Twitter-Hetzer in ZürichMesserstecher von der Sihlcity macht vor Gericht Notwehr geltend
Der junge Mann traf vor dem Zürcher Einkaufszentrum auf FCZ-Fans und soll im Streit auf einen 18-Jährigen eingestochen haben. Der Beschuldigte sagt, er habe in Notwehr gehandelt. Die Staatsanwaltschaft fordert eine höhere Strafe.

Der 26-jährige Leon K. (Name geändert) stammt aus gutem Haus in Zürich. Er musste sich am Freitag vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten, weil er im Juni 2020 im Streit auf einen 18-Jährigen einstach und diesen schwer verletzte.
«Es tut mir leid, dass ich ihn so schwer verletzt habe – aber ich tat es nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Angst um mein eigenes Leben», sagte der Beschuldigte in seinem Schlusswort. Während der Verhandlung hatte er keine Fragen beantwortet.
FCZ-Fans im Einkaufszentrum
An einem Samstag Ende Juni 2020 war der damals 22-Jährige mit einem «White Life Matters»-T-Shirt im Zürcher Einkaufszentrum Sihlcity. Laut Anklage wusste er, dass es dort am Samstagnachmittag auch immer viele FCZ-Fans hatte, weil die 1. Mannschaft des Clubs dann jeweils gleich nebenan trainierte. Ebenfalls soll er gewusst haben, dass es unter den FCZ-Anhängern auch etliche dunkelhäutige Fans gibt.
Wenige Wochen zuvor hatten Polizisten im US-amerikanischen Minneapolis George Floyd getötet, was dort zu Ausschreitungen führte und danach zur «Black Lives Matter»-Bewegung.
Im Internet kommentierte der junge Mann, der damals an der Uni Zürich studierte, die Vorgänge mit teils drastischen Worten.
Beschuldigt wegen Raufhandels
Im Einkaufszentrum traf er tatsächlich auf eine Gruppe FCZ-Fans. Nachdem er in einem Geschäft eine Flasche Wasser und ein Rüstmesser gekauft hatte, verliess er das Einkaufszentrum.
Die FCZ-Fans folgten ihm. Etwas ausserhalb stellten ihn drei von ihnen zur Rede, was das mit diesem «rassistischen T-Shirt» solle. So etwas könne er doch nicht tragen.
Ab diesem Punkt gehen die Schilderungen auseinander. Laut den drei FCZ-Anhängern, die am Freitag wegen Raufhandels ebenfalls vor Gericht standen, wollten sie lediglich mit dem Hauptbeschuldigten reden.
Dieser wiederum machte geltend, er sei von den dreien gestossen und danach geschlagen worden. Sie sollen von ihm verlangt haben, das T-Shirt auszuziehen.
Nachdem sich die Auseinandersetzung weiter aufgeschaukelt hatte, kam es zum folgenschweren Angriff mit dem zuvor gekauften Rüstmesser. Fünfmal stach der Mann auf einen seiner Kontrahenten ein. Dieser erlitt dabei lebensgefährliche Verletzungen. Er überlebte nur dank dem schnellen Eintreffen der Rettungskräfte und einer Notoperation im Spital.
Anhand von Videoaufnahmen aus dem Einkaufszentrum versuchte der Anwalt des Beschuldigten zu belegen, dass die FCZ-Anhänger dem späteren Messerstecher regelrecht aufgelauert hatten. Grund für die Messerattacke war laut dem Verteidiger nicht das T-Shirt, sondern das teils aggressive Verhalten der elfköpfigen Gruppe von FCZ-Fans. Sein Mandant habe nicht schuldhaft gehandelt und sei freizusprechen, forderte er.
Rassistische Äusserungen im Internet
Keine weiteren Ausführungen machte der Anwalt zu den zahlreichen rechtsextremen Äusserungen im Internet, die die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten vorwirft.
Die zuständige Staatsanwältin forderte an der Verhandlung am Freitagmorgen eine zwölfjährige Freiheitsstrafe wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und weiterer Delikte. Der Anwalt des Opfers der Messerattacke forderte gar eine Verurteilung wegen versuchten Mordes.
In der ersten Verhandlung des Falls vor dem Bezirksgericht Zürich im Jahr 2022 forderte die Staatsanwaltschaft 8,5 Jahre Freiheitsstrafe. Das Gericht verurteilte Leon K. damals zu 5,5 Jahren. Das Obergericht hob das Urteil jedoch aufgrund von Verfahrensmängeln auf.
Zwillingsbruder ebenfalls beschuldigt
Ebenfalls angeklagt ist der Zwillingsbruder des Hauptbeschuldigten. Die beiden Brüder sollen im Juni 2020 in Parkanlagen in der Stadt Zürich mit Macheten eine noch relativ junge Buche gefällt und eine rund 200-jährige Linde schwer beschädigt haben. Die Linde – die gemäss Anklageschrift von Ende 2021 aufgrund des Schadens «in den nächsten Monaten gefällt werden muss» – steht indes immer noch.
Die beiden Brüder sind Kinder zweier bekannter Zürcher Kulturschaffender und haben auch an mindestens einem Projekt von ihnen mitgewirkt. Vor der ersten Verhandlung vor dem Bezirksgericht Zürich verbot das Gericht Medienschaffenden, darauf hinzuweisen. Das Obergericht hat diese Auflage im Nachhinein aufgehoben.
Das Bezirksgericht Zürich wird sein Urteil am Dienstagnachmittag bekannt geben.
SDA/mae
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