Packendes AbfahrtsduellSelbst beim Jubeln will er Odermatt übertrumpfen
Cyprien Sarrazin gewinnt auch die zweite Abfahrt in Kitzbühel und sorgt im Zielraum für Begeisterung. Odermatt sagt: «Ich habe eins aufs Dach bekommen.»
Was Marco Odermatt auch tut, einer will immer noch einen draufsetzen: Cyprien Sarrazin, 29-jähriger Franzose, eigentlich ein Riesenslalomspezialist, der gerade die Welt der Abfahrer auf den Kopf stellt.
So ist das an diesem Samstag in Kitzbühel nicht nur auf der Strecke, dieser gefürchteten Streif, die schon so viele Geschichten geschrieben hat. So ist das auch im Ziel. Hat sich Odermatt nach seinem überragenden Sieg im Riesenslalom von Adelboden noch als Showman präsentiert und ist rückwärts auf die Werbebande gehüpft, um die Masse zum Toben zu bringen, übertrifft das Sarrazin in Tirol eben noch einmal.
Er entledigt sich nach seiner gewaltigen Fahrt schnell seiner Ski, klettert auf die Bande, richtet sich auf und brüllt in Richtung der Zehntausenden auf den Tribünen und am Rand der Strecke. Dann kraxelt er hinunter, geht auf die Knie und schüttelt den Kopf – wie hat er das nur wieder hingekriegt? Der Mann aus der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur scheint es selbst nicht zu wissen.
Am Freitag hat er schon gewonnen, nun also doppelt er nach. Und wie. 91 Hundertstel ist er schneller als Odermatt, der kurz zuvor schon den vermeintlichen Siegesschrei ausgestossen hat und dann sagen muss: «Ich habe eins aufs Dach bekommen.» Dominik Paris auf Rang 3 verliert 1,44 Sekunden.
Ihm fehlten die Worte, sagt der Franzose. Reden können auch Zahlen. Im Dezember 2022, vor etwas mehr als einem Jahr, hat Sarrazin in Beaver Creek erstmals überhaupt eine Abfahrt im Weltcup bestritten. Die Hahnenkammabfahrt war seine 14. Die Bilanz: drei Siege, zwei zweite Plätze, alle herausgefahren in diesem Winter. Hinzu kommt der Triumph im Super-G von Wengen.
Er war der Mann im Netz
Er habe Sarrazin bislang vor allem deshalb gekannt, weil er immer in den Netzen lag, flachste Odermatt in Kitzbühel. Bei seinen ersten Versuchen auf Speedstrecken flog der Franzose oft ab, von den vier letzten Abfahrten des vergangenen Winters beendete er drei nicht. Auch das dürfte eine ziemlich einzigartige Quote sein. Ein Mental- und ein Energie-Coach hätten ihm geholfen, Kopf und Körper unter Kontrolle zu bringen, sagt Sarrazin. Das Resultat ist atemberaubend.
So wird der grosse Sieger im Zielraum von allen Möglichen geherzt, von Teamkollege Adrien Théaux, an den er sich mit beiden Beinen klammert, von Marco Odermatt oder Dominik Paris, und von ihm: Luc Alphand. Der 58-Jährige war vor dieser Rennwoche mit seinem Triumph 1997 der letzte französische Sieger auf der Streif gewesen. Sarrazin habe einen Ausflug in den Riesenslalom gewagt, sagt Alphand, «nun haben wir ihn zurück auf der Abfahrt».
Tatsächlich hat Sarrazin in jungen Jahren einige Abfahrten auf FIS- und Europacup-Stufe absolviert, mit äusserst bescheidenem Erfolg allerdings. Also versuchte er sich im Weltcup im Riesenslalom. Die Zahlen dazu? 42 Starts, 15-mal nicht im zweiten Lauf, 13-mal ausgeschieden – ein Desaster. Die Ausnahme: Rang 2 in Alta Badia 2019.
Und jetzt plötzlich ist er der grosse Überflieger in der Königsdisziplin. Bis auf sechs Punkte ist Sarrazin im Abfahrtsweltcup an Odermatt herangerückt. Das Duell belebt die Skiszene, die über Ausnahmekönner Odermatt jubelt und gleichzeitig wegen ihm ächzt, wie das immer ist, wenn einer einen Sport derart dominiert. Auch im Riesenslalom und im Super-G führt der Nidwaldner die Rangliste an. Im Gesamtweltcup ist der Vorsprung auf Sarrazin, auch da Zweiter, mit 496 Punkten riesig.
