Budgetdebatte Stadt Zürich 2023Und plötzlich steht die Stadt um 200 Millionen besser da
Der Gemeinderat hat den Voranschlag fast fertig beraten und dabei mehr als Budgetkosmetik betrieben. Die Schlussabstimmung und der Showdown um den Steuerfuss wurden vertagt.
Die Budgetdebatte konnte am Donnerstag nicht wie geplant beendet werden. Dafür gab es im Wesentlichen zwei Gründe. Im Vergleich zu vergangenen Jahren verlief die Diskussion zwischen ganz links und ganz rechts streckenweise gehässig. Zudem schienen SP, Grüne und AL die Debatte zwischendurch zu verzögern, weil eine Gemeinderätin der Grünen wegen eines geschäftlichen Termins gestern Nachmittag zeitweise nicht teilnehmen konnte.
Diese Absenz hatte gravierende Auswirkungen: Um Mehrausgaben zu bewilligen, braucht es das absolute Mehr, also 63 Stimmen. Und so viel haben die linken Parteien nur, wenn alle Mitglieder anwesend sind. Über weite Strecken der Debatte gelang das, und so brachten sie viele ihrer Anträge durch.
Nun findet am nächsten Mittwoch noch die Schlussabstimmung statt, bei der auch über den zukünftigen Steuersatz befunden wird. Schon jetzt ist klar: Der Gemeinderat hat das Budget deutlich verbessert. Der Finanzvorsteher Daniel Leupi (Grüne) sah im städtischen Budget für das kommende Jahr ein Minus von 216 Millionen Franken vor – und das bei einem Aufwand von 11 Milliarden Franken. Doch dabei hatte er 200 Millionen Franken nicht einberechnet, die er nächstes Jahr vom Kanton erhalten wird.
Deutliche Verbesserung dank Versorgertaxen
Dabei handelt es sich um sogenannte Versorgertaxen, welche die Stadt zu viel bezahlt hatte. Der Kanton verlangte von den Gemeinden jahrelang Geld für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Heimen. Dies wäre aber eigentlich die Aufgabe des Kantons gewesen, wie dies das Verwaltungsgericht vergangenes Jahr festgestellt hatte.
Inzwischen hat der Kanton der Stadt das Geld zugesichert. Der Stadtrat hatte dieses Geld aus formalen Gründen auf Empfehlung des Gemeindeamts aber noch nicht budgetiert, wie Finanzvorsteher Daniel Leupi ausführte. Der Gemeinderat sah das anders und hat das nun korrigiert. Damit verbesserte er das Budget deutlich um 200 Millionen Franken. Diese Änderung übertrifft die Verschlechterung der anderen 93 Änderungsanträgen bei weitem.
Hinzu kommt noch: Der angekündigte Verlust war in der Vergangenheit im Laufe des Jahres jeweils deutlich geschrumpft, weil die Steuereinnahmen höher ausfielen als geplant. 2024 dürfte dies erneut der Fall sein.
Auch deshalb fordern SVP, FDP, GLP und Mitte/EVP eine Steuersenkung. SP, Grüne und AL sowie Finanzvorsteher Leupi dagegen wollen den Steuerfuss bei 119 Prozent belassen. Die drei links-grünen Parteien verfügen im Gemeinderat allerdings bloss über eine knappe Mehrheit von 63 zu 62 Stimmen.
Diese Mehrheit reichte in vielen Fällen, wie der Überblick über die wichtigsten Anträge nach fast 16 Stunden Budgetdebatte zeigt:
Deutliches Zeichen gegen Sozialdetektive
Jahr für Jahr reichen die Grünen und die AL bei der Budgetdebatte den immer gleichen Antrag ein: Sie wollen dem Sozialinspektorat das Geld streichen. Dabei handelt es sich um städtische Angestellte, die mit dem Smartphone, Foto- und Videokamera, Diktiergerät und Feldstecher Menschen nachspionieren, die möglicherweise zu Unrecht Sozialhilfe beziehen. «Wir wollen keine Parallelpolizei», sagte Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne).
Die beiden Parteien scheiterten damit stets wegen der fehlenden Unterstützung der SP. Doch im vergangenen Jahr haben die Sozialdemokraten Stimmfreigabe beschlossen. Sie sind der Meinung, es sei der falsche Weg, das Inspektorat über das Budget abzuschaffen. In diesem Jahr hat Anjushka Früh (SP) aber zusammen mit Luca Maggi (Grüne) ein Begleitpostulat eingereicht, das die Abschaffung des Inspektorats fordert. Und die SP zeigte sich bereit, der Abteilung 40 der 570 Stellenprozenten zu streichen, die aktuell unbesetzt sind. Sowohl das Postulat als auch die Streichung der 40 Prozent fand eine knappe Mehrheit von 63 zu 60 Stimmen.
