Kolumne «Miniatur des Alltags»Zug um Zug zum Wahnsinn
Was Pünktlichkeit im ÖV angeht, ist die Schweiz eigentlich verwöhnt. Umso grösser ist das Unverständnis, wenn ein Zug zu spät losfährt.
Manchmal frage ich mich ja schon, warum Züge Fahrpläne haben. Denn die Züge, die ich im Alltag nutze, sind eigentlich nie pünktlich. Mein morgendlicher Zug nach Wädenswil müsste gemäss Plan um 8.12 Uhr den Zürcher Hauptbahnhof verlassen. Das ist allerdings nie der Fall – entweder verhindert eine technische Störung die Abfahrt, oder es muss ein anderer verspäteter Zug abgewartet werden. Und jedes Mal kommt eine Durchsage, dass sich der Zug verspätet.
Manchmal würde ich dem armen Zugbegleiter am Mikrofon zu gern zurufen: «Das wissen wir schon lange, der Zug sollte jetzt eigentlich in Thalwil sein, aber wir stehen immer noch in Zürich! Vier Menschen in Anzügen sind schon hektisch am Telefon und geben irgendjemandem Bescheid, dass sie zu spät kommen. Warum passt ihr die Abfahrtszeiten nicht der Realität an? Dann würde sich auch niemand mehr aufregen, dass der Zug erst um 20 nach fährt.»
Aber das geschieht nicht – und ja, ich weiss, so einfach geht das nicht. So eile ich Morgen für Morgen an den Hauptbahnhof, um den 8.12-Uhr-Zug zu erwischen – denn eines ist klar, wäre ich mal verspätet, wäre das sicher der Tag, an dem der Zug pünktlich losfährt. Dann bliebe mir zumindest noch der Spurt auf die S-Bahn, die jeweils fünf Minuten später fährt als der Regioexpress.
Kürzlich hat diese S-Bahn den «Express» sogar überholt. Dieser musste nämlich einen ungeplanten Stopp in Horgen einlegen, weil die Bremsen nicht richtig funktionierten – immerhin, zum Anhalten reichte es gerade noch.
Da hätte man die Türen aufmachen und den Passagieren nach Wädenswil damit die Möglichkeit geben können, auf die S-Bahn umzusteigen. Doch die Türen blieben verschlossen, und ich verstand einmal mehr die Welt nicht mehr. «Nächste Woche nehme ich die S-Bahn», nahm ich mir – ebenfalls nicht zum ersten Mal – vor.
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