«Er hat jetzt dann mal genug gewonnen»
Spannung kann dem Skisport nur guttun, oder, Marco Odermatt? «Er hat jetzt dann mal genug gewonnen», antwortet dieser und lächelt dann. Aleksander Kilde, die letzten zwei Jahre der beste Abfahrer, fällt nach seinem fürchterlichen Sturz im Ziel-S von Wengen die ganze Saison aus. Sarrazin füllt die Lücke. Das Verhältnis zu ihm sei genauso gut wie dasjenige zum Norweger, sagt Odermatt. «Cyprien ist ein Supertyp, er fährt cool, riskiert viel, das wollen die Leute sehen. Wir gönnen es dem anderen auch, wenn er schneller ist. Dann war derjenige halt einfach stärker.» Sarrazin ist es an diesem Samstag.
Auch weil Odermatt gleich nach dem Start zu tief gerät und die perfekte Linie nicht findet. «Vielleicht hätte ich oben vier Zehntel schneller sein können, zwei Zehntel dann noch dank des höheren Tempos auf der Fläche, aber auch dann wäre der Rückstand gross gewesen. Cyprien war heute unschlagbar.»
Gleich nach dem Rennen ärgerte sich Odermatt noch über Rang 2, wie das wohl nur er tun kann. Ein paar Minuten später steht er an der Abschrankung im Zielraum und sagt: «Mit etwas Abstand bin ich sehr zufrieden mit dem zweiten Platz, es war ein Superrennen, und ich stehe nach Rang 3 am Freitag wieder auf dem Podest. Aber klar, ich wollte gewinnen.» Vor dem Start habe er zu Justin Murisier, seinem Team- und Zimmerkollegen, gesagt: «Die Ausgangslage ist genial: Entweder ich gewinne noch das letzte grosse Rennen, oder ich habe ein Ziel, das mir bleibt.»
An Olympia und WM, im Gesamtweltcup, in Disziplinenweltcups, in Adelboden und Wengen hat Odermatt schon gewonnen. Nur in Kitzbühel eben nicht, diesem grössten aller Klassiker. Cyprien Sarrazin sorgt dafür, dass dem Überfahrer nicht schon mit 26 die Ziele ausgehen.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
1. Andreas Sander
Das Rennen ist eröffnet, Andreas Sander ist unterwegs. Solide Fahrt des Deutschen, er macht keine grossen Fehler, erst bei der Traverse kurz vor dem Zielhang hat er etwas Mühe. 1:55,50, das ist die erste Zeit. Das ist etwas schneller als die gestrige Siegerzeit von Sarrazin.
Bald geht es los
So, wir sind bereit, Andreas Sander steht am Start. Es kann los gehen!
Die Schweizer
Eine grosse Geschichte schrieb gestern ja Arnaud Boisset. Der 25-jährige Walliser wurde mit der Nummer 53 Neunter – nachdem er bei seinem ersten Versuch noch abgewinkt wurde. Heute kommt er mit der Nummer 51. Die weiteren Schweizer: Justin Murisier (5.), Marco Odermatt (7.), Niels Hintermann (15.), Stefan Rogentin (19.), Alexis Monney (23.), Franjo von Allmen (29.), Josua Mettler (35.), Gilles Roulin (46.) und Christophe Torrent (53.).
Die Favoriten
Das wird jetzt niemanden überraschen. Marco Odermatt und Cyprien Sarrazin sind die grossen Namen, der Dritte von gestern und der Sieger. Und wer weiss, vielleicht gelingt Florian Schieder ja noch einmal ein solch fantastisches Rennen wie gestern. Dann ist da noch Vincent Kriechmayr, der auch schon gewonnen hat hier, oder Ryan Cochran-Siegle und Cameron Alexander, die gestern glänzten.
Die Bedingungen
Gestern war es phasenweise ja schon grossartig, heute aber steht uns ein wunderbarer Tag bevor. Strahlend blauer Himmel, 45’000 Menschen um die Strecke und im Zielraum. Das wird ein grosses Fest. Für Thomas Dressen übrigens ist es auch die letzte Fahrt seiner aktiven Karriere. Wegen seiner vielen körperlichen Beschwerden tritt er heute zurück. Er kommt mit der Nummer 31.
Guten Morgen …
… und herzlich willkommen zum nächsten Ski-Liveticker! Und was für einen wir hier im Programm haben: Wir sind in Kitzbühel, die zweite Abfahrt des Wochenendes steht an!
Fehler gefunden?Jetzt melden.