Die Hoffnung der Linken, dass nun das Sozialinspektorat abgeschafft würde, machte der zuständige Stadtrat Raphael Golta (SP) noch in der Debatte zunichte: «Sie können das Budget streichen oder ein Postulat einreichen, aber ich werde das Inspektorat nicht abschaffen.» Man würde sich erst einem Volksentscheid beugen, sagte der Sozialvorsteher.
Ob die Abschaffung des Sozialinspektorats beim Stimmvolk eine Mehrheit finden würde, ist fraglich. Als 2021 im Kanton Zürich über das Sozialhilfegesetz zu einer klaren rechtlichen Grundlage für Sozialdetektive abgestimmt wurde, hiess auch die Stadt Zürich das Gesetz mit 67 Prozent Ja-Stimmen deutlich gut.
Mehr Geld für VBZ-Personal
Seit vergangenem Sonntag fahren Tram und Busse in der Stadt Zürich ab 20.30 Uhr nur noch alle 15 statt alle 10 Minuten. Die Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ) haben den Takt reduziert wegen Personalmangels. Im Sommer waren 35 der 1300 Vollzeitstellen nicht besetzt.
Der reduzierte Service geht gar nicht, ist sich eine Mehrheit im Rat einig. Sie sprach im Gemeinderat 100’000 Franken, um eine Studie zu den Schichtplänen und den Arbeitsbedingungen in Auftrag zu geben. Dabei soll geschaut werden, wie andere Städte ihr Personal einsetzen und ob sie etwas besser machen.
Wie die Recherchen dieser Redaktion gezeigt haben, ist das Arbeitsklima bei den VBZ schlecht. Das Fahrpersonal zeigt sich in einer Mitarbeitendenbefragung unzufrieden mit vielen zentralen Punkten. So fühlten sie sich etwa durch die Leitung vor dauerhafter und übermässiger Belastung zu wenig zu wenig geschützt. Dies führt dazu, dass sich immer mehr Fahrerinnen und Fahrer krankmelden. Die VBZ stellten an einzelnen Tagen bis zu 100 Absenzen fest.
Der zuständige Stadtrat Michael Baumer betonte vergeblich, dass man bereits viel unternommen habe, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Zudem sei die Anzahl der Ausbildungsplätze erhöht worden, und aktuell seien diese alle besetzt.
Mehr Stellen für die Stadtzürcher Schulen
Die Ratslinke hat die Budgetdebatte unter anderem auch dazu genutzt, um im Schulbereich Dutzende neue Stellen zu schaffen. So etwa 10 neue Klassenassistenzen für Kinder mit Autismus, die in Regelklassen gehen. Hinzu kommen 20 Sozialpädagoginnen und -pädagogen, 15 neue Stellen im Bereich von Deutsch als Zweitsprache und 2 weitere Stellen, um die psychologische Grundversorgung und Prävention zu stärken. Insgesamt bewilligte der Gemeinderat damit knapp zusätzliche 4 Millionen Franken.
Der Schulvorsteher Filippo Leutenegger (FDP) sagte, man habe gerade in Bezug auf die Klassenassistenzen die Stellen in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut: «So sehr, dass wir mit dem Besetzen der Stellen nicht nachkommen.»
Streit um «Kompostpolizei»
Zu einem kurzen Schlagabtausch kam es um 15’000 Franken, welche Entsorgung & Recycling Zürich (ERZ) künftig für die Kompostkontrolle bei Privaten aufwenden will. Seit kurzem kontrolliert die Stadt bei Liegenschaften, die sich von der Containerpflicht für Bioabfall befreien lassen wollen, ob wirklich ein Kompost vorhanden ist.
SVP und FDP wollten den Betrag kürzen und ganz auf Kompostkontrollen bei Privaten verzichten. Martina Zürcher (FDP) kritisierte Kontrollwahn und überbordende Bürokratie. Stephan Iten (SVP) forderte: «Frau Brander, holen Sie ihre Kompostpolizei zurück!»
