von 77 Rp./kg ergibt dies ein Bruttoeinkommen von Fr. 33110.– im Jahr. Das restliche Einkommen erzielen sie aus dem Verkauf von Tieren und dem Ackerbau. In ihren besten Jahren resultierte aus Milchwirtschaft und Viehverkauf ein Bruttoeinkommen von Fr. 60000.– und Fr. 20000.– aus dem Ackerbau.

Dreissig Jahre lang haben die Wüthrichs hier gearbeitet. Milchwirtschaft betrieben. Zuckerrüben und Kartoffeln angebaut. Kinder gross gezogen. Gearbeitet von morgens bis abends. Es auf keinen grünen Zweig gebracht. Leider war der Hof zu klein, als dass man sich auf die Erfordernisse der modernen Landwirtschaft hätte einstellen können.

Bauer Hans Wüthrich beschreibt das so: «Eines Tages war fertig Härdöpfel – weil die Annahmestelle, um mehr Effizienz bemüht, die Kartoffeln nur noch in grösseren Kisten entgegennahm und die herkömmlichen Säcke nicht mehr akzeptierte. – Kener Seck. Richted nech ii.» Auch mit den Zuckerrüben ging es zu Ende. Und schliesslich wurden auch die Kühe verkauft.

Kein Einzelfall: Zwischen 1990 und 1999 mussten fast 20000 Schweizer Bauern ihre Betriebe auflösen. Der Hof seiner Eltern ist «Hof Nr. 4233», wie Tomas Wüthrich seine Bilderserie nennt. Er ist ganz offensichtlich um Distanz bemüht.

2000: Morgens und abends werden die Kühe gemolken. Während Hans Wüthrich melkt, mistet Ruth Wüthrich den Stall, versorgt die Tiere mit Futter, trägt die Milch aus dem Stall und bringt sie später in die Käserei. Andere Bauern machen die Stallarbeit alleine. Hans jedoch will seine Kühe individuell melken. Da sie an den einzelnen Zitzen unterschiedlich lange Milch geben, sitzt er dabei und entfernt die Saugvorrichtungen der Melkmaschine einzeln, sobald der Milchfluss versiegt. Es schadet den Eutern, wenn die Maschine an den leeren Zitzen saugt. Beim Melken wird es ihm nie langweilig. Er chräbelet und streichelt seine Kühe, damit sie ruhig bleiben und nicht die Milchkanne umwerfen. Er lässt seine Gedanken schweifen, denkt an seine Zeit auf der Alp und schmiedet Verse, die er später notiert.
Der Stall ist frisch geweisselt. Kühe werden keine mehr einziehen, der Stall wird Ruth und Hans Wüthrich in Zukunft als Brennholzlager dienen.

Vor der Linse seiner Kamera wird der historische Niedergang des Bauerntums aber individualisiert: Mit viel Empathie erzählen die Bilder von einem Alltag, über dem eine endzeitliche Stimmung lastet: Jede Kälbergeburt droht die letzte zu sein. Jeder Handgriff droht ins Sinnlose zu kippen. Und doch erfreuen diese Fotos immer wieder durch Bildwitz, surreale Momente und last but not least durch ihre formale Meisterschaft.