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Vincenz-Prozess im Ticker
Happiges Urteil: Gefängnisstrafe für Vincenz und seinen Partner

Das Wichtigste in Kürze

  • Die 9. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich unter dem Vorsitz von Richter Sebastian Aeppli hat Pierin Vincenz der mehrfachen Veruntreuung, mehrfachen qualifizierten untreuen Geschäftsbesorgung und der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig gesprochen.

  • Vincenz wird zur einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Strafe soll vollzogen, die Untersuchungshaft von 106 Tagen angerechnet werden.

  • Vincenz-Geschäftspartner Beat Stocker wird zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

  • Die Anklage hatte für die beiden Hauptbeschuldigten je sechs Jahre Freiheitsentzug gefordert. Die Verteidigung wollte einen Freispruch.

  • Das Urteil ist nach ersten Einschätzungen überraschend hart ausgefallen.

  • Vincenz-Anwalt Lorenz Erni hat bereits angekündigt, Berufung einzulegen

Vincenz' Smileys im Chat

Die «Beweise» würden zeigen, welch grossen Einfluss Vincenz auf die Investnet-Transaktionen genommen habe, so Ankläger Jean-Richard. Der damalige Raiffeisen-Chef habe im April 2014 einen Deal skizziert, der 2015 so umgesetzt wurde.

Bei anderer Gelegenheit habe Vincenz am Telefon gesagt: «Ich habe das in die Wege geleitet.» Die Geschäftspartner dürften dabei aber nicht vergessen, dass der entscheidende Beitrag für die Wertschöpfung aus der Raiffeisen gekommen sei.

Dann geht es um den Kauf von Eurokaution durch Aduno, dieser Teil kommt von Staatsanwalt Oliver Labhart. Stocker anerkenne, dass er via IFM an Eurokaution beteiligt gewesen sei. Aber nur kurz. Danach sei es ein Darlehen gewesen. Das sei eine Verheimlichungsstrategie, so Labhart. Dies würden Mails belegen. Als Stocker und Locher merkten, dass sie erkannt werden könnten, hätten sie zudem Unterlagen gefälscht.

Vincenz bestreitet, je an Eurokaution beteiligt gewesen zu sein oder etwas von deren Gewinn gehabt zu haben. Doch die Staatsanwaltschaft glaubt, Belege zu haben, die das Gegenteil beweisen würden.

Auch hier gibt es Mails und Chats. So habe etwa der Beschuldigte Ferdinand Locher Beat Stocker vor einem Treffen geschrieben: «Kommt Pierin auch?» «Nein, aber er ist voll involviert», so Stocker. Nach der Transaktion habe Vincenz an Stocker geschrieben. «Hast du aber hart verhandelt bei Eurokaution? Smiley, smiley, smiley». «Diese Ironie, das eben nicht hart verhandelt worden sei, wurde gerade mit drei Smileys verdeutlicht», so Labhart.

Der ehemalige Raiffeisenchef Pierin Vincenz, links, Anwalt Lorenz Erni, Mitte, und Beat Stocker, rechts, erscheinen nach einem Unterbruch zum Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts vor dem Volkshaus, am Dienstag, 25. Januar 2022, in Zuerich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Raiffeisenchef Pierin Vincenz und dessen Geschaeftskollegen Beat Stocker Betrug sowie weitere Straftatbestaende vor. Unter anderem mit Firmendeals sowie Besuchen in Rotlicht-Etablissements auf Geschaeftsspesen sollen sie einen unrechtmaessigen Gewinn von insgesamt 25 Millionen Franken eingestrichen haben. Fuenf Mitbeschuldigte sollen gemaess Anklage in gewissen Faellen Beihilfe geleistet haben. (KEYSTONE/Michael Buholzer)

Bei Hausdurchsuchung «wichtige Belege» im Altpapier gefunden

Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel erklärt, welche Bedeutung einzelne Dokumente bei der Investnet-Sache haben. Er spricht etwa vom «Statthalter-Brief». Dabei geht es um eine Mail von Stocker an den Beschuldigten Peter Wüst (Mitgründer der Investnet, die sich an KMU beteiligen sollte). Daraus gehe hervor, dass Stocker als Statthalter von Vincenz operiert habe. In einem zweiten Mail werde von Stocker auch die «Beteiligungsgesellschaft in Zug» hingewiesen, so der Staatsanwalt.

Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel bei einer Pause am Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts vor dem Volkshaus, am Dienstag, 25. Januar 2022, in Zuerich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Raiffeisenchef Pierin Vincenz und dessen Geschaeftskollegen Beat Stocker Betrug sowie weitere Straftatbestaende vor. Unter anderem mit Firmendeals sowie Besuchen in Rotlicht-Etablissements auf Geschaeftsspesen sollen sie einen unrechtmaessigen Gewinn von insgesamt 25 Millionen Franken eingestrichen haben. Fuenf Mitbeschuldigte sollen gemaess Anklage in gewissen Faellen Beihilfe geleistet haben. (KEYSTONE/Walter Bieri )

Die Zuger Firma IFM sei das gemeinsame Vehikel von Stocker und Vincenz gewesen um sich gemeinsam an Firmen zu beteiligen. Das Problem der Staatsanwaltschaft: Sie kann nicht belegen, dass Wüst die Bedeutung des Ausdruckes «die Beteiligungsgesellschaft in Zug» gekannt habe.

Wüst druckte beide Dokumente aus und legte sie ab. Daher glaubt die Staatsanwaltschaft, dass sie besonders wichtig sind. Auch hatte die Staatsanwaltschaft wohl etwas Glück: Bei Wüst fanden sie offenbar bei einer Hausdurchsuchung «wichtige Belege» im Altpapier.

Wichtig sei auch eine Notiz, die die Staatsanwaltschaft bei Stocker gefunden hat. Darauf sei eine Tabelle: Damit gemeint sei laut der Staatsanwaltschaft das Rechenspiel, wie sich Stocker und Vincenz die Geldflüsse aus Investnet haben aufteilen wollen.

Sie hätten sich eine Struktur ausgedacht, wie sie die Geldflüsse verschleiern können, damit sie diese den Banken erklären können. «Zum Glück wollen die Banken heute mehr über grosse Zahlungen wissen», so Jean-Richard.

Besonders der Artikel bei «Inside Paradeplatz» über die Zahlung von Stocker an Vincenz über 2,9 Millionen Franken sorgte bei den Beschuldigten für Nervosität, so Jean-Richard. Daher hätten sich die Beschuldigten überlegt, wie sie das Geld unverfänglicher verteilen können. Wüst habe sich daher im Herbst 2016 ein Konzept zurechtgelegt, wie er die Zahlungen begründen kann, sagt der Staatsanwalt.

Die Protagonisten im Vincenz-Prozess

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Der ehemalige Raiffeisenchef Pierin Vincenz erscheint zum Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts vor dem Volkshaus, am Dienstag, 25. Januar 2022, in Zuerich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Raiffeisenchef Pierin Vincenz und dessen Geschaeftskollegen Beat Stocker Betrug sowie weitere Straftatbestaende vor. Unter anderem mit Firmendeals sowie Besuchen in Rotlicht-Etablissements auf Geschaeftsspesen sollen sie einen unrechtmaessigen Gewinn von insgesamt 25 Millionen Franken eingestrichen haben. Fuenf Mitbeschuldigte sollen gemaess Anklage in gewissen Faellen Beihilfe geleistet haben. (KEYSTONE/Michael Buholzer)
Pierin Vincenz, Ex-CEO Raiffeisen erscheint zum Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts vor dem Volkshaus, am Dienstag, 25. Januar 2022, in Zuerich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Raiffeisenchef Pierin Vincenz und dessen Geschaeftskollegen Beat Stocker Betrug sowie weitere Straftatbestaende vor. Unter anderem mit Firmendeals sowie Besuchen in Rotlicht-Etablissements auf Geschaeftsspesen sollen sie einen unrechtmaessigen Gewinn von insgesamt 25 Millionen Franken eingestrichen haben. Fuenf Mitbeschuldigte sollen gemaess Anklage in gewissen Faellen Beihilfe geleistet haben. (KEYSTONE/Walter Bieri )

E-Mails, die aufhorchen lassen, und abgehörte Telefonate

Staatsanwalt Oliver Labhart zeigt im Plädoyer auf, welche Widersprüche sich für die Staatsanwaltschaft aus den Unterlagen und den Erklärungen der Beschuldigten ergeben. Er spart dabei nicht mit Details. Es geht um Absprachen an einem Prince-Konzert, abgehörte Telefonate und E-Mails. Und es geht um widersprüchliche Belege in den Steuerunterlagen.

Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel, links, erscheint zum zweiten Prozesstag des Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts vor dem Volkshaus, am Mittwoch, 26. Januar 2022, in Zuerich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Raiffeisenchef Pierin Vincenz und dessen Geschaeftskollegen Beat Stocker Betrug sowie weitere Straftatbestaende vor. Unter anderem mit Firmendeals sowie Besuchen in Rotlicht-Etablissements auf Geschaeftsspesen sollen sie einen unrechtmaessigen Gewinn von insgesamt 25 Millionen Franken eingestrichen haben. Fuenf Mitbeschuldigte sollen gemaess Anklage in gewissen Faellen Beihilfe geleistet haben. (KEYSTONE/Michael Buholzer)

Labhart zitiert E-Mails, die Absprachen von Stéphane Barbier-Mueller (Hinweis zur Person siehe unten) und Beat Stocker belegen sollen. Dabei geht es um die Beteiligung an der Firma Genève Credit & Leasing (GCL). Die Mails sind auf Englisch verfasst. «Aduno darf nicht wissen, dass wir Partner sind. Oder?», schrieb Barbier-Mueller an Stocker. Der schrieb: «You are right.» Stocker sagte gestern, dass er heute mehr wisse über Interessenkonflikte (zum Artikel). Die Aussage zitiert Labhart.

Barbier-Mueller habe nach der Einvernahme von Stocker mit seiner Frau telefoniert. Das Telefonat hat die Staatsanwaltschaft abgehört. Am Telefon sagte er, die Erklärungen von Stocker seien «Quatsch».

Zahlreiche Unterlagen wurden von Stocker und Vincenz versiegelt. Die Staatsanwaltschaft sagt, dass sich die Entsiegelung ausgezahlt habe. Die so gewonnenen E-Mails seien «entscheidende Belege für die Absprachen» unter Vincenz, Stocker und Barbier-Mueller.

Wann immer es darum gegangen sei, eine Zahlung zu verschleiern hätten, die Beschuldigten die Zahlungen als Darlehen deklariert. Als die Finanzmarktaufsicht die Beteiligungen von Pierin Vincenz untersuchte, habe es laut der Staatsanwaltschaft aber Probleme mit dieser Strategie gegeben. Denn die GCL-Beteiligung sei schon bei ihm in der Steuererklärung gewesen. Das habe bei Stocker Bedenken ausgelöst, dass sie auffliegen könnten, zitiert Labhart aus den Notizen von Stocker.

Die Beschuldigten nehmen die Beschreibung von Labhart zur Kenntnis. Schütteln ab und an mit dem Kopf.

* Stéphane Barbier-Mueller ist Beschuldigter. Der Genfer Immobilienunternehmer war an der Leasingfirma Genève Crédit & Leasing (GCL) beteiligt.

Zusammenfassung am Mittwoch: Staatsanwälte werfen Vincenz und Stocker ein Doppelspiel vor

«Dreist und unzulässig»: Die Staatsanwälte haben am Mittwochnachmittag damit begonnen, ihre Anklage gegen Ex-Raiffeisenchef Pierin Vincenz und Mitangeklagte zu begründen. Alle Beschuldigten hatten zuvor im Zürcher Volkshaus erklärt, sich unschuldig zu fühlen.

Vincenz habe sich «über Jahre hinweg von der Raiffeisenbank diversen Aufwand vergüten lassen, der nicht geschäftlich bedingt war», hielt einer der plädierenden Staatsanwälte fest. In der Anklageschrift werden etwa Besuche in Stripclubs für 200'000 Franken und private Reisen für 250'000 Franken aufgezählt.

«Tour de Suisse durchs Rotlichtmilieu»

Der Ex-Chef der drittgrössten Schweizer Bankengruppe hatte in der Befragung geltend gemacht, dass die auf der Spesenabrechnung als «Nachtessen» deklarierten Besuche in Cabarets und Stripclubs der Beziehungspflege mit Geschäftsleuten gedient hätten.

Die Regelmässigkeit dieser Besuche spreche eine andere Sprache, sagte der Staatsanwalt. Angesichts dieser «Tour de Suisse durchs Rotlichtmilieu» sei davon auszugehen, dass der 65-Jährige die Lokale aus einer persönlichen Neigung heraus besucht habe. Es sei um «seine Bedürfnisse, sein gutes Gefühl, seine Entspannung» gegangen.