Andreas Kirstein (AL) sprach von einer von Bürgerlichen künstlich geschürten Aufregung, es gebe keine «Kompostpolizei». Benedikt Gerth (Die Mitte) rief ERZ auf, bei den Kontrollen mit Augenmass und gesundem Menschenverstand vorzugehen.
Stadträtin Simone Brander (SP) räumte ein, dass es ganz zu Beginn einige ERZ-Mitarbeitende mit den Kontrollen offenbar etwas übertrieben hätten. Das habe sich inzwischen allerdings geändert, die Stadt habe reagiert.
Der Kürzungsantrag wurde klar abgelehnt.
Fussgängertunnel: Projektierungskredit bleibt
Weil das Hochschulgebiet ausgebaut wird und der Bahnhof Stadelhofen ein viertes Gleis erhält, will die Stadt einen Fussgängertunnel mit Rolltreppen und -bändern vom Bahnhof Stadelhofen zum Heimplatz bauen. Im Stadtparlament stösst das 100-Millionen-Franken-Projekt allerdings nicht nur auf Begeisterung. SVP und Grüne wollten die 1,86 Millionen Franken für den Projektierungskredit streichen. Sie stiessen sich an der Art und Weise, wie der Stadtrat den Kredit verbucht hat. Dieser hatte die Ausgaben durch Umlagerungen gedeckt.
SVP und Grüne forderten eine ordentliche Budgetierung des Vorhabens im Budget 2025. Es sei stossend, dass ein 100-Millionen-Projekt mit Projektierungskosten von total 10 Millionen Franken «in Salamitaktik hinter dem Rücken des Gemeinderats» ausgearbeitet werde.
Stephan Iten (SVP) zeigte sich skeptisch, ob das Volk einem kurzen Fussgängertunnel zu diesem Preis zustimmen werde. Markus Knauss (Grüne) wies darauf hin, dass mit dem Tunnel nicht das Hochschulgebiet, sondern bloss der Heimplatz erschlossen werde. Jean-Marc Jung (SVP) warnte vor Kostenüberschreitungen wie einst beim Furkaloch.
Für SP, AL, FDP und Mitte ergab der Projektierungskredit dagegen Sinn. Beim Bahnhof Stadelhofen brauche es dringend einen Zugang Nord. Stadträtin Simone Brander (SP) verteidigte die Planung und Budgetierung. Die Umlagerung sei keine Salamitaktik, sondern entspreche einem sparsamen Umgang mit den vorhandenen Mitteln.
Der Kürzungsantrag scheiterte mit 89 zu 31 Stimmen.
Hauri hält an Taxerhöhung in Altersheimen fest
Erneut hat sich eine Mehrheit im Gemeinderat gegen die vom Stadtrat beschlossene Gebührenerhöhung in den Gesundheitszentren für das Alter ausgesprochen. Hier spannte Links-Grün für einmal mit der SVP zusammen. Mit 72 zu 47 Stimmen sprach sich der Gemeinderat darauf für eine Aufstockung des Budgets um 14,2 Millionen Franken aus, damit auf die Taxerhöhung verzichtet werden kann. SP-Co-Fraktionschef Florian Utz kritisierte die Erhöhung scharf, sie bringe teils happige Aufschläge für die Bewohnerinnen und Bewohner der Alters- und Pflegeheime.
Bereits im vergangenen November hatte der Rat ein Postulat an den Stadtrat überwiesen, um die Gebührenerhöhung zu stoppen.
Trotz des politischen Gegenwindes hält Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri (GLP) an der Taxanpassung fest: «Die neuen Taxen gelten ab kommendem Januar», sagte er am Donnerstag im Rat. Es seien keine Rechtsmittel dagegen ergriffen worden.
Hauri wies auf die Kostenentwicklung in den Gesundheitszentren für das Alter hin. Seit 2015 habe es keine Taxanpassung mehr gegeben, nun sei sie unumgänglich. Es handle sich weiterhin um ein «faires System», zudem seien die Gesundheitszentren für das Alter im Vergleich zu privaten Einrichtungen immer noch «sehr attraktiv in der Preisgestaltung». Die Erhöhung für die einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner werde zudem durch Ergänzungsleistungen abgedeckt.
Gegen Verzicht auf Parkbussen und Blitzkästen
Keine Chance hatte die SVP mit ihrem Budgetantrag, in Zürich die Parkbussen abzuschaffen. Sie verlangte, dass die Polizei weniger Bussen von Autofahrenden einziehen soll. Den entsprechenden Budgetposten wollte sie um 30 Millionen Franken kürzen. Im Gegenzug forderte sie mehr Kontrollen im Veloverkehr, wo sie sich 5 Millionen Franken zusätzliche Bussen-Einnahmen erhofft.
