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Bundesrat: Atici will nicht mehr
«Ich bin Realist»

Mustafa Atici, SP Politiker und Nationalrat. Fotografiert für die Sommerserie. Fotos kostas maros, am Tellplatz, Gundeldinger Quartier, Basel am 29.6..22
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Vielleicht ist es dieses Wort, und Mustafa Atici benutzt es im Gespräch immer wieder in den verschiedensten Formen, das am besten passt zu seinem Rückzug als Bundesratskandidat: Realität.

Er sagt: «Dass ich aber in der Bundesversammlung nur geringe Wahlchancen habe, das war mir von Anfang an klar. Das ist zwar schade, aber es ist eine Realität.»

Er sagt auch: «Ich will, dass Basel-Stadt wieder einen Bundesratssitz erhält. Und es ist am realistischsten, dass Beat Jans diesen gewinnen kann.»

Und er sagt: «Ich bin Realist, wenn ich sage, dass die Zeit für einen Bundesrat mit Migrationshintergrund wohl erst in ein paar Jahren reif sein wird.»

«Das hat mich gestört.»

Mustafa Atici über Opportunismus-Vorwürfe

Man darf da wohl anfügen, dass der Sozialdemokrat mit dieser Einschätzung durchaus richtig liegen dürfte. Aber auch, dass er es ja trotzdem hätte versuchen können, nun, da er sich schon einmal auf der Kandidatenliste befunden hat.

Sofort kommt wieder der Vorwurf zur Sprache, der ihn schon seit Juli begleitet, seit er völlig überraschend beim Basler Onlinemedium «Prime News» seine Bundesratsambitionen bekannt gegeben hat: dass er sich nur ins (mediale) Rampenlicht manövrieren möchte, um seinen gefährdeten Nationalratssitz zu halten.

Atici kennt diese Kritik, «die mich auch gestört hat», und sagt: «Wenn das mein Ziel gewesen wäre, hätte ich mich erst nach den Wahlen im Oktober zurückgezogen. Selbst Freunde von mir haben mir gesagt: Mach das so, nutze das Rampenlicht. Aber Politik ist kein Spiel für mich. Ich bin schon vor meiner Nationalratskandidatur 2019 vorzeitig aus dem Grossen Rat zurückgetreten – um mich voll auf mein Ziel zu konzentrieren.»

«Sehr seriös»

Apropos Ziel: Dieses hat er auch erreicht. Hat es denn zuvor je eine wirkliche Debatte darüber gegeben, dass auch ein Politiker mit Migrationshintergrund in den Bundesrat gewählt werden kann? «Nein», sagt Atici. Hat es denn seit diesem Sommer je von kritischen (rechten) Stimmen geheissen, was der denn wolle und meine? «Nein», sagt Atici.

Im Gegenteil, erzählt er, habe er eine «sehr positive, sehr seriöse» Diskussion über seinen Anspruch erlebt, «einen berechtigten», wenn man bedenke, dass 40 Prozent der Menschen in diesem Land einen Migrationshintergrund hätten, bei Jugendlichen sogar 60.

«Unfair»

Falsch ist nicht, was Atici sagt, zumindest medial wird ihm tatsächlich viel Raum für sein Argumentarium freigeschaufelt, man hört zu, nimmt es ernst. Der «SonntagsZeitung» hat er vor dem Nationalfeiertag ein grosses Interview gegeben. Auf dem Foto strahlt er mit Ballonen mit Schweizer Kreuz und rot-weissen Girlanden drauf. Das wirkt in diesem Land.

Und sogar die «Weltwoche» zeigt sich beeindruckt: «Niemand sollte Mustafa Atici unterschätzen.» Er sei ein sympathischer Unternehmer, sogar Beat Jans müsse sich in Acht nehmen: «Jans (…) kennt die Wirtschaft nur vom Hörensagen. Da ist Atici, der sich als Einwanderer auf dem freien Markt durchsetzte, ein ganz anderes Kaliber.»

Die Nase gerümpft wird nur hinter vorgehaltener Hand. Im Lager von Sarah Wyss, Aticis Konkurrentin um den einen sicheren Nationalratssitz der Basler Sozialdemokraten, zum Beispiel. Wer zu Wyss hält, nervt sich, weil Atici die Gunst der Stunde (und der medialen Aufmerksamkeit) mit seiner Bundesratskandidatur genutzt hat. Das wird als «unfair» empfunden, als «unverdienter Vorteil».

«Glasklar

Ein Vorteil ist es sicherlich auch, weil Atici es geschickt orchestriert hat (wäre der Versuch plump gewesen, hätte das auch kontraproduktiv sein können). Kann man das kritisieren?

Nun allerdings kommt schon die nächste Insinuation: Wer, wie Atici, Beat Jans unterstützt und ihn in den Bundesrat mittragen will, kann nachher dessen Erbe im Basler Regierungsrat antreten. Will Atici das? Kategorisch, sagt er, «darf man in der Politik natürlich nie etwas ausschliessen, das wäre nicht sehr clever». Aber sein «Schwerpunkt» liegt auf «Bundesebene», das ist «glasklar», und das werde sich auch nicht so schnell ändern.

Vielmehr würde es ihn freuen, wenn er in der Bundesversammlung einst einem Bundesrat begegnen würde, der «eine Geschichte hat wie ich» – und das, sagt Mustafa Atici sowohl bezogen auf sein Nationalratsamt als auch auf ein mögliches Mitglied der Landesregierung mit Migrationshintergrund, «das ist realistisch».