Beat Stocker erscheint zum zweiten Prozesstag des Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts vor dem Volkshaus, am Mittwoch, 26. Januar 2022, in Zuerich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Raiffeisenchef Pierin Vincenz und dessen Geschaeftskollegen Beat Stocker Betrug sowie weitere Straftatbestaende vor. Unter anderem mit Firmendeals sowie Besuchen in Rotlicht-Etablissements auf Geschaeftsspesen sollen sie einen unrechtmaessigen Gewinn von insgesamt 25 Millionen Franken eingestrichen haben. Fuenf Mitbeschuldigte sollen gemaess Anklage in gewissen Faellen Beihilfe geleistet haben. (KEYSTONE/Michael Buholzer)

Auch die Versuche, mehreren reinen Familienreisen einen geschäftlichen Anstrich zu verleihen, seien geradezu skurril, hielt der Staatsanwalt fest. Er verwies darauf, dass in Vincenz› Agenda bei einem London-Trip «Ferien, keine Termine abmachen» verzeichnet war. Dies als «Geschäftsreise» zu bezeichnen und seiner Raiffeisenbank in Rechnung zu stellen, sei dreist und unzulässig.

Geheime Firmenbeteiligungen

Ein weiterer Staatsanwalt warf Vincenz und seinem Geschäftskollegen Beat Stocker in Zusammenhang mit fünf Firmentransaktionen zudem ein «Doppelspiel» mit Schattenbeteiligungen und einer sorgfältig aufgebauten Verheimlichungsstrategie vor.

So sollen sie unter anderem gezielt darauf hingewirkt haben, dass die von ihnen gelenkte Kreditkartenfirma Aduno den Terminalservice-Provider Commtrain übernimmt. An letzterem hatten sich die beiden laut Staatsanwalt im Geheimen beteiligt, um bei dessen Übernahme einen unrechtmässigen Gewinn einzustreichen.

Das Who-is-who des Prozesses: Die Raiffeisen-Kartei

Diese 24 Menschen spielten in der Raiffeisen-Saga eine wichtige Rolle. Ob als Angeklagte, Gegenspieler oder auch ungewollt in Nebenrollen - gestapelt als praktische Karteikarten.

Er habe seine Commtrain-Beteiligung im Aduno-Verwaltungsrat nicht offengelegt, weil er das Thema der Eigeninteressen damals einfach nicht auf dem Schirm gehabt habe, hatte Stocker am Mittwochvormittag erklärt. Heute sei er, nachdem dies in der langen Untersuchung thematisiert worden sei, gewissermassen geläutert: «Ich hätte weniger Ärger, hätte ich darüber informiert.»

Aber auch wenn er damals seine Beteiligung offengelegt hätte, wäre es zur Übernahme gekommen, zeigte sich Stocker überzeugt: An der geschäftlichen Strategie oder den Preisparametern hätte sich dadurch nichts geändert.

Vincenz, der bereits am Dienstagabend befragt worden war, hatte diesbezüglich erklärt, dass es sich um eine private Investition gehandelt habe, deren Bekanntwerden er nicht gewollt habe. Das sei vor 15 Jahren gewesen, er sei unerfahren gewesen, begründete der 65-Jährige.

Plädoyers dauern mehrere Tage

Die Staatsanwälte gehen davon aus, dass sich Vincenz und Stocker unter anderem des Betrugs und der ungetreuen Geschäftsbesorgung schuldig gemacht haben. Sie sollen einen unrechtmässigen Gewinn von 25 Millionen Franken erzielt haben. Fünf Mitbeschuldigte sollen dazu zu unterschiedlichen Zeitpunkten Beihilfe geleistet haben.

Alle anwesenden Beschuldigten erklärten in der Befragung durch den Richter, unschuldig zu sein. Die Anklageschrift lasse ihn noch immer «perplex» zurück, meinte einer der Männer. Und Stocker erklärte, dass ihm beim Lesen der Anklage, die ihn empöre, schlecht werde. «Ein gewerbsmässiger Betrüger? Das bin ich nicht.»

Das Bezirksgericht Zürich wird die Verhandlung am Donnerstag fortsetzen. Die Staatsanwälte werden ihr Plädoyer fortsetzen. Anschliessend werden die Vertreter der Privatkläger sowie die Verteidigerteams plädieren. Dies wird mehrere Tage dauern. (SDA)

Fertig für heute

An dieser Stelle wird das Plädoyer unterbrochen. Morgen geht es weiter. Laut Richter Aeppli will der Staatsanwaltschaft noch drei Stunden plädieren.

Keine Spur von Ermüdung beim Staatsanwalt

Was beeindruckt: Staatsanwalt Jean-Richard-dit-Bressel plädiert bereits seit rund 1,5 Stunden. Und von Ermüdung keine Spur. Er schmettert seine Argumente und Erläuterungen mit unnachgiebiger Verve in den Saal. Derzeit legt er noch einmal den Ablauf der Commtrain-Transaktion in allen Einzelheiten auseinander.

