Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Zürcher Raser vor Gericht
«Heute besteht die Chance, einen üblen Rowdy aus dem Verkehr zu ziehen»

ARCHIV - 14.10.2016, NA, Frankfurt/Main: Zu Lichtspuren verwischt sind die Fahrzeuge auf der Autobahn 661. (Wischeffekt durch Langzeitbelichtung) (zu dpa: «Raser nach tödlichem Unfall in Untersuchungshaft») Foto: Frank Rumpenhorst/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Frank Rumpenhorst)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Sommer 2019. Eine Gruppe aus der Zürcher Tuningszene ist im Ausgang. Die jungen Männer sind mit ihren Boliden auf der A3 im Stadtgebiet von Zürich unterwegs. Kurz vor dem Entlisbergtunnel schaltet der 23-jährige João T. bei seinem 306 PS starken BMW 335i Coupé einen Gang runter – laut Staatsanwaltschaft Zürich, um stärker beschleunigen zu können. Neben ihm fährt sein gleichaltriger Freund Tiago S. (Namen der Beschuldigten geändert) in einem 370 PS starken BMW M2.

Beim Einfahren in den Entlisbergtunnel geben die beiden Portugiesen Vollgas. Mit knapp 150 km/h rasen sie durch den 550 Meter langen Tunnel und überholen ein vor ihnen fahrendes Auto links und rechts «in waghalsiger Art und Weise», wie es in der Anklageschrift heisst. Hinterherfahrende Kollegen filmen das illegale Strassenrennen.

Smartphone führte zu weiteren Raserdelikten

Knapp fünf Jahre später müssen sich Tiago S. und João T. vor dem Zürcher Bezirksgericht wegen mehrerer Raserdelikte verantworten. Der Staatsanwalt nennt ihr Verhalten «prahlerisch und machohaft». Er fordert Freiheitsstrafen von knapp zwei beziehungsweise vier Jahren, für Tiago S. zudem eine Landesverweisung von sieben Jahren. «Heute besteht die Chance, einen üblen Rowdy aus dem Verkehr zu ziehen», sagt Staatsanwalt Michael Huwiler.

Beinahe wären den Strafverfolgern weder das Rennen noch weitere auf Video aufgenommene Raserdelikte bekannt geworden. Doch die Polizei konnte das Smartphone von Tiago S. mit mehreren gespeicherten Videos auswerten, da dieser genau einen Monat nach der Wettfahrt einen schweren Unfall verursachte.

Opfer nur mit Glück noch am Leben

Auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit war Tiago S. mit seinem BMW in Zürich von der Glaubtenstrasse in die Wehntalerstrasse eingebogen. Dabei beschleunigte er laut Anklageschrift stark auf mindestens 53 km/h, wodurch das Heck des Boliden rechts über die Bushaltestelle Glaubtenstrasse ausbrach und auf das Trottoir schleuderte. Der 1,8 Tonnen schwere BMW prallte nicht nur gegen einen massiven Kandelaber, sondern auch gegen zwei an der Bushaltestelle wartende Fussgänger.

Sie erlitten ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma sowie mehrere Prellungen, einer der beiden zudem einen Nasenbeinbruch, eine Fraktur der Augenhöhle und eine Rissquetschwunde über dem linken Auge. «Ohne den Kandelaber wären die zwei Fussgänger mit grosser Wahrscheinlichkeit tödlich verletzt worden», sagt Staatsanwalt Huwiler vor Gericht.

Sicherheitsassistent deaktiviert

Tiago S. erlitt eine Gehirnerschütterung, eine Augenverletzung und Prellungen. Der erst wenige Monate vor dem Unfall geleaste BMW im Wert von 52’000 Franken hatte Totalschaden.

Wie der Beschuldigte später aussagte, war er mit dem Boliden «immer» im Fahrmodus «Sport Plus» unterwegs, bei dem die dynamische Stabilitätskontrolle (DSC) deaktiviert ist. Diese sollte eigentlich auch bei starkem Beschleunigen verhindern, dass die Antriebsräder durchdrehen und das Auto ausbricht.

«Bin heute ein anderer Mensch»

Vor Gericht zeigt sich Tiago S. grossteils geständig und entschuldigt sich mehrmals «für alle Fehler, die ich gemacht habe» – auch bei den beiden Opfern und deren Eltern. Er sei heute ein anderer Mensch. Für seine Verteidigerin ist der Strafantrag von vier Jahren «massiv überrissen», weil ihr Mandant nicht vorbestraft sei und sich seit fünf Jahren wohl verhalten habe.

Themenbiild: Berzirksgericht Zürich an der Badenerstrasse 90. Aussenansicht.
24.11.2016
(Tages-Anzeiger/Urs Jaudas)

Das Gericht verurteilt Tiago S. wegen mehrerer Raserdelikte zu einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten. Davon sollen zehn Monate im Gefängnis vollzogen, der Rest bei einer Probezeit von drei Jahren aufgeschoben werden.

Explizit als Raserdelikt hat die Richterin auch das mehrfache Driften gewertet. «Solche Ausprobierereien gehören auf eine Rennstrecke und nicht in die Stadt», sagt sie in ihrer Urteilsbegründung. Es sei dem reinen Zufall und Glück zu verdanken, dass nicht viel schlimmere Verletzungen mit Todesfolge eingetreten seien.

Von einem Landesverweis sieht das Gericht ab, weil Tiago S. ein Ersttäter ist, sich seit fünf Jahren nichts mehr zuschulden kommen liess und zudem beruflich zum Abteilungsleiter aufstieg.

Gegen den eingangs erwähnten Mitbeschuldigten João T. ergeht das Urteil schriftlich. Bis zu einem rechtskräftigen Entscheid gilt für beide Beschuldigten die Unschuldsvermutung.