Warnstreik am MontagZwei Gewerkschaften legen Deutschland lahm
Wegen der hohen Inflation streiten Lokführerinnen und Busfahrer um mehr Lohn. Die Gewerkschaften werben aber auch für sich selbst – und für mehr Mitglieder.

Am Montag fährt in Deutschland kein Zug und kein Bus, kein Flugzeug steigt in die Luft – oder wenigstens fast. Nach der Ankündigung eines gross angelegten Warnstreiks zweier Gewerkschaften hat die Deutsche Bahn mitgeteilt, dass sie am Montag den gesamten Fernverkehr und den grössten Teil des Regional- und Nahverkehrs einstelle. Nur vom neuen Flughafen in Berlin aus starten Jets, alle anderen Flughäfen stehen still.
Die Deutsche Bahn warnt, dass der Verkehr schon am Sonntagabend beeinträchtigt sein könne und die Behinderungen auch am Dienstag noch zu spüren sein dürften. Gebuchte Billette behielten ihre Gültigkeit bis zum 4. April, Sitzplatzreservationen könnten kostenlos storniert werden.
12 Prozent mehr Lohn?
Aufgerufen zum Streik haben die Gewerkschaft Verdi, nach der IG Metall die zweitgrösste Arbeitnehmerorganisation in Deutschland, sowie die Eisenbahnvereinigung EVG. Beide kämpfen derzeit mit Bund, Gemeinden und Unternehmen um bessere Löhne für die 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Die EVG fordert 230’000 Beschäftigte zum aktuellen Streik auf, Verdi 120’000.
Die Inflation betrug in Deutschland im letzten Jahr 7 Prozent. Die beiden Gewerkschaften fordern nun zwischen 10 und 12 Prozent mehr Lohn, vor allem aber ein Mindestplus von 500 bzw. 650 Euro im Monat – für Beschäftigte mit kleinen Einkommen entspräche das einer Lohnerhöhung von bis zu 25 Prozent. Bund und Gemeinden bieten bisher 5 Prozent mehr, allerdings gestreckt über zwei Jahre, zudem einen einmaligen Inflationsausgleich von 2500 Euro. Die Gewerkschaften lehnen die Angebote als «respektlos» und «unverschämt» ab.
Zum Vergleich: Die IG Metall hat für ihre Beschäftigten Ende letzten Jahres Lohnerhöhungen von 8,5 Prozent erstritten, gestreckt über eineinhalb Jahre, zudem einen einmaligen Inflationsausgleich von 3000 Euro.

Ungewöhnlich am bevorstehenden Streik ist einerseits dessen Ausmass – zumal er ja keineswegs das letzte Mittel im laufenden Arbeitskampf, sondern eine blosse Warnung darstellen soll. Andrerseits haben sich die beiden Gewerkschaften im Vorfeld offensichtlich abgesprochen, was bisher höchst selten bis nie vorkam. Pikant ist auch, dass der Warnstreik ausgerechnet an einem Tag stattfindet, an dem Verhandlungen in anderen Sektoren weiterlaufen.
«Unterwegs zu französischen Verhältnissen»
Konservative Stimmen kritisieren, schleichend entwickelten sich die Arbeitskämpfe in Deutschland hin zu «französischen Verhältnissen»: Im Nachbarland ist es üblich, dass Gewerkschaften mit dem Mittel des Generalstreiks auch für allgemeine politische Forderungen kämpfen. Das deutsche Streikrecht ist viel enger gefasst und erlaubt Arbeitsniederlegungen nur als letztes Mittel in konkreten Lohnverhandlungen. Entsprechend liegt bislang auch die Zahl der Streiktage in Deutschland erheblich tiefer. Konservative Stimmen in der Politik und Unternehmensverbände rufen nun bereits dazu auf, das Streikrecht künftig weiter einzuschränken.
Fachleute weisen darauf hin, dass Gewerkschaften mit solchen öffentlichen Machtdemonstrationen gerne auch für sich selbst werben. Verdi hat in den letzten Jahren viele Mitglieder verloren, nach jeder Streikwelle traten aber Tausende wieder ein. Frank Werneke, der Chef von Verdi, will im September wiedergewählt werden. Viele Neueintritte und ein fetter Lohnabschluss im öffentlichen Dienst würden ihm bestimmt dabei helfen.
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