Staatsanwaltschaft sieht Tatbestand des Betrugs erfüllt

Nun folgt die Begründung des Staatsanwalts für den Vorwurf des Betrugs. Dieser setzt neben einem Schaden auch die Arglist voraus. «Die Arglist steht ausser Frage», sagt Jean-Richard-dit-Bressel.

Denn Vincenz und Stocker «haben ihre Beteiligungen mit zahlreichen Machenschaften versteckt». Sie haben also nicht nur unterlassen, ihren Arbeitgebern von den Beteiligungen zu berichten, sie haben aktiv Vorkehrungen unternommen, damit die Beteiligungen nicht entdeckt werden.

An dieser Stelle sei betont, dass dies die Argumentation der Staatsanwaltschaft ist. Juristen verweisen darauf, dass für den Beleg der Arglist hohe Hürden gelten.

Staatsanwaltschaft sieht die Arglist beim Betrug als gegeben: Pierin Vincenz verlässt das Volkshaus bei einer Unterbrechung am zweiten Prozesstag.

Jean-Richard-dit-Bressel: Anklage basiert auf BGE zu Retrozessionen

Jean-Richard-dit-Bressel entfaltet nun seine juristische Argumentation, und die ist interessant: Er erklärt, dass seine Anklage auf dem Bundesgerichtsurteil (BGE) zu den so genannten Retrozessionen beruht.

Was ist das? Ein Kunde legt Geld über einen Vermögensverwalter an, der die Investments über eine Bank abwickelt. Nun zahlt die Bank dem Verwalter eine Provision – üblicherweise besteht diese aus einem Teil der Gebühren, welche die Bank dem Kunden des Vermögensverwalters berechnet. Diese Provision dient als Anreiz für den Vermögensverwalter. Diese Rückvergütung nennt man Retrozession, oder auch Kick-back. Problematisch ist sie vor allem wegen des dadurch entstehenden Interessenskonflikts.

Das Bundesgericht hatte nun geurteilt, dass der Vermögensverwalter eine Vermögensfürsorgepflicht hat. Er ist daher verpflichtet, alle Vorteile, die ihm durch die Kundengeschäfte zufliessen, dem Kunden auch zugute kommen zu lassen. Sprich: Der Berater muss die Retrozessionen seinem Kunden auszahlen.

Der Fall von Vincenz und Stocker sei hiermit vergleichbar, so der Staatsanwalt. Beide standen in der Pflicht, das Beste für ihre Arbeitgeber Raiffeisen und Aduno rauszuholen. Sie hätten also die Vorteile, die ihnen die Verkäufe von Commtrain oder GCL gegeben haben, an Raiffeisen und Aduno weiter zu leiten. Daher sei der Schaden, der Raiffeisen und Aduno entstanden ist, mit dem Gewinn aus den Beteiligungsgeschäften gleichzusetzen.

Staatsanwaltschaft Jean-Richard-dit-Bressel zu Transaktionen

Der Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel erläutert den Komplex der Beteiligungen. Das ist strafrechtlich der relevanteste Punkt, hier lautet der Vorwurf auf Betrug und ungetreue Geschäftsbesorgung. Für eine Verurteilung muss bei beiden Vorwürfen aber ein Schaden bewiesen werden.

In diesem wichtigen Punkt argumentiert der Staatsanwalt wie folgt: Stocker und Vincenz haben durch ihre Beteiligungen einen Gewinn von 24,4 Millionen Franken erzielt. «Der Erlös ging zulasten der Privatkläger», sagt er. Sprich: Für die Staatsanwaltschaft ist der Gewinn aus den Beteiligungen mit dem Schaden gleichzusetzen, den Raiffeisen und Aduno erlitten haben.

Und er rechnet Beispiele durch: Bei der Investnet AG zum Beispiel hätten Vincenz und Stocker einen Verkaufserlös von 12,6 Millionen erzielt. Im Zuge der weiteren geplanten Abwicklung des Investnet-Deals hätten beide nochmals 20 Millionen bekommen – wozu es dann aber nicht mehr kam. Dennoch zieht Jean-Richard-dit-Bressel das Fazit: «Raiffeisen hätte Investnet also zu einem 32,6 Millionen billigeren Preis erwerben können.»