Die Polizei solle dort büssen, wo es der Verkehrssicherheit diene, begründete Bernhard im Oberdorf (SVP) den Antrag. Auf Parkbussen sei zu verzichten – dafür seien gefährlich agierende Autolenker und Velofahrende zu kontrollieren. Der Antrag wurde mit 108 zu 12 Stimmen abgelehnt.
Ebenfalls chancenlos blieb der SVP-Antrag für eine «Verschrottung aller Radaranlagen», mit denen fehlbare Autofahrer gebüsst werden. An deren Stelle wollte die SVP neue Bäume pflanzen, wie Gemeinderat Johann Widmer sagte. Die Radaranlagen könnten in die Ukraine geliefert und dort wiederverwendet werden.
Sven Sobernheim (GLP) kritisierte die SVP-Anträge als Symbolpolitik. Die Verkehrssicherheit sei ein hohes Gut, deshalb brauche es auch Kontrollen.
Keine zusätzlichen Stellen für Velosicherheit
Knapp wurde es beim Budgetantrag bei der Dienstabteilung Verkehr, wo Links-Grün eine Aufstockung von 119’000 Franken für die Schaffung von zwei Stellen für Velosicherheit im Zusammenhang mit der Umsetzung der Velorouten forderte. Zwar hiess der Rat den Antrag mit 62 zu 56 Stimmen gut. Doch die Stellen können nicht geschaffen werden. Denn um Mehrausgaben zu bewilligen, hätte es die absolute Mehrheit von 63 Stimmen (von insgesamt 125 Stimmen) gebraucht. Eine relative Mehrheit allein reicht dafür nicht aus. Diese Überlegenheit konnte die links-grüne Seite in diesem Fall nicht ausspielen – wegen einer Abwesenheit bei den Grünen.
Heftige Diskussionen um die Stadtpolizei
Alle Jahre stellt sich bei der Budgetdebatte im Gemeinderat wieder die Frage: Welche Polizei braucht die Stadt Zürich? So versuchen die Parteien, über das Budget die Polizei ihrem Gusto anzupassen. Die Stadtpolizei will etwa künftig jede Patrouille mit einem Taser ausrüsten. Dies passt den Linken nicht. Sie strichen dem Sicherheitsdepartement insgesamt 360’000 Franken für die Ausrüstung der Streifenwagen mit Tasern sowie für die Beschaffung von Munition und Zubehör für sogenannte Destabilisierungsgeräte.
Moritz Bögli (AL) strich in seinem Votum vor allem die Gefahr von Verletzungen der Taser heraus: «Taser sind nicht harmlos!» Dem widersprach der FDP-Gemeinderat Thomas Hofstetter: Wenn eine Person mit einem Messer auf einen zukomme, könnten die meisten Polizisten heute nur zur Waffe greifen. Da sei ein Taser das viel mildere Mittel: «Ich weiss, wovon ich spreche. Ich brauche selber Taser und habe die Wirkung selber schon einmal gespürt», sagte Hofstetter. Er arbeitet bei der Kantonspolizei, wo Taser verbreiteter sind. In der Ausbildung ist es üblich, dass die Polizisten im Training die Taser an sich selber ausprobieren. Luca Maggi (Grüne) erwiderte: «Ich glaube Thomas Hofstetter, dass er weiss, wovon er spricht. Aber es ist ein Unterschied, ob man den Taser an jemanden einsetzt, der sportlich und gut trainiert ist, oder an jemandem mit Vorerkrankungen.»
Maggis Parteikollegin und Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart verteidigte den Wunsch nach Tasern. Es sei unbestritten, dass die Taser gefährlich sind, aber sie seien oft das mildere Einsatzmittel als eine Schusswaffe. Ausserdem würden sie selten gebraucht. Heute haben nur Mitglieder der Interventionseinheit einen Taser, 20 Geräte sind im Einsatz. In den vergangenen 20 Jahren wurden sie weniger als 60-mal eingesetzt. Schusswaffen werden schon heute noch viel seltener verwendet. Künftig will Rykart jeden Streifenwagen mit einem solchen Gerät ausrüsten, damit die Polizistinnen und Polizisten nicht auf die Sondereinheit warten müssten. Doch im Gemeinderat fand sie damit keine Mehrheit. Mit 61 zu 58 Stimmen strich eine Mehrheit die Gelder für die Beschaffung zusätzlicher Taser.
