Strafen für Capitol-Mob5 Jahre Haft für US-Bürger – für Ausländer lebenslänglich
Die USA haben kaum juristische Handhabe, um dem inländischen Terrorismus beizukommen. Die Regierung Biden will nun die Gesetze anpassen und die sozialen Medien einbeziehen.
Wenn die Angreifer auf das Capitol Ausländer gewesen wären, so drohte ihnen lebenslange Haft. Doch weil die Neonazis, Rassisten und Nationalisten Amerikaner sind, entgehen sie der ganzen Schärfe der Antiterrorismus-Gesetze. Das ist eine Lücke, die es nicht nur der Justiz, sondern auch den sozialen Medien schwer macht, die Attacken auf demokratische Institutionen und den akuten Rassismus in den Griff zu bekommen.
Präsident Biden sieht sich mit der grössten Welle von inländischem Terrorismus seit Jahrzenten konfrontiert. Neofaschisten wie die Proud Boys, Neonazis wie die Atom-Waffen-Division, Holocaust-Leugner und weisse Nationalisten wie die Alt Right Corporation stürmten das Capitol an vorderster Front. Der Bundespolizei sind diese Gruppierungen seit Jahren bekannt. Das FBI stuft sie als inländische Terroristen ein und bezeichnet sie im jüngsten Jahresbericht als grössere Gefahr für das Land als ausländische Terroristen.
Gesetz aus den 70er-Jahren
Dennoch würden sie zu sanft angefasst, erläutert der frühere FBI-Agent und Terrorismusexperte Frank Figliuzzi. «Ausländische Terroristen werden seit den Anschlägen vom September 2001 spezifisch in einem eigenen Straftatbestand erfasst. Merkwürdigerweise gilt das für inländischen Terrorismus nicht.» Deshalb dürften die von Trump angefeuerten Angreifer mit Anklagen wegen Hausfriedensbruch, Diebstahl und Ähnlichem wegkommen.
Juristen erwarten Haftstrafen von maximal 5 Jahren. «Wären es ausländische Terroristen gewesen, so drohten ihnen mindestens 20 Jahre bis lebenslange Haft», sagt Figliuzzi auf CNN. Die gesetzliche Grundlage stammt aus den 70er-Jahren, als der US-Kongress die missbräuchliche Beschattung von Extremisten wie dem Ku-Klux-Klan und den Black Panthers durch das FBI unterbinden wollte.
Die ungefilterte Weiterverbreitung von rassistischem und nationalistischem Gedankengut durch Twitter, Facebook, Google und andere Plattformen verlange eine Revision des alten Gesetzes, meint Nicholas Rasmussen, Chef des Antiterrorismus-Zentrums in der Regierung Obama. Ein eigenständiges Gesetz für inländischen Terrorismus würde auch präventiv wirken. «Das FBI könnte gezielt Individuen verfolgen, die konkret eine Attacke planen oder dazu aufrufen und dies mit anderen absprechen.»
Das ist ganz im Sinne von Präsident Biden, hat er doch vor der Wahl schon versprochen, dass ein Gesetz gegen inländische Terroristen höchste Priorität habe. Denn sein Entscheid, zu kandidieren, sei durch die Unruhen in Charlottesville motiviert worden, als Neonazis tödliche Attacken auf schwarze Demonstranten verübten. Die Trump-Revolte sei keine politische Manifestation gewesen, sondern exakt wie die Übergriffe in Charlottesville das Werk von «Halunken und inländischen Terroristen».
Wenn Twitter Trump verbannt oder Amazon der Plattform Parler den Stecker rauszieht, ist das legitim, aber opportunistisch.
Ein solches Gesetz würde auch eines der heikelsten Dossiers ermöglichen, die überfällige Regulierung der Social-Media-Plattformen. Biden ist nach eigenen Worten überzeugt, dass es auch hier ein neues Gesetz braucht. Zu revidieren ist eine 25 Jahre alte Regelung zugunsten der Tech-Konzerne, die sie vor Verantwortlichkeitsklagen für die Inhalte auf ihren Plattformen schützt und offenlässt, ob und wie sie diese Inhalte kontrollieren.
Der Widerspruch ist offensichtlich: Facebook und Konsorten sind mit dem expliziten Verzicht auf strikte Gesetze in den USA die dominierenden Informationskanäle der Welt geworden, tragen aber anders als traditionelle Medien keinerlei politische und gesellschaftliche Verantwortung. Deshalb gilt für sie auch die Meinungsäusserungsfreiheit nicht, so die Mehrheitsmeinung von Verfassungsjuristen. Wenn Twitter Präsident Trump verbannt oder Amazon der rechtsextremen Plattform Parler den Stecker rauszieht, ist das ein legitimer, wenn auch allzu durchsichtig opportunistischer Entscheid, sagt die Tech-Expertin Kara Swisher in einem Podcast der «New York Times». Ein Angriff auf die freie Meinungsäusserung, wie die Rechte meint, ist es nicht.
Biden will strikte Regulierungen
Deshalb dürfte die Forderung, die Sonderbestimmung sang- und klanglos aufzuheben, kontraproduktiv sein, meint Swisher. Würde nämlich die Ausnahmeregelung ersatzlos gestrichen, wie Trump und die Republikaner verlangen, würde das Chaos nur grösser. «In diesem Fall würden die Tech-Giganten jede nur ansatzweise anstössige Äusserung löschen, um sich vor Klagen zu schützen.»
Biden dürfte nach Ansicht von Internet-Experten versuchen, eine strikte Regulierung à la EU durchzubringen. Als Erstes würde nicht mehr das Handelsministerium die sozialen Medien beaufsichtigen, sondern der Kongress – nach einem viel zu langen Zaudern – die Kontrolle übernehmen. Ein Entwurf für ein Gesetz zur «Konsumententransparenz und Verantwortlichkeit der Plattformen» liegt im Kongress und hat dank der neuen Mehrheiten gute Erfolgschancen.
Twitter, Facebook, Google und andere könnten damit erstmals eingeklagt werden, wenn sie illegale Inhalte tolerieren, also auch Aufrufe zur Gewalt gegen den Staat. «Die sozialen Medien haben ein Recht zur Meinungsäusserungsfreiheit», sagte kürzlich Ajit Pai, Chef der nationalen Kommunikationskommission. «Aber sie haben kein Anrecht mehr auf eine Immunität, die den anderen Medien, Zeitungen, Radio und Fernsehen, vorenthalten ist.»
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