Dieser Punkt erscheint indes nicht so eindeutig: Denn wenn Vincenz und Stocker nicht vorab beteiligt gewesen wäre, gibt es keine Sicherheit, dass Raiffeisen und Vincenz die Firmen tatsächlich günstiger bekommen hätten.

«Raiffeisen hätte Investnet also zu einem 32,6 Millionen billigeren Preis erwerben können»: Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel bei einer Pause am zweiten Prozesstag.

Die Staatsanwaltschaft will aufzeigen, wie Aduno und Raiffeisen ein Schaden durch die umstrittenen Deals entstanden sei. «Der Schaden zeigt sich normalerweise einfach. Das sei in diesem Fall aber nicht so.» Er sagt: «Die Frage ist, wie sich die Interessenkonflikte auf die Transaktion ausgewirkt haben.»

Für die Firmen sei kein verlässlicher Marktwert ermittelbar, auch nicht, was der künftige Wert der Firma sein könne. «Wer eine Firma kaufen will, muss sich mit dem Verkäufer auf einen Preis einigen. Der Preisbildungsmechanismus war bei den Transaktionen gestört», so Jean-Richard-dit-Bressel.

Es brauchte nämlich zusätzliche Mittel, um die Trittbrettfahrer zu befriedigen. So wurde also ein höherer Preis nötig. Das Geld, das zu Vincenz und Stocker floss, entspreche damit dem wirtschaftlichen Schaden. Zudem seien die Übernahmen nicht gut gewesen. Besonders Eurokation habe sich später als schlechte Übernahme entpuppt.

Plädoyer der Staatsanwaltschaft zu Vincenz' Spesen

Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft nimmt zuerst die umstrittenen Spesen von Vincenz aufs Korn. Staatsanwalt Candrian beschreibt eine «Tour de Suisse durchs Rotlichtmilieu». Die Häufung weise auf eine Neigung hin, solche Lokale aufzusuchen. Es sei dabei um seine Entspannung und sein Vergnügen gegangen. Aber nicht um Geschäftsaufwand.

Danach kommen die privaten Reisen dran. Nur schon die Liste der Teilnehmer der Reisen offenbare, dass es um private Reisen gegangen sei, sagt Candrian. Es gäbe keine Hinweise dafür, dass es die Golfreisen für seine Arbeit gebraucht hätte.

Die Reise nach Dubai habe 95'000 Franken gekostet. Das war jenseits von Gut und Böse, so der Staatsanwalt. «Eine Luxusreise hatte die Bank auf keinen Fall zu zahlen», sagt Candrian.

Die privaten Reisen nach London, Sydney und New York hätten einen konkreten Anlass gebraucht, um sie als geschäftlich zu rechtfertigen. Dass Vincenz in den Ferien auch mal ans Geschäft denkt, das sei mit dem hohen Chef-Salär ohnehin schon abgegolten. Viele Erklärungen seien geradezu skurril. Bei Kalendereinträgen wie «Ferien mit Kids» sei es schwierig einen Geschäftszweck zu behaupten, führt Candrian aus.

Der ehemalige Raiffeisenchef Pierin Vincenz erscheint zum zweiten Prozesstag des Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts vor dem Volkshaus, am Mittwoch, 26. Januar 2022, in Zuerich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Raiffeisenchef Pierin Vincenz und dessen Geschaeftskollegen Beat Stocker Betrug sowie weitere Straftatbestaende vor. Unter anderem mit Firmendeals sowie Besuchen in Rotlicht-Etablissements auf Geschaeftsspesen sollen sie einen unrechtmaessigen Gewinn von insgesamt 25 Millionen Franken eingestrichen haben. Fuenf Mitbeschuldigte sollen gemaess Anklage in gewissen Faellen Beihilfe geleistet haben. (KEYSTONE/Michael Buholzer)

Wenn Vincenz seine privaten Reisen durch das Sekretariat organisieren liess und sich nicht um die Bezahlung kümmerte, dann könne er schlecht ein Versehen geltend machen.

Und beim zerstörten Hotelzimmer im Park Hyatt habe er damit rechnen müssen, dass die Rechnung dafür seiner Kreditkarte belastet werde, sagt der Staatsanwalt. Dagegen habe er aber nichts unternommen. Sondern die Belege mit dem Vermerk «Übernachtung» ausgestattet.

Stocker wiederum habe für ein Appartement in Zürich Geld erhalten, auch als er das Appartement gar nicht mehr gemietet habe. Die Erklärungen von Stocker dafür seien zusammengefallen wie ein Soufflé, erklärt Candrian.