Beim Tränengas gelang dies den Grünen und der AL nicht. Dies vor allem, weil nur ein Teil der SP sich an dem Vorhaben beteiligte. Exakt die Hälfte der SP-Fraktion will weiterhin auf das Tränengas setzen. Natürlich sei es unschön, dass dieser Reizstoff nicht gezielt eingesetzt werden könne und oft Unbeteiligte davon betroffen seien, sagte Florian Utz: «Aber die Alternativen sind für einen Teil der Fraktion auch nicht befriedigend.» So müsste ohne Tränengas noch gefährlicheres Gummischrot eingesetzt werden, oder die Einsatzkräfte müssten in den Nahkampf.
Doch für den Nahkampf fehle der Stadtpolizei das Personal, ergänzte Andreas Egli (FDP). «Dafür braucht es Hundertschaften.» Aber diese Stellen verweigere der Rat wiederum der Polizei.
In der Tat wird die Stadtpolizei mit ihren etwas über 1250 Polizistinnen und Polizisten die Stellen nicht wie gewünscht aufstocken können. Eigentlich fordert sie bis 2030 insgesamt 152 zusätzliche Vollzeitstellen, um mit dem Bevölkerungswachstum und der steigenden Anzahl Notrufe Schritt zu halten. Einzelnen Linken ist jeder neue Polizist einer zu viel. Bereits im vergangenen Jahr einigte man sich auf einen Kompromiss, jeweils die Hälfte der zusätzlichen Stellen zu bewilligen. Dieser Deal war auch in diesem Jahr mehrheitsfähig. So stimmten 62 Ratsmitglieder insgesamt nur 9 statt den geforderten 17 neuen Fronstellen zu.
Dafür schuf der Rat die finanzielle Grundlage für zwei zusätzliche Stellen im Bereich der Bekämpfung des Menschenhandels.
Neue Fachstelle zur Bekämpfung des Antisemitismus
Ungewohnt einig zeigten sich alle Parteien beim Kampf gegen Antisemitismus der Stadt Zürich. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel hat der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) auch in der Stadt Zürich wieder deutlich mehr antisemitische Vorfälle registriert, wie etwa tätliche Angriffe und Beschimpfungen oder Schmierereien an Hauswänden. Es sei die Aufgabe der Stadt Zürich, dagegen anzukämpfen, sagte Florian Utz (SP). So überwiesen alle Parteien gemeinsam ein Postulat, das den Stadtrat dazu auffordert, zu prüfen, wie der Antisemismus in Zürich bekämpft werden kann und ob es dafür eine neue städtische Stelle braucht. Uneinig war man sich in der Frage, ob die Stadt für diese Stelle bereits 100’000 Franken budgetieren soll.
Das geht der SVP und der FDP zu schnell. «Wir sollten jetzt nicht in Hyperaktivismus verfallen», sagte Johann Widmer (SVP). Deshalb solle man zuerst prüfen, ob es die Stelle überhaupt braucht. Doch der Widerstand blieb chancenlos, die SVP wurde nur von der FDP unterstützt.
Das freute auch die Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP). Mit diesem Antrag renne der Gemeinderat bei der Regierung offene Türen ein. Die Stadt habe seit dem 7. Oktober schon mehrere Anstrengungen unternommen. So habe man die Meldestelle des SIG unterstützt, und bei der Stadtpolizei gebe es einen eigenen Führungsstab, der sich um Gefahren aufgrund der Eskalation im Nahen Osten kümmere.
Diese neue Stelle soll Teil der Fachstelle für Gleichstellung werden. Weil es dort niemanden gebe, der sich mit diesem spezifischen Thema auskenne, sei diese Stelle so wichtig, sagte Ronny Siev (GLP).
Die Ratslinke möchte diese Fachstelle noch weiter ausbauen, so soll sie sich mit weiteren Diskriminierungsformen auseinandersetzen als nur mit der Gleichstellung der Geschlechter und Menschen mit Behinderung sowie der Bekämpfung des Antisemitismus. Sie denke da etwa an Herkunft, Rasse, Alter, Sprache, soziale Stellung und religiöse, weltanschauliche oder politische Überzeugungen als Diskriminierungsgründe, sagte Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne). So sprach der Rat mit 63 zu 59 Stimmen 25’000 Franken für diese Ausweitung.
