Social Distancing statt Stundenhotel«7 Monate ohne Sex»: Telos wollen öffnen
Argentinien befindet sich bereits seit März im Lockdown. Darunter leiden auch die landestypischen Liebeshotels, die nun ihren Betrieb wieder aufnehmen sollen.
Die Argentinier sind ein stolzes Volk – und das zu Recht: Wiege des Tango, Fussballnation, zarte Steaks und atemberaubende Berge. Grosse Dichter wurden hier geboren, scharfe Denker und sogar Papst Franziskus, immerhin Stellvertreter Christi auf Erden. Zu all diesen Errungenschaften kam nun unlängst ein weiterer Superlativ: Wegen des Coronavirus herrscht in Argentinien seit mehr als 200 Tagen eine landesweite Quarantäne. Die längste der Welt, sagen viele. Allein: Stolz ist niemand, schliesslich ist der Rekord kein Grund zur Freude, sondern ein Drama.
Fast 25’000 Menschen sind in Argentinien schon an Covid-19 gestorben, knapp eine Million hat sich angesteckt. Die Infektionskurve steigt. Dabei sind Schulen seit Monaten geschlossen, ebenso wie Baustellen, Bars und Büros. Fast die Hälfte der Argentinier könnte bald unter der Armutsgrenze leben. Geschäfte mussten dichtmachen, ebenso wie Restaurants. Und nun könnte es auch noch die Telos treffen, die landestypischen Stundenhotels, die auch in Argentinien etwas anrüchig, gleichzeitig aber eine Institution sind.
Junge Paare gehen ins Stundenhotel, ihre Eltern tun es auch, ebenso wie One-Night-Stands oder langjährige Liebschaften.
Mehr als hundert gibt es allein in der Hauptstadt Buenos Aires, manche haben Themenzimmer mit Barockmöbeln oder komplett verspiegelten Wänden. Es gibt auch Piraten-Flair oder 1970er-Jahre-Feeling, künstliche Sternenhimmel und Kamine.
Telos sind Orte, an denen man der Realität für ein paar Stunden entfliehen kann, vor allem aber auch der Enge einer Gesellschaft, in der zwei, oft aber auch drei Generationen zusammenleben. Junge Paare gehen ins Stundenhotel, wenn sie ungestört und ungehört sein wollen, ihre Eltern tun es ebenso, genauso wie One-Night-Stands oder langjährige Liebschaften.
Telos-Betreiber beklagen Diskriminierung
Zur Eindämmung des Coronavirus sind nun aber auch die Telos seit Mitte März geschlossen. Social Distancing statt Stundenhotel. Dabei sei all das überhaupt nicht nachvollziehbar, findet José Manuel Capelo Eiroa. «Unsere Gäste kommen zu zweit und gehen zu zweit», sagt der Präsident der argentinischen Vereinigung der Stundenhotels. «Sie haben keinen Kontakt zu Angestellten und anderen Gästen. Dazu hatten wir schon vor der Pandemie strenge Hygienevorschriften.»
Ohnehin solle man nicht glauben, dass Menschen aufhörten, sich zu treffen und intim zu sein, nur weil es eine Quarantäne gebe. «Sie weichen nur auf andere Orte aus, das Auto, öffentliche Toiletten, Büros», sagt Capelo Eiroa. Das sei nicht nur unbequemer, sondern auch unhygienisch und teilweise sogar gefährlich.
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Jetzt, nach einem grauen und einsamen Winter, zieht der Frühling ein in Argentinien. Und mit ihm kommen auch einige Lockdown-Lockerungen, trotz hoher Ansteckungszahlen. In Buenos Aires dürfen Restaurants immerhin wieder im Freien Kunden bedienen, Friseure können endlich wieder Haare schneiden, und sogar Hotels können begrenzt Gäste empfangen. Nur die Telos dürfen nicht öffnen.
Diskriminierung sei das, sagt Capelo Eiroa, weshalb er und seine Berufskollegen eine Kampagne gestartet haben. «7 Monate ohne Sex» heisst sie. Es gibt ein Video mit knutschenden Paaren und dem Slogan: «Du brauchst uns – und wir brauchen Arbeit». 20 Prozent der Telos sind schon pleite. Das sei eine Tragödie, meint Capelo Eiroa, für die Angestellten, aber auch für die Gesellschaft. Denn ohne Orte für Intimität verschlechtere sich die Stimmung. Anders gesagt: Aus dem stolzen Volk der Argentinier könnte bald ein deprimiertes werden.
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