Vincenz habe seinen privaten Aufwand auf mehrere Arten der Bank belastet. Durch die Kreditkarte, dann durch die Kostenstelle für den CEO und über Spesenbelege. Der ehemalige Verwaltungsratspräsident Johannes Rüegg-Stürm habe bei der Visierung der Belege nicht erkennen können, was der wahre Zweck der Ausgaben gewesen sei.

Damit schliesst Candrian den Teil zu den privaten Auslagen.

Mittagspause

Es ist Mittagspause, um 15 Uhr geht es weiter.

Beweisantrag könnte Abbruch bedeuten

Die Anwälte der Beschuldigten Etter und Wüst, die beiden Investnet-Gründer, sowie von Stocker werfen Raiffeisen nun vor, nicht alles offengelegt zu haben. Es geht um eine Zahlung von Stocker an Vincenz vom 3. Juli 2015 auf Vincenz' Konto bei Raiffeisen in Lugano. Die Anklage sieht darin eine Gewinnausschüttung der Investnet-Beteiligung von Stocker und Vincenz. Vincenz und Stocker sagen, dass das Geld ein Privatdarlehen sei.

Die Anwälte von Stocker, und der Investnet-Gründer Etter und Wüst werfen Raiffeisen nun vor, hier nicht mit offenen Karten zu spielen. Die Bank habe damals nicht ausreichend abgeklärt, warum Vincenz die Millionensumme überhaupt bekommt. So habe die Bank niemals den schriftlichen Darlehensvertrag von Vincenz eingefordert Die Bank soll alle Dokumente zu diesem Vorgang herausrücken.

Die Staatsanwaltschaft und Raiffeisen beantragen dagegen, den Beweisantrag abzulehnen. Die Staatsanwaltschaft attestiert, dass die Bank bei der Untersuchung kooperiert habe, es gäbe keine Dokumentationslücken.

Werden die Beweisanträge gut geheissen wird die Verhandlung abgebrochen. Sonst geht es weiter

Beat Stocker verlässt mit seiner Begleiterin das Volkshaus bei einer Unterbrechung.

Zusammenfassung der Befragungen am Mittwochmorgen

Beat Stocker bleibt bei seiner Verteidigungslinie. Anders als Vincenz räumt Stocker auch bei den Spesenausgaben keine Fehler ein. Alle Ausgaben – auch die in Cabarets – waren dienstlich begründet, sagte er. Denn Bars und Clubs seien wichtige Kunden der Kreditkartenfirma Aduno, deren CEO Stocker früher war. Bei Raiffeisen diente er als Berater, damit die Bankengruppe ihre Strategie umsetzen konnte, Unternehmenskunden zu gewinnen und hier zu wachsen. Hierzu sollte er Ideen entwickeln.

Zu den Firmenbeteiligungen: Stocker bestreitet, dass Vincenz an Investnet und GCL beteiligt war, wie die Staatsanwaltschaft behauptet. Die Zahlungen, welche die Staatsanwaltschaft als Gewinnbeteiligungen aus diesen Beteiligungen wertet, seien nach Aussage von Stocker Privatdarlehen von ihm an Vincenz. Der Ex-Raiffeisen-Chef sagte gestern Dienstag das Gleiche aus.

Ferner sieht Stocker zudem kein grundsätzliches Problem, dass er sich als Verwaltungsrat/CEO von Aduno an Firmen wie Commtrain beteiligt hatte. Er würde heute sicher die Beteiligung dem Verwaltungsrat offenlegen, das hat ihn die Strafuntersuchung gelehrt. Aber Stocker sieht laut eigener Aussage nicht den Punkt, dass diese Vorabbeteiligungen per se schlecht seien und zu einem Schaden für die Arbeitgeber wie Aduno führten, wie die Staatsanwaltschaft sagt.

Sein Auftritt wirkte souverän, ruhig, die Fragen des Gerichts brachten Stocker an keinem Punkt ins Schwimmen. Was aber noch lange nicht heisst, dass das Gericht sich von seinen Ausführungen überzeugen lässt. Das wird das Urteil zeigen.

Auch Mitbeschuldigte beteuern Unschuld

Wie die beiden Hauptangeklagten Pierin Vincenz und Beat Stocker haben auch die anwesenden Mitbeschuldigten vor dem Bezirksgericht Zürich ihre Unschuld beteuert. Die Anklageschrift lasse ihn noch immer «perplex» zurück, meinte einer der drei am Mittwoch befragten Männer.

