Vorwurf des sexuellen MissbrauchsAbgründe auf der grossen WM-Bühne
Gegen Bruce Mwape werden schwere Vorwürfe erhoben – trotzdem ist er noch Cheftrainer von Sambia. Der Weltverband Fifa will nicht, dass dies an der WM thematisiert wird.
Ausflüchte fand Bruce Mwape zur Genüge. Erst hatte Sambias Nationaltrainer sein Übersetzungsgerät bei der Frage einer spanischen Journalistin nicht im Ohr. Dann, als er sie gehört hatte, blickte er in Richtung der Fifa-Mitarbeiterin, die am Dienstag in Auckland die Pressekonferenz Sambias vor dem WM-Gruppenspiel gegen Spanien leitete. Es war ein kurzer Blick, aber er reichte in Verbindung mit einem Hinweis des sambischen Pressechefs aus: «Ich möchte Sie bitten, die Fragen beim Fussball und beim Turnier zu belassen», so die Antwort der Fifa-Offiziellen – auf eine Frage zu den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs gegen Sambias Nationaltrainer, die nun auch auf der grossen Bühne gestellt wird.
Es geht in diesen Tagen tatsächlich vorrangig um Fussball in Australien und Neuseeland, im Verlauf der Weltmeisterschaft wird das immer mehr so sein. Debatten über faire Bezahlung und andere Themen, die nur indirekt mit dem Geschehen auf dem Platz zu tun haben, weichen Fragen nach dem Spielsystem, der letzten Auswechslung, den Chancen aufs Weiterkommen, nach der Stimmung in den Teams. Und doch gibt es Themen, die den Frauenfussball weit über dieses Turnier hinaus beschäftigen, die von weiterhin bestehenden Abgründen erzählen – und die dann untergehen, wenn Verbände gezielt verhindern, dass öffentlich über Vorwürfe wie jene gegen Mwape gesprochen wird.
«Gerüchte» seien das bloss, «die Wahrheit in der Sache soll erst rauskommen, bevor Sie danach fragen», sagte der 63-Jährige wenige Minuten später an besagter Pressekonferenz, als er noch einmal danach gefragt wurde, ob das Thema das Team intern denn nicht beschäftige. Dabei sind es nachweislich weitaus mehr als nur Gerüchte: Gegen Mwape und Sambias U-17-Trainer wird vonseiten des Weltverbands wegen sexuellen Missverhaltens ermittelt. Im September 2022 wurden die Vorwürfe zum ersten Mal aufgebracht, der nationale sambische Fussballverband FAZ übergab die Ermittlungen schliesslich an die Fifa und deren Ethikkommission, die sich nach eigener Aussage in einem laufenden Verfahren befindet und daher keine weiteren Auskünfte erteilen wird.
«Wenn er mit jemandem schlafen will, muss man Ja sagen.»
Im britischen Guardian hatte sich vor dem Turnierstart eine Spielerin anonym geäussert: «Wenn er mit jemandem schlafen will, muss man Ja sagen», so die Aussage, die seitdem im Raum steht und diese erste sambische WM-Teilnahme überlagert. Der FAZ versicherte im Herbst vergangenen Jahres, die Anschuldigungen ernst zu nehmen – nun jedoch soll das Thema während der Weltmeisterschaft weder in Fragen noch in Antworten vorkommen.
Die Fifa sagte auf Anfrage dieser Redaktion, dass es bei offiziellen Turnier-Pressekonferenzen dennoch keine grundsätzliche Richtlinie gebe, Fragen mit politischem Hintergrund auszusparen oder gezielt zu verhindern. Im konkreten Fall der sambischen Pressekonferenz hatte sich offenbar auch abseits der Kameras der sambische Medienchef eingeschaltet, nach einer weiteren Frage sagte er deutlich im Raum hörbar: «Wir werden dazu nichts sagen.»
Haitis Nationalteam soll von der heimischen Hölle ablenken
Dabei gäbe es reichlich zu besprechen, auch im Gastgeberland Australien, wo sich das Nationalteam aus Haiti niedergelassen hat, trotz aller Widerstände. Aufgrund der grausamen Umstände in ihrem Heimatland, die die Organisation Unicef in einer Aussendung Ende Juni als «blanken Horror» beschrieb, bereitete sich das Team in der Dominikanischen Republik auf das Turnier vor. In Haiti ruhen die Hoffnungen auf den Spielerinnen, insbesondere auf der 19-jährigen Melchie Dumornay. Das Nationalteam soll ablenken von der heimischen Hölle aus Korruption, Armut und Bandenkriegen, in der sich die Karibiknation 13 Jahre nach dem katastrophalen Erdbeben von 2010 wiederfindet – und in der auch der Fussballverband eine Rolle spielt.
Gegen Haitis ehemaligen Verbandspräsidenten Yves Jean-Bart begann die Fifa im Mai 2020 zu ermitteln, nachdem im «Guardian» mehrere Spielerinnen und deren Familien gegen ihn und andere Verbandsangehörige schwere Anschuldigungen erhoben hatten: Über Jahre seien auf dem Campus des Nationalteams mehrere Spielerinnen zu Sex gezwungen worden, ein junges Mädchen habe sogar eine Abtreibung durchführen lassen – im Verband sei das Thema ignoriert worden. Im November 2020 sperrte der Weltverband Jean-Bart nach Abschluss der Ermittlungen auf Lebenszeit und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Doch der Präsident, der die Vorwürfe von Anfang an bestritt, gewann vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne ein Berufungsverfahren und rechnet nun nach eigener Aussage damit, bald wieder in seinem alten Amt bestätigt zu werden.
Inmitten dieser Debatten will sich das Team nun vor allem auf seine historische erste WM-Teilnahme konzentrieren. «Es ist ein Hauch frischer Luft, der dem Land in diesen schweren Zeiten hilft», sagte Mittelfeldspielerin Danielle Étienne. Die knappe 0:1-Niederlage im Auftaktspiel gegen England wurde in Haiti euphorisch begleitet. Die Freude über die WM-Teilnahme ist ebenso wie in Sambia riesig. Ergebnisse sind zweitrangig.
Nach dem Turnier jedoch sollten die Geschichten der jungen Frauen, die sich vor allem in kleinen, weltweit oft unbeachteten Verbänden offenbar nach wie vor gegen sexuelle Ausbeutung wehren müssen, nicht vergessen werden. Die Fifa versichert, dass das nicht der Fall sein werde. Sie verweist auf ihr erneutes Berufungsverfahren gegen das CAS-Urteil im Fall Jean-Bart – und auf ihr vertrauliches Report-System, über das Missstände anonym angezeigt werden können.
Auch andere kündigen Unterstützung an – sobald sie von den Schwierigkeiten anderer Nationen erfahren. Als die US-Nationalspielerin Kelley O'Hara vor Turnierstart von einer Reporterin die Geschichte Haitis erzählt bekam, war sie darüber sichtlich schockiert und sagte: «Wir haben immer versucht zu unterstützen, weil wir dazu in der Lage sind. Ich denke, dass wir als Einzelne zwar das US-Nationalteam und ein Frauensport-Team sind, aber dass es der richtige Weg ist, alle in der Welt des Frauensports zusammenzubringen und gemeinsam eine bessere Zukunft für uns alle zu schaffen.» Wo böte sich dafür eine bessere Gelegenheit als bei einer Weltmeisterschaft?
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