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Stadt entfernt Naegeli-Sprayerei
Zürich bringt Naegelis Strichmännchen um die Ecke

Der gesprayte Sensenmann im Durchgang zwischen Limmatquai und Grossmünsterplatz ist eines von Harald Naegelis Werken, die der Zürcher Stadtrat als Kunst anerkennt und stehen lässt.
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Es ist ein rauer Ton, den Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» gegenüber seiner Parteikollegin und Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch anschlägt. In dem Gespräch über Lügen in der Politik sagt Leuenberger: «Im Sommer ehrte Zürich den Künstler Harald Naegeli. Die gleiche Stadt liess jüngst bei heftigem Schneetreiben seine gesprayten Kunstwerke von den Wänden entfernen. Das ist eine verlogene Haltung, ohne dass eine einzige Lüge ausgesprochen worden ist.»

Was ist passiert? Diese Frage geht zunächst an Pio Sulzer, Leiter Kommunikation des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements. Stimmt es, dass die Stadt Werke des als «Sprayer von Zürich» berühmt gewordenen Harald Naegeli wegputzte? Und erst noch vertuscht von starkem Schneefall, wie es Leuenbergers Aussage suggeriert?

Stadtreinigung fragte nach

Nach eingehender Abklärung meldet Sulzer: Es waren zwei mutmassliche Naegelis, beide an der Seitenmauer der Römergasse unweit des Grossmünsters, welche die Stadtreinigung am 20. Januar entfernte. «Schneetreiben herrschte an diesem Tag keines mehr», bemerkt er trocken. Über die Plattform «Züri wie neu», auf der Infrastrukturschäden gemeldet werden können, hatte die Stadt am 22. Dezember von den Strichfiguren erfahren. Sie dürften kurz davor entstanden sein. Um was für Sujets es sich genau handelte, ist nicht klar.

Am 4. Januar erteilte die städtische Graffiti-Beauftragte den Auftrag zur Entfernung. Weil die Mitarbeitenden der Stadtreinigung aufs Thema Naegeli «sehr sensibilisiert» seien, fragten sie laut Sulzer extra nochmals bei der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum nach. Deren Bescheid lautete: Jawohl, die Zeichnungen können weg. «Grundsätzlich», sagt Sulzer, «wird Harald Naegeli behandelt wie alle anderen Urheber von Sprayereien.»

«Memento mori» in der Pandemie

Denselben Mann würdigte die Stadt Zürich letztes Jahr mit ihrer höchsten kulturellen Auszeichnung, dem mit 50’000 Franken dotierten Kunstpreis. In ihrer Laudatio sagte Corine Mauch, «dass sich das Phänomen Harald Naegeli nicht in der ‹Sachbeschädigung› erschöpft, auf die man seit nunmehr 40 Jahren reflexartig mit Putzkolonnen und Strafanzeigen, ja anfangs sogar mit einer Gefängnisstrafe reagiert hat».

2020 war alles anders. In den Frühlingsnächten des Lockdown hatte Naegeli, mittlerweile über 80 Jahre alt, einen Totentanz in die Stadt hinausgeschickt: Dutzende Sensenmänner aus seiner Sprühdose tauchten an Fassaden und Mauern auf. Als «Memento mori», als «eindringliche Botschaft» zu Zeiten der Pandemie würdigte dies die Stadtpräsidentin. Für sieben dieser Figuren an vier öffentlichen Bauten beschloss der Stadtrat, dass sie erhalten und in den städtischen Kunstbestand aufgenommen werden sollten. Dasselbe gilt für sechs Naegeli-Figuren, die Ende der Siebzigerjahre in Parkhäusern entstanden waren.

Erst geschützt, dann gelöscht

Doch den markantesten dieser offiziell zu Kunst erhobenen Sensenmänner ereilte im September ein unerwartetes Schicksal: Unbekannte löschten den Graffito auf dem Sockel des Waldmann-Denkmals vor dem Stadthaus in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus. Deutlich sichtbare Spuren zeugten danach vom nicht fachgerechten Gebrauch eines Hochdruckreinigers.

Im Juni tanzte er noch – drei Monate später machten Unbekannte dem Knochenmann auf dem Hans-Waldmann-Denkmal mit dem Hochdruckreiniger den Garaus.

Und nun spaltet also die jüngste Säuberungsaktion die Gemüter. Nachfrage bei der städtischen Graffiti-Beauftragten Priska Rast: Was ist davon zu halten? Sie sagt: «Alles, was illegal gesprayt wird, muss weg. Das darf man nicht einreissen lassen.» In diesem Punkt sehe sich die Stadt als grosse Immobilieneigentümerin auch als ein Vorbild für Private. Anderseits: «Graffiti sind nicht per se illegal. Man kann ja fragen.» Die Stadt sei offen für Ideen von Street-Art-Künstlern, welche grössere Flächen gestalten wollten.

«Interessenkonflikte einer Stadt»

Harald Naegeli hat die Stadt nicht gefragt, bevor er seine Strichfiguren auf Gebäuden und Gemäuer anbrachte. In Rasts Augen können sie demnach nur eines sein: illegal. Auf die Diskrepanz angesprochen, dass der Urheber dennoch den Zürcher Kunstpreis erhielt, sagt sie diplomatisch: «Solche Interessenkonflikte gehören zum Tagesgeschäft einer Stadt.» Die Politik müsse die Antwort geben, und der Stadtrat habe dies mit der Preisverleihung getan. Welche seiner Werke bestehen blieben, sei geklärt worden – damit sei diese Diskussion aber abgeschlossen. «Es kann fortan kein Auftrag der Stadt sein, illegale Kunst zu kuratieren.»

Stadtpräsidentin Corine Mauch wollte sich übrigens auf Nachfrage nicht zu Leuenbergers Vorwurf äussern.