Zwei weitere Mitbeschuldigte wiesen im Rahmen der Befragung die ihnen vorgeworfenen Punkte ebenfalls zurück. Sie würden sich unschuldig fühlen, sagten sie auf entsprechende Fragen des Richters.

Ein vierter Mitbeschuldigter, der den ersten Verhandlungstagen coronabedingt fern bleibt, wird am 9. Februar befragt. Der fünfte ist wegen einer neurologischen Erkrankung vom Besuch der Verhandlung dispensiert.

Der Prozess vor dem Bezirksgericht Zürich geht nun mit den Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Privatklägern und Verteidigungen weiter. Dies wird mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel erscheint zum zweiten Prozesstag des Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts vor dem Volkshaus, am Mittwoch, 26. Januar 2022, in Zuerich. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Raiffeisenchef Pierin Vincenz und dessen Geschaeftskollegen Beat Stocker Betrug sowie weitere Straftatbestaende vor. Unter anderem mit Firmendeals sowie Besuchen in Rotlicht-Etablissements auf Geschaeftsspesen sollen sie einen unrechtmaessigen Gewinn von insgesamt 25 Millionen Franken eingestrichen haben. Fuenf Mitbeschuldigte sollen gemaess Anklage in gewissen Faellen Beihilfe geleistet haben. (KEYSTONE/Michael Buholzer)

Die Reise nach Dubai

Jetzt wird PR-Berater Christoph Richterich – er ist Mitbeschuldigter – befragt. Bei ihm geht es um die Golf-Reise nach Dubai. Die Staatsanwaltschaft wirft Richterich vor, die Kosten dafür – über rund 18'000 Franken – seien auf Spesen von Raiffeisen gegangen.

Richter Aeppli will daher wissen, wieso er trotz dem guten Verdienst als Berater auch noch eine teure Reise geschenkt bekommen soll? Richterich: «Das müssen sie Pierin Vincenz fragen. Ich fand es aber nicht aussergewöhnlich, dass sich eine Firma für die gute Arbeit so bedankt.» Er habe die Rechnung nie gesehen, und er habe auch nicht die Anweisung gegeben, die Rechnung an Raiffeisen weiterzugeben.

«Sie sind von einer Privateinladung von Vincenz ausgegangen?», will Richter Aeppli wissen. Richterich: «Wir haben Golf gespielt, daher dachte ich, die Reise sei privat.» Referent Bezgovsek fragt: «Es war eine private Einladung … haben sie gedacht, Vincenz zahlt sie selbst?» Richterich: «Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.»

Richter Aeppli fragt: «Fühlen sie sich unschuldig?» Richterich: «Ja, ich fühle mich unschuldig.»

Richterich weiter: «Wenn ich nur den geringsten Zweifel an meiner Unschuld hätte, hätte ich damals einen Strafbefehl akzeptiert.» Er sei aber von seiner Unschuld überzeugt. Er habe der Bank vor Jahren angeboten, das Geld zurückzubezahlen. Das Angebot sei aber nicht wahrgenommen worden.

Die Befragung geht mit dem Genfer Immobilienunternehmer Stéphane Barbier-Mueller weiter

Zur Erinnerung: Stéphane Barbier-Mueller ist Beschuldigter. Der Genfer Immobilienunternehmer war an der Leasingfirma Genève Crédit & Leasing (GCL) beteiligt.

Barbier-Mueller wird beschuldigt, Beat Stocker und Pierin Vincenz Aktien der Konsumkreditfirma GCL gegeben zu haben als Entlöhnung dafür, dass die beiden die Übernahme der GCL durch die Kreditkarten-Firma Aduno vorantreiben.

Barbier-Mueller war Aktionär der GCL und suchte einen neuen Mehrheitsaktionär, weil der damalige Mehrheits-Eigner, die französische Bank BNP Paribas, aussteigen wollte. Aduno kaufte dann die Firma, Raiffeisen übernahm die Finanzierung der Kreditverträge.

Barbier-Mueller streitet die Vorwürfe der Bestechung «mehr denn je» ab. Dass Vincenz überhaupt an der GCL beteiligt war, habe er nicht gewusst, er habe damals nicht einmal von der Existenz von Vincenz etwas gewusst. Dieser sei in der Westschweiz damals kaum bekannt gewesen.

In einer persönlichen Erklärung forderte er das Gericht auf, «seine Ehre» von den «unerhörten Vorwürfen der Staatsanwaltschaft» reinzuwaschen. Barbier-Mueller ist mit seiner Frau und seinen drei Töchtern zum Prozess angereist.