Umstrittenes PrestigeprojektZHDK bricht Zusammenarbeit mit militärnaher Uni in China ab
Die Zürcher Hochschule der Künste gründete eine Designhochschule in Shenzhen mit. Nun stoppt Rektorin Karin Mairitsch das Engagement. Zum Ärger der chinesischen Partner.
Schluss mit Shenzhen: Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) stoppt vorzeitig die Zusammenarbeit mit einer Designhochschule in Südchina, die sie selber mitgegründet hat.
Die ZHDK bestätigt entsprechende Recherchen dieser Redaktion. Per 11. Oktober 2024 habe man den Vertrag mit der Shenzhen International School of Design (SISD) gekündigt, schreibt Rektorin Karin Mairitsch auf Anfrage. Am Montagmorgen informierte die Schulleitung intern darüber.
Die Hochschule in Südchina galt als Prestigeprojekt, das der damalige Rektor Thomas D. Meier vor elf Jahren gestartet und vorangetrieben hatte. Wegen der immer autoritäreren Politik unter Staatspräsident Xi Jinping geriet die Zusammenarbeit in die Kritik. Nun beendet Karin Mairitsch, die Meier vor zwei Jahren an der ZHDK-Spitze ablöste, die Zürcher Expansion nach China. Die Kooperation mit der ZHDK war auf mindestens 30 Jahre angedacht.
Die chinesische Seite reagiert verärgert auf den abrupten Rückzug der Zürcher.
Anfang 2023 habe die ZHDK eine Risikoanalyse zur Zusammenarbeit vorgenommen, schreibt Rektorin Mairitsch. Darauf habe man in Rücksprache mit dem kantonalen Fachhochschulrat, der die ZHDK beaufsichtigt, entschieden, die Kooperation zu überdenken. Mairitsch nennt dafür zwei Gründe: studienrechtliche Hürden, zum Beispiel bei der Diplomvergabe, sowie operative Risiken. Neben laufenden internen Grossprojekten verfüge die ZHDK nicht über die notwendigen Mittel für den geplanten Ausbau der SISD. «Die Verantwortlichen schätzten das Geschäftsrisiko als zu gross ein», schreibt Mairitsch.
Die Partnerin war eine militärnahe Universität
Die ZHDK hatte die Shenzhen International School of Design (SISD) gemeinsam mit dem Harbin Institute of Technology (HIT) aufgebaut. Dieses zählt zu den «Seven Sons of National Defence», sieben Universitäten, die gemäss internationalen Beobachtern dem chinesischen Militär nahestehen. Am ZHDK-Shenzhen-Projekt beteiligten sich zwei weitere westliche Partnerinnen: die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und das Institute of Advanced Architecture of Catalonia.
Die chinesische Seite sollte von den fachlichen Fähigkeiten der europäischen Partnerinnen profitieren. Diese erhofften sich einen Zugang zum Pearl-River-Delta, einer Region, die als industriell innovativ gilt.
Der Campus in Shenzhen wurde komplett neu erstellt. Mit 120’000 Quadratmetern Nutzfläche ist er deutlich grösser als das Toni-Areal im Kreis 5, wo die ZHDK untergebracht ist. Seit Herbst 2021 bietet die Hochschule in Shenzhen Kurse an. Gestartet ist sie mit 400 chinesischen Studierenden, das Ziel liegt bei 3000.
Die ZHDK wirkte vor allem beratend mit. Sie half etwa dabei, Studiengänge in Industriedesign oder Grafik zu entwickeln. Zudem sollte sie eigene Dozierende temporär an die Partnerschule ausleihen.
Unter den Zürcher Dozierenden löste diese Reisemöglichkeit wenig Begeisterung aus. Gemäss internen Quellen unterrichteten in den letzten drei Jahren weniger als fünf von ihnen in Shenzhen. Die meisten hätten keine Lust verspürt auf ein Auslandssemester in einem autoritären Staat, wo sie Überwachung befürchteten. Kritisiert wurde auch ein einseitiger Wissenstransfer.
Gemäss ZHDK lag die Zahl der Zürcher Dozierenden in Shenzhen im «einstelligen Bereich». Bezahlt wurden diese Lehreinsätze, die zum Pensum an der ZHDK hinzukamen, durch die chinesische Hochschule.
Bei den Studierenden stiess die Kooperation auf Widerstand. Die ZHDK-Studierendenorganisation Verso fordert seit Anfang 2021 den Ausstieg. Die Freiheit der Lehre und Forschung sei in China nicht gewährleistet, Bildung werde politisch instrumentalisiert, heisst es in einem Positionspapier.