Kuriose Szene bei Debatte um Kleinsttheater
Ganz selten spielten bei der Debatte auch ungewohnte Mehrheiten. Etwa bei der Debatte um Gelder für die traditionsreichen Theater Stok und Keller 62. Diese sind in der neuen Konzeptförderung Tanz und Theater, die ab dem kommenden Jahr gilt, nicht berücksichtigt worden. Mit 3,9 Millionen Franken unterstützt die Stadt in den kommenden sechs Jahren die Kleintheater Winkelwiese, Rigiblick, Stadelhofen, Hora, Purpur, Sogar, das Festival «Zürich tanzt» und das Miller’s sowie das Zirkusquartier, zu dem der Zirkus Chnopf gehört. Auch das Stok und der Keller 62 hatten sich um Gelder beworben. Ihre Konzepte überzeugten die Jury aber nicht. Da sie zuvor lange unterstützt wurden und ihnen der Geldhahn nicht von einem Jahr zum andern abgestellt werden sollte, sieht die Konzeptförderung sogenannte Abfederungsbeiträge vor. Diese sollen es nicht berücksichtigten Theatern ermöglichen, eine Zukunft ohne Subventionen zu entwickeln. So soll das Theater Stok für die nächsten zwei Jahre 120’000 Franken und der Keller 62 insgesamt 75’000 Franken erhalten.
Zu einer kuriosen Szene kam es bei der Abstimmung über Gelder für zwei Kleinsttheater. Die FDP forderte zusammen mit der GLP, den Grünen und der AL, dass den Theatern die gesamten Abfederungsgelder bereits im nächsten Jahr ausbezahlt werden. So sollen sie handlungsfähig bleiben. Insgesamt gab es darüber drei Abstimmungen. Die ungewöhnliche Allianz hatte zwar eine Mehrheit, kam aber bei den ersten beiden Abstimmungen bloss auf 62 Stimmen, eine zu wenig, um Mehrausgaben zu bewilligen. Doch bei der dritten Abstimmung kamen sie plötzlich auf 63 Stimmen. Der FDP-Fraktionschef Michael Schmid forderte in einem Ordnungsantrag, die vorangegangenen Abstimmungen nochmals zu wiederholen. Der Grund: «Eines unserer Mitglieder stand zuvor draussen vor verschlossenen Türen und hat es erst auf die dritte Abstimmung geschafft.» Also wiederholte der Rat die Abstimmungen, und die zusätzlichen Gelder konnten budgetiert werden.
153’000 Franken für die Pride
Bei Geldern für die Zurich Pride spielte hingegen wieder die gewohnte hauchdünne Mehrheit von SP, Grünen und AL. Sie wollen die Pride zu ihrem 30-jährigen Bestehen mit 100’000 Franken unterstützen. Mit dem Geld soll sie Jubiläumsprojekte umsetzen, etwa zur Verbesserung der Barrierefreiheit. Die Parade, welche die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Queeren feiert, fand zum ersten Mal 1994 statt. SP, Grüne und AL setzten diesen Zusatzbetrag mit ihren 63 Stimmen durch.
Bei einem weiteren Antrag zur Pride gesellten sich einige Mitglieder aus der Mitte/EVP-Fraktion zur knappen links-grünen Mehrheit. So sprachen 66 Gemeinderätinnen und Gemeinderäte zusätzliche 53’000 Franken für ein Tram, mit dem die Pride sich selber bewerben soll. Für ihre Verdienste habe die Pride ein solches Tram verdient, sagten links-grüne Rednerinnen. Wenn es schon Werbetrams geben müsse, dann solche, die auf Menschenrechte aufmerksam machten.
Bürgerliche und GLP fanden, dass die Pride bisher sehr gut ohne Staatshilfe funktioniert habe. Solange diese von sich aus kein Geld fordere, müsse man sie auch nicht unterstützen. Der Gemeinderat sei kein Spendenparlament. Die FDP hätte der Pride statt 100’000 Franken 50’000 Franken für Sicherheitsaufgaben zugesprochen. Dieser Antrag scheiterte.
900’000 Franken mehr für Hilfe im Ausland
SP, Grüne, AL und die GLP erhöhten das Budget für die humanitäre Hilfe im Ausland um 900’000 Franken (78 Ja- zu 42 Nein-Stimmen). Die jetzigen Krisen würden das nötig machen. Mitte/EVP und die Bürgerlichen fanden, dass Unterstützungsanträge für konkrete Hilfsprojekte ausreichten.
Fehler gefunden?Jetzt melden.