Solche politischen Vorbehalte seien in die «Gesamtbetrachtung miteingeflossen», schreibt Rektorin Mairitsch auf Anfrage. Die Kündigung sei aber aus oben genannten Gründen erfolgt.
Rektor Thomas D. Meier hatte bis zu seiner Pensionierung die Zusammenarbeit verteidigt. Die Design- und Architekturabteilung befinde sich organisatorisch weit weg von der Rüstungsforschung des Harbin Institute of Technology, sagte er. Die ZHDK verfüge über ein starkes Mitspracherecht im Hochschulrat und habe gleich viel Gewicht wie die chinesischen Partner. Akademische Kooperationen könnten «verbindend wirken und den Dialog fördern», sagte Meier. Auf Anfrage wollte er sich nicht zur Vertragsauflösung äussern.
Enttäuscht über Zürcher Exit
Auch Peter Bölsterli lobt auf Anfrage den «gelebten Austausch zwischen Regionen mit sehr unterschiedlichen Wertesystemen». Bölsterli, ein Schweizer Architekt mit viel China-Erfahrung, leitet die Shenzhen International School of Design. Der Zürcher Exit erstaune und enttäusche ihn.
Bölsterli kritisiert das Vorgehen der ZHDK. Nach einem guten Start habe diese Schwierigkeiten gehabt, die vereinbarten Verpflichtungen zu erfüllen. So habe die SISD diesen Sommer die ersten vereinbarten ZHDK-Abschlüsse nicht vergeben können. Dadurch sei in China ein grosser Rufschaden für das Harbin Institute of Technology und die Stadt Shenzhen entstanden. Die Vertragsauflösung durch die ZHDK sei einseitig erfolgt und ohne Konsultation mit den Partnern.
Gemäss Peter Bölsterli schlägt die chinesische Seite als Kompromiss eine reduzierte Form der Zusammenarbeit vor. Sie soll das Fortbestehen der Schule in Shenzhen sichern. Man befinde sich mit der ZHDK in entsprechenden Gesprächen.
Von einer solchen Light-Lösung ist bei der ZHDK allerdings nicht die Rede. Was also, wenn sich die beiden Seiten nicht einig werden? «Kosten, die dadurch entstehen, würden der ZHDK verrechnet», schreibt Peter Bölsterli. Dazu gehörten etwa Ausgaben für den Aufbau der Schule. Falls die ZHDK nicht zahlen wollte, wäre gemäss Bölsterli ein Entscheid nach chinesischem Recht in Singapur notwendig. Bislang gibt es aber keine Klage.
Gemäss Rektorin Karin Mairitsch hat die ZHDK ihre Beweggründe für die Kündigung «mehrfach und frühzeitig kommuniziert». Derzeit verhandle man über die «Modalitäten der Auflösung». Ein wichtiger Punkt dabei sei das Angebot für bisherige Studierende.
Ursprünglich hätten die Studierenden in Shenzhen auch ein ZHDK-Diplom erhalten sollen. Das sorgte in Zürich teilweise für Unmut. Bis heute seien keine solchen Diplome vergeben worden, heisst es seitens der ZHDK.
600’000 Franken in elf Jahren ausgegeben
Die ZHDK gab gemäss eigenen Angaben über die letzten elf Jahre rund 600’000 Franken für die Zusammenarbeit aus. Dazu kommen weitere 450’000 Franken. Diese hat die Zürcher Schule von der chinesischen Partnerin aber wieder vergütet erhalten. An der Infrastruktur beteiligte sich die ZHDK nicht. Gemäss Peter Bölsterli finanzierte die Stadt Shenzhen den Neubau. Dieser kostete laut Schätzungen mindestens 250 Millionen Franken.
Die Zürcher Hochschule der Künste hatte das Chinaprojekt nicht allein angedacht. Dieses war Teil der Partnerschaft zwischen dem Kanton Zürich und der Provinz Guangdong, in der Shenzhen liegt.
Zum zehnjährigen Jubiläum der Partnerschaft reiste letzte Woche eine Delegation unter Regierungsrat Ernst Stocker (SVP) nach Guangdong. Die Auflösung der ZHDK-Kooperation war laut einem Sprecher kein traktandiertes Thema. Im Zentrum sei der «wirtschaftliche Nutzen» gestanden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.